Archiv für den Monat: Februar 2012

2012 – ein Schaltjahr

Bekanntlich dreht sich die Erde um die Sonne und braucht dafür ein Jahr, also 365 Tage, genauer: etwas mehr als ein Jahr, nämlich (im Jahr 2000) 365 Tage, 5 Stunden, 48 Minuten, 45,261 Sekunden. Um diesen Überhang von knapp 6 Stunden auszugleichen, ist jedes vierte Jahr ein Schaltjahr mit einem zusätzlichen Tag am 29. Februar (außer in jedem hundertsten Jahr mit Ausnahme des Schaltjahres 2000). Heute ist ein solcher Schalttag. Aber die Jahre werden kürzer, wenn auch nur eine halbe Sekunde pro Jahrhundert.

Den Zeitraum für die Umkreisung der Erde um die Sonne nennt man auch tropisches Jahr und definiert dieses als Zeitraum, in dem die mittlere Länge der Sonne auf der Ekliptik um 360° zunimmt. Klingt doch nett, oder?

29. Februar

In diesem Zusammenhang eine ebenso nette Frage:

Was geschah in der Zeit vom 5. bis zum 14. Oktober 1582?

strong>Antwort: Nichts, die Tage gab es nicht.

Grundlage unserer Zeitrechnung war bis ins 16. Jahrhundert der Julianische Kalender, der von Julius Caesar eingeführt wurde und in manchen Teilen der Welt noch weit bis ins 20. Jahrhundert gültig war. Er wird heute in der Wissenschaft rückwirkend auch für die Jahre vor dem Wirken Caesars verwendet und wurde seit dem 16. Jahrhundert sukzessive durch den Gregorianischen Kalender abgelöst. Der Gregorianische Kalender, benannt nach Papst Gregor XIII., ist der heute in den weitaus meisten Teilen der Welt gültige Kalender. Er wurde Ende des 16. Jahrhunderts entwickelt und löste im Laufe der Jahrhunderte zahlreiche andere Kalenderformen ab. Der Unterschied zwischen beiden? Der Julianische Kalender hatte 365 Tage und genau 6 Stunden, alle vier Jahre also einen Schalttag, während der Gregorianische Kalender Säkular-Jahre kennt (das sind Jahre, deren Zahl durch 100 teilbar ist), die keinen Schalttag mehr erhalten. Um die bereits eingetretene Zeitverschiebung auszugleichen (Ausgangspunkt waren Probleme mit der Berechnung der Osterfeiertage) bestimmte Papst Gregor XIII., dass im Jahre 1582 zehn Tage übersprungen werden sollten. Daher folgte in einigen römisch-katholischen Ländern auf Donnerstag, den 4. Oktober gleich Freitag, der 15. Oktober – die Abfolge der Wochentage blieb dabei jedoch unverändert.

Aimee Mann (2): ’Til Tuesday

Aimee Manns erste Gruppe war also die Punk-Rock-Band „The Young Snakes“, bei der sie Sängerin war und den Bass spielte. 1983 wurde sie Mitbegründerin der New-Wave-Band „’Til Tuesday“, die 1985 mit ihrem ersten Album „Voices Carry“ einen Achtungserfolg erzielte: Platz acht in den U.S. Billboard Hot 100. Außerdem gewann die Band 1985 den MTV Video Music Award als beste Newcomerband („Best New Artist“). 1990 löste sich die Band auf. Seitdem arbeitet Aimee Mann solo.

Musik von Aimee Mann

‚Til Tuesday wurde in Boston gegründet und bestand neben Aimee Mann als Sängerin und Bassistin (sie spielte auch akustische Gitarre) aus dem Sänger und Gitarristen Robert Holmes, dem Keyboarder Joey Pesce und dem Schlagzeuger Michael Hausman.

Obwohl die Band von den Kritikern immer wieder gelobt wurde, blieb der Erfolg beim Publikum aus. Nach und nach verließen die Gründungsmitglieder die Band. So tourte Aimee Mann mit verschiedenen Session-Musikern weiterhin unter dem Namen „’Til Tuesday“, bis sie sich 1992 dazu entschied, ihr erstes Solo-Album aufzunehmen. Der Schlagzeuger Hausman wurde ihr Manager, was er wohl bis heute noch ist.

Von ‚Til Tuesday erschienen drei Alben:

'Til Tuersday: Voices Carry (1985)

'Til Tuersday: Welcome Home (1986)

‚Til Tuersday: Voices Carry (1985)

‚Til Tuesday: Welcome Home (1986)

'Til Tuersday: Everything's Different Now (1988)

‚Til Tuersday: Everything’s Different Now (1988)

Und dann noch 1996 eine Retrospektive, d.h. ein Greatest Hits-Album.

Das Album „Everything’s Different Now“ enthielt mit dem Lied „The Other End (of the Telescope)“ (hier eine Aufnahme mit Aimee Mann live – November 3rd, 2008 – Cologne / Germany – E-Werk – natürlich ohne Costello) eine Zusammenarbeit mit Elvis Costello, der im Hintergrund singt.

Aimee Mann zu ihrer Gruppe: „’Til Tuesday was a rebellion against that [ihre erste Band Young Snakes, eine Punk-Gruppe] because after a while I realized that not following the rules was a rule in itself and more limiting than anything else. I wanted to hear some sweetness and some melody.“

Aimee Mann erkannte also, dass Ihre Punk-Phase, in der sie keiner [musikalischen] Regel folgen wollte, selbst eine Regel beinhaltete, die sie einengte. Es sollte also mehr ‚Melodie’ sein. Wenn ich Aimee Mann in den 80er Jahren kennen gelernt hätte, dann wäre sie wohl an mir ‚vorbeigerauscht’. New Wave (z.B. Talking Heads) lag mir nicht besonders, oft mit eintönig daher geklampften Gitarren und Synthies. Im Nachhinein entpuppte sich New Wave ja auch als Ausverkauf des Punk. Viele Bands ließen sich durch die großen Schallplattenfirmen korrumpieren. New Wave war zudem vor allem ein angelsächsisches Phänomen. Viele Gruppen, so auch ’Til Tuesday, blieben bei uns fast völlig unbekannt (dafür gab es als Ersatz die ‚Neue Deutsche Welle’). Erst die auf Solofüßen wandelnde Aimee Mann wurde auch in Deutschland bekannt – und fand so mein Interesse. Dazu später mehr.

Hier einige Live-Aufnahmen von ’Til Tuesday. Zunächst vom Debütalbum „Voices Carry“ der Titelsong, zu dem es einige ‚Aufregung’ gab, und ein weiteres Lied. Die Lieder wurden 1986 beim MTV Spring Break aufgenommen (weitere Lieder siehe unter youtube/TwinPeaksReader). Der Titelsong „Voices carry“ wurde übrigens öfter gecovert, u.a. von Tiffany, Carrie Underwood und Courtney Love:


Til Tuesday -Voices Carry Live 1986


Til Tuesday 1986 „Love In A Vacuum“

Weitere Lieder der Band live at The Ritz in New York, NY 1985:


Til Tuesday – I’ll Wait For You


Til Tuesday – Enough To Save You

Und hier noch zwei Aufnahmen von einem Konzert 1987 während der „Welcome Home“-Tour (zur 2. Scheibe der Band) aus Detroit:


Aimee Mann / Til Tuesday – „Yesterday“ live 1987


Til Tuesday – Looking Over My Shoulder / Sleeping And Waking live 1987

Fortsetzung folgt: Aimee Mann (3): Aimee & Family

Klaus Wagenbach: Franz Kafka – Bilder aus seinem Leben

Er selbst nennt sich „dienstälteste Kafka-Witwe“ und beschäftigt sich seit 1950 mit Franz Kafka: Klaus Wagenbach, Gründer des Verlags seines Namens, ein kleiner, aber feiner Verlag, dessen literarischer Schwerpunkt Italien ist. Neben seiner Forschung weist Wagenbach die wohl weltweit größte Sammlung an Dokumenten zu Kafka auf. Und so ist es nicht verwunderlich, dass er einen Großteil der Fotosammlung zu Kafka in einem Buch veröffentlicht hat.

Klaus Wagenbach: Franz Kafka - Bilder aus seinem Leben

Klaus Wagenbach: Franz Kafka - Bilder aus seinem Leben

Klaus Wagenbach: Franz Kafka – Bilder aus seinem Leben

Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 1983

Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2008
veränderte und erweiterte Ausgabe

Ich habe eine broschierte Ausgabe aus dem Jahre 1983 (ISBN 3 8031 3509 5) vorliegen, damals für 29,80 DM erstanden. Inzwischen gibt es eine gebundene, veränderte und sicherlich um viele Fotos erweiterte Ausgabe für 39 € (letzter Stand: 22. April 2008). Neben diesem Bilderbuch hat Klaus Wagenbach Kafka-Lesebücher und auch eine Biografie als Monografie über den Prager Dichter veröffentlicht: Wagenbach: Kafka

„Über fünfhundert, zum größten Teil bislang unbekannte Bilder aus dem Leben des Schriftstellers, der den stärksten Einfluß auf die heutige Literatur ausübte. Ein Lesebuch mit Bildern. Ein Bilderbuch zum Lesen.“ (aus dem Klappentext zur Ausgabe 1983)

Dieser Bildband ist ein absolutes Muss für jeden, der sich halbwegs ernsthaft für Franz Kafka interessiert und ist in seiner Art unerreicht, so sehr mir die beiden anderen Bildbände Jiří Gruša: Franz Kafka aus Prag und Rotraut Hackermüller: Das Leben, das mich stört auch gefallen. Es erstaunt mich immer wieder, was Klaus Wagenbach hier mit viel Liebe zum Detail zusammengetragen hat. Wie schön, dass es noch so viele Fotos mit Franz Kafka im Mittelpunkt gibt. Dazu gibt uns Wagenbach alle notwendigen Informationen. Ansonsten darf und kann man die Bilder als solches auf sich wirken lassen. Und immer wieder in dem Bildband stöbern.

Ich mag alte Fotografien, die uns ein Tor zu einer längst vergangenen Zeit aufstoßen, so wie z.B. das Foto meiner Mutter als Kind (Die Kinder von der Schnurgass‘), dass nun auch schon fast 90 Jahre alt sein dürfte. Und mit den Fotos aus Wagenbachs Kafka-Bilderband kommen wir durch das Eintauchen in eine andere, alte Zeit auch dem Menschen Kafka um einiges näher.

Um gewissermaßen auch meinen kleinen Beitrag zum Thema Kafka & Prag zu leisten, habe ich aus den drei genannten Bilderbänden Kafkas Prager Anschriften zusammengestellt. Hierzu gibt es in den Band von Klaus Wagenbach eine sehr schöne grafische Übersicht, anhand der ich die heutigen (tschechischen) Straßennamen ausfindig gemacht habe. Hier nun einen Auszug aus dem Prager Stadtplan (Teile der Altstadt – dank mapy.cz), der die dort bestandenen Wohnanschriften Kafkas aufführt (die Nummern entsprechen den Nummern in der Wagenbach-Übersicht):

Prag (heute) mit Kafkas Adressen in der Altstadt


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(3) Geburtshaus von Franz Kafka (Geburt am 3. Juli 1883) – Haus „Zum Turm“ (27/I) – Ecke Enge Gasse (später Maiselgasse)/Karpfengasse (heute: Maiselova/Kaprova) – das Haus wurde 1897/98 abgerissen, das Portal blieb erhalten – die Straße hieß zwischenzeitlich Rathausgasse (U Radnice), heute: Náměstí Franze Kafky (Franz Kafka Platz), Praha, Česká republika

1885-1888 ist Kafka dann mit den Eltern noch dreimal umgezogen: Wenzelsplatz 56, Geistgasse V/187 und Niklasstraße 6, alle Häuser sind abgerissen (lt. Wagenbach).

08/1888-05/1889 „Sixt“-Haus in der Zeltnergasse 2 (heute: Celetná)

06/1889-09/1896 (4) Haus „Minuta“ – Kleiner Altstädter Ring 2 (heute: Malé Náměstí)

09/1897-06/1907 (7) Haus „Zu den drei Königen“ – auch Geschäft des Vaters bis 1906 in der Zeltnergasse 3 (heute: Celetná)

— 1906-1912 (8) Geschäft des Vaters in der Zeltnergasse 12 (Celetná)

— ab 1912 (6) Geschäft des Vaters im Kinsky-Palais (Staroměstské Náměstí)

06/1907-11/1913 Haus „Zum Schiff“ in der Niklasstraße 36 (heute: Pařížská) – Haus ist nicht erhalten

11/1913-07/1914 (14) Oppelthaus am Altstädter Ring 6 (heute: Staroměstské Náměstí 5)

ab 03.08.1914 für vier Wochen (12) Bilekgasse 10 (heute: Bílkova) bei Schwester Valli

09/1914-09.02.1915 Nerudagasse 48 (Polská) bei der Schwester Elli im Stadtteil Vinohrady

10.02.-15.03.1915 nochmals (12) Bilekgasse 10 (heute: Bílkova) in eigener Wohnung

ab 15.03.1915-28.02.1917 (lt. Wagenbach) (13) Haus „Zum goldenen Hecht“ in der Langenstraße 18 (heute Dlouhá 16), hier hatte Kafka ein eigenes Zimmer


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Winter 1916/1917 Alchemistengasse (auch: (Goldmachergässchen)) Nr. 22 (heute: Zlatá ulička u Daliborky)

03-08/1917 Schönborn-Palais in der Marktgasse 15 (heute: Tržiště), heute Sitz der US-Botschaft


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zuletzt 05/1918-1924 (14) wieder Oppelthaus am Altstädter Ring 6 (heute: Staroměstské Náměstí 5), Franz Kafkas letzter Wohnsitz in Prag

Wer sich also einmal nach Prag aufmachen sollte, dem empfehle ich, auf den Spuren auch von Franz Kafka zu wandeln. In der Altstadt rund um den Altstädter Ring gibt es natürlich noch vieles mehr zu sehen. Und in der Maiselova 62/8 (unweit des Geburtshauses von Kafka) gibt es das Restaurant U Golema, um sich dort zu stärken.

Heute Ruhetag (5): Ritter von der traurigen Gestalt

Heute Ruhetag!

An einem Orte der Mancha, an dessen Namen ich mich nicht erinnern will, lebte vor nicht langer Zeit ein Junker, einer von jenen, die einen Speer im Lanzengestell, eine alte Tartsche, einen hagern Gaul und einen Windhund zum Jagen haben. Eine Schüssel Suppe mit etwas mehr Kuh- als Hammelfleisch darin, die meisten Abende Fleischkuchen aus den Überbleibseln vom Mittag, jämmerliche Knochenreste am Samstag, Linsen am Freitag, ein Täubchen als Zugabe am Sonntag – das verzehrte volle Dreiviertel seines Einkommens; der Rest ging drauf für ein Wams von Plüsch, Hosen von Samt für die Feiertage mit zugehörigen Pantoffeln vom selben Stoff, und die Wochentage schätzte er sich’s zur Ehre, sein einheimisches Bauerntuch zu tragen – aber vom feinsten! Er hatte bei sich eine Haushälterin, die über die Vierzig hinaus war, und eine Nichte, die noch nicht an die Zwanzig reichte; auch einen Diener für Feld und Haus, der ebensowohl den Gaul sattelte als die Gartenschere zur Hand nahm. Es streifte das Alter unsres Junkers an die fünfzig Jahre; er war von kräftiger Körperbeschaffenheit, hager am Leibe, dürr im Gesichte, ein eifriger Frühaufsteher und Freund der Jagd. Man behauptete, er habe den Zunamen Quijada oder Quesada geführt – denn hierin waltet einige Verschiedenheit in den Autoren, die über diesen Kasus schreiben –, wiewohl aus wahrscheinlichen Vermutungen sich annehmen läßt, daß er Quijano hieß. Aber dies ist von geringer Bedeutung für unsre Geschichte; genug, daß in deren Erzählung nicht um einen Punkt von der Wahrheit abgewichen wird. […]

Miguel de Cervantes Saavedra: Der sinnreiche Junker Don Quijote von der Mancha

siehe hierzu auch: Wilfredo A.: Gegen Windmühlen kämpfen

Where’s my Fucking Oscar Nomination?

Ja, morgen ist es soweit. Hollywood feiert wieder einmal sich selbst. Was in Diktaturen Orden sind, das ist in der Filmbranche der Oscar. Schauspieler wollen nicht nur viel Geld, nein Ruhm und Ehre, dafür lohnt es sich, Schauspieler zu sein. Und sei es nur, wenigstens einmal für den Oscar nominiert zu sein.

Nun gut, es sind nicht immer die gleichen Schauspieler, Regisseure, Drehbuchautoren, Kameraleute usw., die nominiert werden, obwohl ich manchmal diesen Eindruck habe: George Clooney, Brad Pitt, Glenn Close, Meryl Streep, Martin Scorsese, Woody Allen und wie sie alle heißen, diese Namen tauchen immer wieder auf. Dieses Jahr gibt es nun zwei Filme, die 11x bzw. zehnmal nominiert sind, also die ordentlich absahnen können: Hugo Cabret und The Artist (siehe auch meinen Beitrag: Magie des Kinos: The Artist).

Aber es gibt auch jede Menge gehörige Frustration. So ist zwar Steven Spielbergs Film Gefährten als bester Film nominiert. Aber sein Die Abenteuer von Tim und Struppi gehen leer aus. Auch Angelina Jolies Regierarbeit In the Land of Blood and Honey ist in keiner Sparte nominiert. Oder Leonardo DiCaprio in und als J. Edgar (Hoover). Um nur einige zu nennen.

    Ryan Gosling: Where’s my Fucking Oscar Nomination for Drive?

Seinen ganz besonderen Frust, für die Rolle in dem Film Drive nicht für den Oscar nominiert zu sein, macht jetzt Ryan Gosling auf noch besondere Art und Weise Luft. In den Medien kursiert ein Bild mit ihm und in fetten Buchstaben steht geschrieben: Where’s my Fucking Oscar Nomination for Drive? Ja, wo ist sie denn?

Da legt man sich so ins Zeug. Und für was? Für nichts? Sicherlich nicht. Aber, wie gesagt, die Kohle allein macht nicht glücklich. So ein verdammter Oscar macht sich eben nicht schlecht in der heimisch-heimeligen Vitrine.

Aimee Mann (1): The Young Snakes

Sie ist 1960 in Richmond, Virginia, USA geboren. Zunächst versuchte sie sich als Sängerin und Bassisten mit ihrer ersten Punk-Rock-Band „The Young Snakes“, war dann 1983 Mitbegründerin der New-Wave-Band „’Til Tuesday“, die 1985 mit ihrem ersten Album „Voices Carry“ einen bescheidenen Erfolg erzielte und in der Kategorie „Best New Artist“ den MTV Video Music Award gewann. 1990 löste sich die Band auf. Seitdem arbeitet sie solo. Die Rede ist von Aimee Mann, von der ich hier bereits mehrmals berichtet habe.

Heute ist Aimee Mann als Songwriterin und Sängerin ihrer eigenen Lieder bekannt. So habe ich sie auch mit dem Album „Bachelor No. 2 or The Last Remains of the Dodo“ im Jahre 2000 zum ersten Mal gehört. Ihre ersten Soloalben „Whatever“ (1993) und „I’m With Stupid“ (1995) habe ich erst jetzt in diesen Tagen kennen gelernt. Ihr letztes Album „@#%&*! Smilers“ stammt aus dem Jahr 2008. Die Arbeiten zu einem neuen Album sind angeblich im Dezember 2011 fertig geworden. Bekannt wurde Aimee Mann auch durch den Original-Soundtrack zum Film Magnolia (1999). Das Lied „Save Me“ (hier im Weißen Haus vorgetragen) war Oscar-nominiert. Übrigens hatte Aimee Mann 1998 einen Kurzauftritt als deutsche Nihilistin in dem Film The Big Lebowski von den Coen-Brüdern.

Musik von Aimee Mann

Die Aimee Mann vor ihrer Solokarriere war mir bisher völlig unbekannt. Aber dem Netz sei dank (besonders dank Youtube) gibt es doch das eine und andere Lied zu bewundern. Zunächst zu Aimee Manns erster Band, The Young Snakes, die in Boston gegründet wurde. Neben Aimee Mann (Gesang und Bass) spielten Doug Vargas Gitarre und Mike Evens (der Dave Bass ersetzt hatte) Schlagzeug. Von dieser Band erschien zunächst 1982 eine EP mit fünf Liedern Bark Along with the Young Snakes und 2004 das Sammelwerk The Young Snakes Featuring Aimee Mann, nachdem Aimee Mann solistisch erfolgreich wurde.

The Young Snakes - featuring Aimee Mann

The Young Snakes - featuring Aimee Mann

The Young Snakes – featuring Aimee Mann

Aimee Mann äußerte sich wie folgt zu ihrer ersten Band: „… a little punk noise-art outfit called the Young Snakes, which was reasonably unlistenable. … Which meant no melody, no chord progression, no sweetness, nothing that sounded good. And the material had to be really avant-garde–no songs about relationships.”

Keine Lieder über Beziehungen, aber avantgardistisch hatte es zu sein. Ist es irgendwie auch, ziemlich außergewöhnlich. Wenn ich das höre, werde ich an Captain Beefheart erinnert. Und bei Aimee Manns Stimme denke ich an die gute Nina Hagen.

Hier zwei Lieder – zunächst eines der fünf von der EP (anschließend das erste Lied von dem 2004 erschienen Sammelwerk der Gruppe):


The Young Snakes – Give Me Your Face


Young Snakes – Brains and Eggs

Natürlich lässt sich das kaum noch mit der Aimee Mann von heute vergleichen. Aber ich finde es schon interessant, welchen musikalischen (und auch stimmlichen) Weg sie vor ihrer Solo-Karriere bestritten hat.

Fortsetzung folgt: Aimee Mann (2): ’Til Tuesday

Hamburg – Bremen: ‘Ewige’ Baustelle

Wer von Bremen nach Hamburg fahren möchte (oder umgekehrt), der muss sich seit Jahren auf Verspätungen einstellen. Das gilt fürs Auto und für die Bahn. Seit Jahren wird z.B. die Bundesautobahn A1 zwischen Bremer Kreuz und Buchholzer Dreieck sechsspurig ausgebaut. So gibt es immer wieder längere Staus, was auch noch dazuführt, dass etliche Auto- und Lkw-Fahrer die Bundesstraße B 75 als Umgehungsstraße nutzen (Wenn die Brummis durch Tostedt rasen). Ende des Jahres soll das Ganze dann fertig sein. Wer’s glaubt …?!

    'Ewige' Bauarbeiten bei der Bahn

Die Bahnstrecke zwischen Bremen und Hamburg (siehe: Die Rollbahn: Hamburg Hbf – Tostedt BahnhofDie Rollbahn: Tostedt Bahnhof – Bremen HbfHanse-Netz: Neue Express-Linie zwischen Hamburg und Bremen) ist das, was ich gern eine ‚ewige’ Baustelle nennen möchte und kommt damit dem Kölner Dom in dieser ‚Eigenschaft’ sehr nahe. Die Strecke von Hamburg-Harburg nach Buchholz in der Nordheide war wegen Gleiserneuerungen einmal ganze acht Monate (vom 5. April bis zum 11. Dezember 2004) gesperrt. Dann gab es immer wieder kleinere Bauarbeiten. Und wenn einmal nicht gebaut wurde, so wurde gestreikt bis zum Abwinken wie im letzten Jahr.

Nun wird also wieder gebaut. Seit Mitte Januar werden größere Gleisbauarbeiten zwischen Bremen und Hamburg vorgenommen, die bis April andauern sollen. Besonders betroffen ist der Abschnitt zwischen Rotenburg, Sottrum, Ottersberg und Sagehorn, weil dort (zusätzlich) Lärmschutzwände aufgestellt werden. Ab heute gibt es aber auch Ausfälle auf den Stationen Klecken und Hittfeld (zwischen Buchholz und Hamburg-Harburg), und zwischen Hamburg-Harburg und Hamburg Hbf. wird auch kräftigt gewerkelt. Das hat z.B. zur Folge, dass im Wochentakt immer wieder neue Fahrpläne (Sonderfahrpläne) bei der metronom Eisenbahngesellschaft mbH gelten. Man sollte sich also im Vorfelde schlau machen, wann Züge fahren und wo sie halten.

Wie das dann weitergeht, besonders auf der Strecke Hamburg-Harburg und Hamburg Hbf., die ja besonders marode ist, weiß wohl nur der Geier. Man müht sich zwar, zeitig auf Bauarbeiten hinzuweisen. Aber so richtig toll ist die Informationspolitik der Bahnunternehmen nicht gerade. Aber spätestens zu meiner Rente wird man ‚endlich’ fertig sein. Um dann wieder von vorn zu beginnen?! Eben wie beim Kölner Dom …

Nachtrag: Durch die Baustelle kurz nach Hamburg-Harburg – die Strecke bis Buchholz/Nordheide ist nur eingleisig zu befahren – kommt es durchgehend zu Verspätung für alle Metronom-Züge – teilweise bis zu 40 Min. (oder gar mehr?). Das ist schon reichlich nervig!

Was ist eigentlich aus Gerald Bostock geworden?

1972, also vor 40 Jahren, erschien von der Gruppe Jethro Tull das Konzeptalbum Thick as a Brick. Als Autor des Textes wurde ein achtjährige Junge namens Gerald Bostock genannt. Natürlich verbarg sich dahinter kein anderer als Ian Anderson, der Frontmann und Spiritus rector der Band selbst.

„Wie die Texte zeigen, geht es um die Welt eines Kindes, dessen Weltsicht durch Erziehungsvorgaben und sogenannte Tabuthemen verbogen und lückenhaft ist, das zwischen altklug und ahnungslos, die Zeit unbeschwerten Spiels sicher hinter sich gelassen hat, aber von vorpubertären Erwartungen bedrückt ist. Es ist ganz sicher noch weit vom Erwachsensein entfernt, dabei wurde es jedoch von der aufdringlich ambitionierten und missionarischen englischen Umwelt der unteren Mittelklasse in ‚erwachsene’ Muster gedrängt (Quelle: de.wikipedia.org)

siehe hierzu:
Thick as a Brick – das ganze Album im Video
Thick as a Brick – der Text

40 Jahre nach diesem Album kommt nun von Ian Anderson und seiner Band der zweite Teil: Jethro Tull’s Ian Anderson:TAAB2 Thick as a Brick 2, auch kurz TAAB2 genannt, auf den Markt. Ich habe bereits an anderer Stelle in diesem Blog ausführlich darüber berichtet. Ergänzend hierzu gibt es einen auch sehr informativen Bericht von Martin Webb, der als Word-Datei aufrufbar ist, dessen Wortlaut ich hier aber trotzdem wiedergeben möchte:

Jethro Tull's Ian Anderson: Thick as a Brick Part 2

Was ist eigentlich aus Gerald Bostock geworden?
Ian Andersons Fortsetzung des 1972er Prog-Rock-Klassikers bietet einige Antworten

Prog Rock? Prog Rock aus dem Jahr 2012? Das kann doch kaum ernst gemeint sein. Ist es aber tatsächlich, auch wenn hier der eigentliche Terminus Progressive Rock angemessener scheint. Man lasse einfach mal alle Vorurteile außer acht, und lasse Ian Anderson, den Sänger, Flötisten und Komponisten von Jethro Tull, ausführlich erklären, was ihn bewogen hat, vierzig Jahre nach dem bahnbrechenden Klassiker „Thick As A Brick“ dieses Genre noch einmal aufzugreifen.

In den frühen 1970ern hatten Bands wie Yes, Genesis, ELP und King Crimson die Grenzen der Musik maßgeblich erweitert. Die Anfänge des Punk warfen einen Schatten auf jene Musik, die zunehmend ausschweifender und prätentiöser geworden war, was dem Begriff Prog Rock einen schlechten Ruf einbrachte. Ian Anderson erklärt hingegen: „Für mich ist etwas progressiv, wenn man versucht, mit irgendetwas in eine neue Richtung aufzubrechen und etwas voranzutreiben, was dem eigenen Bedürfnis nach etwas Neuartigem entspricht und der Weiterentwicklung der eigenen Karriere dienlich ist. Für mich klingt ‚Progressive Rock‘ nach wie vor gut.“

Jethro Tulls kurze Progressive-Rock-Phase erreichte 1972 mit „Thick As A Brick“ ihren vorläufigen Höhepunkt. Das 45-minütige musikalische Epos konzentrierte sich auf die Schwierigkeiten seines kindlichen Protagonisten, konfrontiert mit einer beängstigenden und ungerechten Welt. Das Cover bildete die Parodie auf eine Lokalzeitung, genannt St. Cleve Chronicle, dessen Titelstory von dem frühreifen Schüler namens Gerald Bostock berichtete, der bei einem Dichterwettstreit disqualifiziert worden war, weil sein Beitrag unangemessen gewesen sei – und der nun angeblich von Jethro Tull für die Songtexte des Albums benutzt werde. Die Idee dazu war Ian Anderson gekommen, nachdem viele Kritiker den vorherigen Longplayer „Aqualung“ aus dem Jahr 1971 als Konzeptalbum bezeichnet hatten, obwohl es nur aus einer Reihe von Songs bestand, von denen einige zufällig die gleichen Themen behandelten: „In Anbetracht der Kritiken zu Aqualung habe ich absichtlich ein Konzeptalbum in Angriff genommen, das in erster Linie eine Parodie auf das Konzeptalbum als solches und auf die vermeintlich grandiosen Progressive-Rock-Abenteuerlichkeiten sein sollte. Ich wollte die etwas arrogante und schwülstige Art und Weise des Songschreibens überspitzen, indem ich die Texte von einem angeblich zehnjährigen Jungen schreiben ließ. Das mag absurd und ziemlich albern klingen, aber wir lebten in der Ära von Monty Python, in der diese Art des surrealen britischen Humors ihren festen Platz in der Psyche der Briten hatte.“

Das Album war ein weltweiter Erfolg, inklusive einer Nummer-eins-Notierung in den amerikanischen Billboard-Charts. Teile des Albums tauchten seitdem immer wieder in den Konzerten von Jethro Tull und Ian Anderson auf. Aber Ian hatte immer wieder Vorschlägen seitens der Plattenfirma widerstanden, zu dem Album eine Fortsetzung zu schreiben. Zumindest war das so, bis er im Jahr 2010 seinen alten Freund Derek Shulman von Gentle Giant traf, der ihm mit der Idee in den Ohren lag, doch zum 40-Jährigen eine Fortsetzung zu schreiben, was Ian dann tatsächlich erstmals ernsthaft in Betracht zog, statt es wie sonst gleich von der Hand zu weisen. Er hatte bemerkt, dass sich mit den Jahren das Publikum verändert hatte. „Das waren nicht mehr nur alte Käuze, sondern eher eine Mischung aus alten Käuzen und jungen Käuzen. Es fiel mir auf, dass es eine neue Welle von jungen Menschen gab, die nach einer Alternative und einem Gegenentwurf zu X-Factor und der sich stetig wiederholenden Rockmusik unserer Tage suchen. So freundete ich mich langsam mit dem Gedanken an, dass es vielleicht doch nicht so unwürdig wäre, wie ich früher gedacht hatte, noch einmal etwas in der progressiven Richtung anzugehen.“

Im Februar 2011 entwickelte Ian Anderson einige Tage lang die ersten Skizzen. „Alles basierte auf der Idee, was wohl aus Gerald Bostock, diesem frühreifen Kind, geworden ist, was ihm im Leben widerfahren ist? Je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr Schlüsselmomente aus meiner eigenen Kindheit fielen mir ein, wie ich eher zufällig die eine oder die völlig entgegengesetzte Richtung hätte einschlagen können. Aus mir hätte alles Mögliche werden können vom Soldaten, Seemann oder Astronauten bis hin zum Mimen oder Waldbauern – obwohl ich mich nach der Schule zunächst bei der Polizei bewarb und mich als Journalist einer Lokalzeitung versuchte, bis mich dann jedoch an der Kunsthochschule die Musik ganz gefangen nahm.“

„So stellte ich mir also Gerald Bostock als diesen zehnjährigen vorpubertären Knaben vor. So wie das Model aussah, das wir 1972 als den fiktiven Gerald Bostock fotografiert hatten, war er ein ziemlich Streber, der wahrscheinlich nicht besonders beliebt war an der Schule und wohl auch im Sport nicht besonders gut. Welche Möglichkeiten hätte er dann wohl gehabt, was wäre aus ihm geworden, wohin hätte es ihn geführt? Ich entwarf verschiedene Szenarien, darunter ein Stück über sein mögliches Leben gleich nach der Pubertät und daraus resultierend ein weiteres Stück über all das, was aus ihm wohl geworden sein könnte, bis er schließlich erwachsen war. Im abschließenden Teil des Albums habe ich dann all diese Dinge zu einer Art Zukunftsszenario zusammengeführt, in dem trotz aller zufälligen Wendungen ein bestimmtes Karma oder Kismet unser Schicksal vorherbestimmt, ganz gleich, welche radikal unterschiedlichen Richtungen wir auch eingeschlagen haben mögen.“

Aus diesem losen Konzept heraus entstand „Thick As A Brick 2“. Im November 2011 nahm Ian Anderson das Album gemeinsam mit Florian Opahle (Gitarre), John O’Hara (Keyboards), David Goodier (Bass) und Scott Hammond (Schlagzeug) auf, wobei ganz bewusst das Gefühl des 1972er Albums entstehen sollte, indem man zum großen Teil dasselbe Instrumentarium, also viele Akustikgitarren und viel Hammondorgel, einsetzte und die Songs mit der Band weitestgehend live einspielte. Mit einem Minimum an Overdubs und ohne sonstige gängige Studiotricks nahm Tonigenieur Steven Wilson (von Porcupine Tree) dann die Feinjustierung vor. Auch wenn es verschiedene markante Punkte (IDs) gibt, durch die sich einzelne Songs über iTunes downloaden lassen, ist dies in erster Linie ein durchgängiges 53-minütiges Musikstück mit diversen wiederauftauchenden musikalischen Motiven.

Eine weitere Referenz an das 1972er Album und das St. Cleve Chronicle Cover ist die fingierte Lokalnachrichten-Webseite www.StCleve.com, mit der das Album von 2012 aufwartet. In bewusster Anlehnung an ähnliche nicht ganz so professionelle Webseiten hat Ian sie recht amateurhaft gestaltet (Sie wird auf jeden Fall online gehen und für Fans einen Bereich anbieten, wo man seine eigenen erfundenen Nachrichten verbreiten kann). „StCleve.com soll vor allem unbeschwert sein mit vielen für Schüler typisch vulgären Zoten, aber auch mit ernsten Themen und fein beobachteten Phänomenen, die typisch sind für das Leben in provinziellen Kommunen. Es tauchen auch bekannte Charaktere wie Max Quad und Angela de Groot auf, die nun ein Fitnessstudio betreibt. Und hinzu kommen mir und dem Rest der Welt bekannte Persönlichkeiten mit leicht abgeänderten Namen. Man wird dann schon wissen, um wen es geht…“

Auch die 18 Monate währende Welttournee, die offiziell am 14. April in Großbritannien startet, soll an die ursprüngliche Bühnenshow des Jahres 1972 erinnern, wobei die „amateur dramatics village hall“, wie Ian es nennt, eine völlig neue Theaterinszenierung mit Videos und Schauspielern beinhalten soll.

Was hält Ian nun vom vollendeten Projekt? „Im Gegensatz zum 1972er Original von Thick As A Brick ist dies nicht wirklich eine Parodie. Das soll nicht alles lustig sein, einiges geht sogar richtig ans Herz und ist recht ernst, manchmal ein wenig intellektuell, manchmal fröhlich und unterhaltsam, ohne zu albern zu sein. Insgesamt ist dies ein viel ernsteres Werk, und auch wenn man es manchmal als unbeschwert und lustig empfindet, steckt immer ein gewisser Tiefgang darin.“

„So beobachtet es ganz genau diverse Rollenklischees. Eine dieser Stereotypen, in denen ich Gerald fürs Album eigentlich nicht sah, war der eines Politikers – obwohl er auf dem Album-Cover als Ex-Parlamentarier der Labour-Partei auftaucht, der nun in der Gegend von St. Cleve lebt. Er taucht jedoch noch in anderer Gestalt auf, etwa als korrupter christlicher Prediger, oder als Investment-Banker mit fetten Bonus-Prämien, also genau die Menschen, die wir heutzutage mit Vorliebe verachten. Und schließlich auch noch als Kriegsopfer, als heimgekehrter Soldat, der versucht, anderen Veteranen die Re-Integration ins Leben zu erleichtern, wobei ihn die Sinnlosigkeit des Krieges augenscheinlich verbittert hat. Das sind so Momente, die einen wirklich runterziehen können. Aber auch da muss man durch. Manchmal hilft es dabei, die Dinge so unbeschwert wie möglich anzugehen.“

„Vielleicht mögen manche hier Parallelen zu Quadrophenia sehen, aber das ist völlig falsch. Hier geht es nicht um eine gespaltene Persönlichkeit, sondern um all jene unterschiedlichen Rollen, in die wir in unserem Leben hätten hineinwachsen können. Wenn wir zu einem bestimmten Zeitpunkt die Straßenseite gewechselt hätten, ans Telefon gegangen wären, diesen einen bestimmten Artikel in der Zeitung gelesen hätten, hätten solche Dinge vielleicht unser Leben verändert. Und genau so etwas passiert zweifellos im Leben der Menschen, je nachdem, welche Freundschaften sie schließen, welche Beziehungen sie eingehen, ob in einer Ehe oder sonst wo. Darum geht es – und das taucht immer wieder auf – um all diese Was-wäre-passiert-wenn-Momente des Lebens.“

„Einer der Schlüsselmomente des Albums ist das Stück „A Change Of Horses“, das Fans von unseren Shows des letzten Jahres wiedererkennen werden. Es handelt von dem Punkt im Leben, an dem du dir sagst, wenn es noch einmal eine Veränderung geben soll, dann muss es jetzt sein. Das passiert häufig bei Menschen so um die vierzig oder fünfzig, und ich mag die Idee dieser Neujustierung und Neubewertung, dass es da einen zweiten Teil in deinem Leben gibt, bei dem das Schicksal einen neuen Entschluss erfordert. Dabei geht es weniger um den Blick zurück als um den Blick nach vorn. All diese Momente möglicher Entscheidungen gab es in meinen Teenagerjahren reichlich und es war eine Mixtur aus Verheißung und blankem Terror, denn die Welt da draußen war beängstigend. Das will ich hier erforschen und ich glaube, das gilt für Menschen von beiden Seiten des Altersspektrums, für den Menschen im gesetzten Alter, der seinen Einkaufswagen vor sich herschiebt, ebenso wie für den pubertierenden Jüngling, der vor irgendeiner Entscheidung steht.“

Und ist TAAB 2 aus der Sicht von heute ein Konzeptalbum? Ian Anderson ist davon überzeugt. „Ja, es ist ganz klar ein Konzeptalbum! Es ist zudem ein sehr erwachsenes und reifes Konzeptalbum, aber es sollte Menschen jeden Alters ansprechen. Das ist ein intellektuelles Unterfangen. Ich bin mir nicht sicher, wie viele Menschen sich darauf einlassen werden, aber ich denke genügend, um diese Platte zu rechtfertigen. Es ist ganz unverfroren in der Art und Weise, wie es zum Zuhören und Nachdenken zwingt. Manchmal ist die Musik sehr geradlinig und groovt auch, und manchmal funktionieren die Sachen auch, ohne dass man sich großartig anstrengt. Aber für das Konzept insgesamt, für einen Großteil der Songtexte und auch für einen Teil der Musik muss man sich schon richtig reinhängen. Ich glaube, das machen auch viele gerne. Man kombiniere dies mit all den Details, die rund um dieses Projekt in das Album eingeflossen sind, das Artwork und die Webseite StCleve.com, dann bekommt man ein richtig großartiges Paket zusammen, das vielen sehr viel Vergnügen bereiten wird.“

Martin Webb,
Januar 2012

Rotraut Hackermüller: Das Leben, das mich stört

„… ich winde mich auf meinem Liegestuhl fast in Krämpfen, … in den Schläfen bohrt sich jedes Wort ein, die Folge dieser Nervenzerrüttung ist, daß ich auch in der Nacht nicht schlafe“, klagt er, „… fast scheint es mir manchmal, daß es das Leben ist, das mich stört; wie könnte mich denn sonst alles stören?“

(Franz Kafka, Brief an Max Brod vom 24.01.1921, Lungenheilsanatorium Matliary, Villa Tatra, siehe Briefe 1902-1924, S. 288)

Eigentlich bin ich kein Voyeur, der sich in das Privatleben eines Schriftstellers zu schleichen wünscht. Manchmal finde ich es schon erschreckend, wie sehr gerade das Privatleben Kafkas, wenn auch (fast) immer sehr dezent, in unzähligen Büchern über ihn vor dem Leser ausgebreitet wird. Aber Kafka ist ein Phänomen, sowohl als Schriftsteller als eben auch als Mensch. Und wer sich etwas mit dem Menschen Kafka beschäftigt hat, versteht vielleicht eher die Erzählungen und Romane des Prager Dichters, die heute eindeutig zum unbestrittenen Kanon der Weltliteratur gehören. Vielleicht ist daher Kafka gewissermaßen gemeinfrei.

Neben Jirí Gruša: Franz Kafka aus Prag habe ich jetzt Rotraut Hackermüller: Das Leben, das mich stört. Eine Dokumentation zu Kafkas letzten Jahren 1917 – 1924 – Medusa Verlag – Wien-Berlin, 1984 – ISBN 3-85446-094-5 durchgeblättert. In Grušas Fotoband lernen wir das Prag Kafkas kennen, jene Stadt, die Kafka nicht los ließ: „Dieses Mütterchen hat Krallen.“ In der Dokumentation zu Kafkas letzten Lebensjahren gelingt es ihm nun, den Krallen zu entkommen. Endlich, aber um welchen Preis:

„Sein Gehirn habe ‚die ihm auferlegten Sorgen und Schmerzen’ nicht mehr allein tragen können, schreibt Franz Kafka an Milena Jesenská; es habe sich daher an die Lunge gewandt, mit der Bitte, einen Teil der Last zu übernehmen … ‚und so wird es noch ein Weilchen gehen.’ Von den sieben Jahren, die die Lunge half, die Last zu tragen, berichtet dieses Buch.

Über dem, was Kafka an der Welt und am Leben zu leiden hatte, tritt das Physische in den Hintergrund; Kafka als ‚Patient’, als ‚klinische Fall’ ist eine Reduktion, die sinnvoll sein mag, wenn es gilt, die Biographie um einige Facetten zu bereichern. Der Dichter hat, wie er sagt, die Tuberkulose selbst ‚herbeigerufen’; zunächst schien sie ihm kaum Bedrohung, sondern im Gegenteil Befreiung von Verpflichtungen – gegenüber Beruf, Eltern, der Braut Felice Bauer (die Krankheit war Vorwand für die zweite Entlobung). So fühlt es sich denn auch nach dem ersten heftigeren Blutsturz im August 1917 ‚besser als sonst’ und lehnt ärztliche Überwachung und einen Kuraufenthalt ab. Die Krankheit aber begnügt sich nicht damit, alles Leiden in einem Punkt zu konzentrieren; sie schreitet fort und wird selbst zur Verpflichtung, vor der nicht mehr auszuweichen ist.

Die nächsten drei Jahre nimmt Kafka mehrere Krankenurlaube, verbringt sie auf dem Land, in Zürau, Schelesen, Turnau, im Frühjahr 1920 drei Monate in Meran. Ende 1920 sieht er sich gezwungen, für neun Monate das Sanatorium Matliary in der Hohen Tatra [Bild siehe unten] aufzusuchen; am Ende stehen Todesahnung und die Worte: ‚… es ist kein Platz mehr für einen neuen Versuch … kein Versuch mehr bedeutet Ende.’

1922 wird er frühpensioniert; von einem letzten Ausbruchsversuch nach Berlin kehrt er im März 1924 todkrank nach Prag zurück, geht von dort jeweils für kurze Zeit ins Sanatorium Wienerwald, an die Hals-Nasen-Ohrenklinik des Allgemeinen Krankenhauses in Wien (Klinik Hajek), schließlich in die Lungenheilstätte Kierling bei Klosterneuburg, wo er am 3. Juni 1924 an Kehlkopftuberkulose stirbt.

Die Orte, die er aufgesucht, die Menschen, die Kafka während der letzten Jahre seines Lebens umgeben haben, sind auf nahezu 300 Bildern zu betrachten. Zum Großteil noch nicht veröffentlicht und in mühsamer Recherchierarbeit zusammengetragen, illustrieren sie den äußeren Ablauf der Krankheit, vor allem das bisher noch wenig dokumentierte Ambiente der Sanatorien (Matliary, Wienerwald, Kierling) mit Mitpatienten und Ärzten. Der Autorin ist es nicht nur gelungen, ein Porträt Robert Klopstocks zu finden, des Freundes der letzten Zeit, der Kafkas Sterben sah, sie hat auch im Allgemeinen Krankenhaus in Wien die verloren geglaubte Krankengeschichte des Dichters entdeckt, die hier erstmals publiziert wird.

Rotraut Hackermüller, geb. 1943 in Wien, Lehrerin, Autorin von zwei Lyrikbänden und Erzählungen, Essays usw., die in zahlreichen in- und ausländischen Zeitschriften und Zeitungen veröffentlicht wurden. Verschiedene Auszeichnungen.“
(aus dem Klappentext zum Bilderband)

Rotraut Hackermüller: Das Leben, das mich stört – Kafkas letzte Jahre 1917-1924 – Umschlagfoto: Warteraum der Klinik Hajek, Wien

Matliary in der Hohen Tatra (rechts Villa Tatra) – Sanatorium – Aufenthalt von Franz Kafka von Dez. 1920 – Aug. 1921

Franz Kafka (etwa 1923/24) – Dora Diamant (1928)

Dieser Bildband ist natürlich etwas mehr als ein Krankenbericht, dürfte aber in erster Linie den Leser interessieren, der sich noch etwas mehr mit Kafka beschäftigt. Allerdings sind allein auch die Fotografien von einem besonderen Reiz. Leider ist dieses Buch nicht wieder neu aufgelegt worden und so nur im Antiquariat erhältlich. Zur Kranken- und Leidensgeschichte habe ich so die wichtigsten Stationen von Kafkas letzten Jahren in einer Übersicht zusammengefasst:


Wohnung von Franz Kafka mit Dora Diamant vom 15.11.1923 – 01.02.1924 in Berlin-Steglitz, Grunewaldstraße 13 (mit Gedanktafel)

Sept. 1917 – April 1918 Zürau bei der Schwester Ottla
Sept. 1918 Turnau (Nordböhmen) für einige Tage
Nov. 1918 – März 1919 Schelesen bei Liboch
Apr. – Juni 1920 Meran
Meran-Untermais (Pension Ottoburg)
Schloß Friedland in Böhmen
Ende Juni/Anfang Juli 1920 Wien – Treffen mit Milena
Cafe Central (Arkadenhof)
Cafe Herrenhof (Herrengasse 10)
Aug. 1920 Gemünd (Grenze Österreich/Tschechien) Treffen mit Milena
Dez. 1920 – Aug. 1921 Matliary/Hohe Tatra (in Lamnitz/Tatranske Komnica von der Bahn abgeholt)
Villa Tatra
Tschirmer See
dann wieder in Prag
Juni-Sept. 1922 Planá an der Luschnitz
Mai 1923 Dobřichovice für einige Tage
Juni-Sept. 1923 Ostseebad Müritz mit Schwester Elli
Kennenlernen von Dora Diamant (Dymant)
Zwischenhalt in Berlin
wieder in Prag
einige Tage in Schelesen
ab 24.09.1923 Berlin-Steglitz, Miquelstraße 8
15.11.1923 – 01.02.1924 Berlin-Steglitz, Grunewaldstraße 13
ab 01.02.1924 Berlin-Zehlendorf, Heidestraße 25-26
bei der Witwe von Dr. Carl Busse
17.03.1924 zurück nach Prag (mit Max Brod)
05.04. – 10.04.1924 über Bahnstation Pernitz (Niederösterreich) ins Sanatorium Wienerwald im Feichtenbachtal
(75 km südl. von Wien)
anschl. Klinik Hajek, Wien IX, Lazarettgasse 14
Laryngologische Klinik
ab 19.04.1924 Kierling (Hauptstraße 187) bei Klosterneuberg
(15 km von Wien)
Privatsanatorium Dr. Hoffmann
03.06.1924 Tod Franz Kafkas in der Mittagszeit


Sterbeort Kranz Kafkas (3. Juni 1924): Kierling (Hauptstraße 187) bei Klosterneuberg – Privatsanatorium Dr. Hoffmann

Während eines Aufenthaltes im Ostseebad Müritz (heute Graal-Müritz) mit seiner Schwester Elli lernte Franz Kafka im Sommer 1923 Dora Diamant kennen, die ihn dann bis zu seinem Ende zu Seite stand und pflegte. Dora Diamant (jiddisch: Dymant) wurde am 4. März 1898 in Pabianice nahe Lódz (Polen) geboren. Ihr Vater war Hersch Aron Dymant (geb. 1874), ein gelehrter Anhänger des Chassidismus; ihre Mutter Friedel (geb. 1873) starb bereits, als Dora etwa acht Jahre alt war. Es ist eine ganz besondere Liebesgeschichte, die in diesem Bilderband endlich die Erwähnung findet, die sie verdient:

„Nun scheint ihm Dora endlich das Gefühl zu geben, dem Anspruch an das Glück zu genügen, denn dort, wo er nun zwangsweise versagen muß, entschuldigt ihn die Krankheit, so daß er ohne Angst erleben kann, wonach er sich sehnt. Doras aufopfernde Pflege, ihre mütterliche Wärme, Selbstlosigkeit und ihre bedingungslose Bereitschaft, ihr Leben mit dem Schwerkranken zu teilen, sind Ausdruck einer Seelengröße, die alles Leid überstrahlt. Max [Brod] ist überzeugt davon, daß diese beiden Menschen ‚ganz wundervoll’ zusammenpassen. Gerührt beobachtet er ihr verspieltes ‚Familienbad’, das gleichsam zur symbolischen Handlung wird, wenn sie gemeinsam ihre Hände in dasselbe Waschbecken tauchen.“ (S. 142)

Noch kurz vor dem Tode Franz Kafkas veröffentlichte der Kurt Wolff Verlag im Prager Tagblatt vom 20.4.1924 folgende Anzeige:

„Drei Prager Dichter … Max Brod … Franz Werfel … Franz Kafka … „

„Das Prager Tagblatt schrieb über Kafka: Daß der Publikumerfolg ausblieb, ist ein Beweis gegen das Publikum. Denn diese Aufzeichnungen traumhafter Begebenheiten sind der selten geglückte Versuch deutscher Literatur, abstrakteste Geschehen konkretest zu sagen. – Stilproben, in denen kein Wort entfallen, keines hinzugesetzt werden dürfte, wenn nicht der Bau zusammenstürzen soll, von allen Ismen freigebliebene peinlich saubere deutsche Prosa: das äußere Gewand. Gebändigte Phantasie, dahinter tausendfache Bedeutung, die man nur ahnen darf.“

Am 3, Juni 1924 zur Mittagszeit starb Franz Kafka: Als sich Klopstock [ein Freund] vom Bett entfernt, um die Spritze zu reinigen, bittet er: „Gehen Sie nicht fort.“ Der Freund beruhigt ihn. „Ich gehe ja nicht fort.“ „Aber ich gehe fort“, erwidert Kafka und schließt die Augen. (lt. Max Brod)

Anton Kuh schrieb in einem Nachruf, den „Die Stunde“ sieben Tage nach Kafkas Tod veröffentlichte:

„… Später werden sie sein Leben … dem Pascals vergleichen; sie werden Zusammenhänge zwischen seinen Dichtung gewordenen Traumberichten und der Psychoanalyse aufdecken; der Name Kleist wird die Vergleiche krönen.
Heute wissen sie sich nicht einmal der Ehre würdig zu erweisen, die dieser aus Prag Stammende Wien antat, in dem er, einen Kilometer von unserer Stadt entfernt, seine letzten Tage verbrachte und starb.
Kierling bei Klosterneuburg ist durch ihn in die Literaturgeschichte gekommen.“ (in Kuh, Anton: Luftlinien, hrsg. Von Ruth Greuner, Wien, 1981 – S. 471)

Kafkas Grab, in dem auch seine Mutter Julie und sein Vater Hermann bestattet sind, befindet sich im Neuen jüdischen Friedhof im früheren Prag-Straschnitz. Das Begräbnis fand am 11. Juni 1924 statt, acht Tage nach Kafkas Tod in Kierling bei Wien. Die hebräische Grabinschrift lautet in deutscher Übersetzung:

Dienstag, Beginn des Monats Siwan 5684, starb [wörtlich: ging in seine Welt] der obengenannte, prachtvolle, unvermählte Mann, unser Lehrer und Meister Anschel, seligen Angedenkens, der Sohn des hochverehrten R. Henoch Kafka, sein Licht möge leuchten. Der Name seiner Mutter ist Jettl. Seine Seele möge eingebunden sein im Bund des ewigen Lebens.

Nun also doch Gauck

Christian Wulff hatte Recht, als er meinte, „in einem Jahr ist das alles vergessen“. Nur wird er selbst auch vergessen sein. So ist er eigentlich kein Wort mehr wert. Aber doch noch soviel: Traurig ist es schon, wenn man sieht, wie uneinsichtig Wulff bis zuletzt war. Sicherlich muss man es kritisch sehen, wie die „Bild“-Zeitung ihn gehetzt und es indirekt geschafft hat, aus dem Amt zu treiben. Das war eine Hetz-Kampagne, ohne Zweifel und für viele zurecht beängstigend. Aber Herr Wulff hat dazu einen wesentlich Anteil beigetragen. Erst hofiert von diesem Boulevardblatt hat er schließlich selbst die Munition zu seinem Abschuss geliefert. Interessant, wenn auch nicht ganz durchsichtig, ist die Rolle der Bundeskanzlerin. Wulff war ihr Kandidat. Und ich bin sicher, dass sie ihn bis zuletzt in der Ansicht bestärkt hat, nicht zurückzutreten. Erst als die Staatsanwaltschaft Hannover beantragte, die Immunität des Bundespräsidenten aufzuheben, da war Wulff auch für Frau Merkel nicht mehr zu halten.

Tief durchblicken ließ dann das anfängliche Gezerre und Geschacher um die Nachfolge von Wulff in der Koalition, die in der Bundesversammlung, die den Bundespräsidenten wählt, immer noch die Mehrheit und dadurch gewissermaßen das Vorschlagsrecht hat. Da wurden Namen wie de Maizière, von der Leyen oder sogar Schäuble genannt (will sich Frau Merkel auch hier wieder unliebsame Konkurrenz aus dem eigenen Haus vom Hals schaffen?), obwohl SPD und Grüne gleich signalisierten, wenn mit uns, dann bitte möglichst keine aktiven Politiker und erst recht nicht mit Ministerposten. Dann kamen auch sehr bald Absagen, z.B. vom Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Vosskuhle. CDU und CSU drehten sich im Kreise.

Da könnte man es tatsächlich als einen geschickten Schachzug ansehen, wie sich die FDP, sicherlich auch aus wahltaktischen Gründen, plötzlich hinter Joachim Gauck, dem Favoriten der SPD, stellte. Noch zuvor tönte Unionsfraktionschef Volker Kauder herum, „einen Kandidaten von Gnaden der SPD werde es nicht geben.“ Der Bundeskanzlerin blieb fast nichts anderes mehr übrig und lenkte ein: Jetzt ist Gauck auch der Kandidat für CDU/CSU und damit so gut wie gewählt. Aber ist dem wirklich so? Ist es nicht eher ein gelungener Schachzug von Frau Merkel? Denn Gauck leitet gewissermaßen die nächste große Koalition ein. Wenn spätestens in zwei Jahren wieder gewählt wird, dann dürften SPD und Grüne ‚dank‘ der Linken nicht unbedingt die benötigte Mehrheit bekommen. Dann riecht alles nach großer Koalition. Und die hätte dann schon ihren gemeinsamen Bundespräsidenten ….

Gauck galt schon vor zwei Jahren, als er knapp Wulff unterlag, als der Kandidat, der es auch in einer direkten Wahl durch das Volk geschafft hätte. Jetzt wird also ein Mann Bundespräsident, der sowohl von den Bürgern als auch von der Politik (wenn vielleicht auch von manchem widerstrebend) akzeptiert sein wird. Seit November 2003 ist Gauck Vorsitzender des Vereins Gegen Vergessen – für Demokratie. Die Organisation setzt sich sowohl für die Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit als auch des Nationalsozialismus ein. Seit Jahren ist Gauck in „ganz Deutschland unterwegs, um bei Vorträgen oder in Schulen Menschen zu ermutigen – damit sie nicht in Bequemlichkeit verfallen und sich engagieren.“

Trotz aller Euphorie und Zustimmung für Joachim Gauck sollte bedacht sein, dass seine Ansichten in mancherlei Hinsicht sehr konservativ geprägt sind. Nicht all seinen politischen Standpunkten mag ich ohne Weiteres zustimmen. So befürwortet er den Auslandseinsatz der deutschen Bundeswehr in Afghanistan. Auch hält er wenig vom Protest gegen das Finanzsystem wie Occupy Wall Street (OWS). Viele halten ihn für einen Kommunistenjäger. Liest man im Netz, dann stolpert man schnell über Aburteilungen, die, so finde ich, sehr pauschal und wenig fundiert sind. Gaucks Äußerungen z.B. zu Sarazins Buch „Deutschland schafft sich ab“ sind keinesfalls Zustimmung für dessen umschrittene Thesen. Allerdings finde ich Joachim Gauck in mancher Hinsicht etwas zu naiv, ja sogar zu einseitig (da vom Alltag in der DDR geprägt). Vielleicht hilft ja das Gauck-Gespräch von 2010 mit der Süddeutschen Zeitung weiter.

Angesichts von Gaucks Alters hätte ich mir allerdings schon einen Jüngeren, ja endlich auch einmal eine Frau für dieses Amt gewünscht. Nun hat sich die Politik für Herrn Gauck entschieden. Und diese Entscheidung dürfte auch von einer breiten Mehrheit der Bevölkerung getragen werden. Aber so unumstritten erscheint mir Joachim Gauck nicht zu sein. Sehen wir, wie er sich als Bundespräsident äußern wird. Dass er etwas zu sagen hat, davon gehe ich aus. Nicht wie Herr Wulff, der es vorzog, zu Fragen der Zeit zu schweigen.

Wo bleibt die Energiewende?

In Europa soll bis zum Jahre 2020 ein Fünftel des Energieverbrauchs eingespart werden. Denn was man nicht verbraucht, muss nicht produziert werden. Es geht also um Richtlinien zur Energieeffizienz. Und genau da kommen die Herren Norbert Röttgen und Philipp Rösler ins Spiel, der eine Bundesumweltminister, der andere Bundeswirtschaftsminister und Vorsitzender einer eigentlich nicht mehr existenten FDP. Beide versuchen sich an einer Sachfrage strategisch zu profilieren, die längst entschieden sein müsste. Und so kommt Deutschland in diesem Punkt nicht von der Stelle. Vom Top-Duo der Ineffizienz ist bereits die Rede.

Und dann ist da noch das Märchen von der Stromlücke. Die Atomlobby skizziert ein Schreckgespenst vom Deutschland, dem der Strom ausgeht. Denn die großen Energieversorger trauern der billigen Atomkraft nach und den damit verbundenen Milliardengewinnen. Nur wenige von ihnen nutzen den Ausstieg, um verstärkt in die erneuerbaren Energien zu investieren. Aber trotz der klirrenden Kälte Anfang Februar konnte Deutschland sogar Strom exportieren. Zum Beispiel ins Atomstromland Frankreich.

Energiewende – jetzt sofort

Und dann haben wir da eben jenes Duo der Ineffizienz, die Herren Röttgen und Rösler. Der Ausbau der erneuerbaren Energien – und die damit verbundenen Subventionen sind Rösler ein Dorn im Auge. Da liegt er mit Röttgen im Clinch. Und so ist nichts mit Energieeinsparung und so gut wie nichts mit der Energiewende als solches.

Aber es kommt noch ‚besser’: Während der Kälteperiode war das deutsche Stromnetz dem Kollaps nah. Wasser auf den Mühlen der Atomlobby? Wie es aussieht, sind riskante Handelsgeschäfte Grund für diese ‚Unterdeckung’: „Hunderte Stromhändler kaufen für Großverbraucher und Versorger Strom zu, der gerade benötigt wird. Sie schätzen dabei anhand von Erfahrungswerten ab, wie viel gebraucht wird. Weil durch eine enorme Nachfrage, etwa auch in Frankreich, der Strompreis an der Börse auf teils weit über 350 Euro für die Megawattstunde hochschnellte, besteht der Verdacht, das die Händler Kosten sparen wollten und die Prognosen entsprechend klein rechneten.“

Wenn aber zu wenig Strom vorhanden ist, dann wird „über die für Notfälle als Absicherung des Systems vorgesehene Regelleistung zurückgegriffen“. Die Kosten hierfür sind mit 100 Euro je Megawattstunde deutlich billiger ist. Hier zocken Stromhändler mit unserer Versorgungssicherheit. Vielleicht sogar im Auftrag, um den Märchen von der Stromlücke Nahrung zu geben.

Wie es aussieht, so ist die Energiewende längst noch nicht in trockenen Tüchern. Solange Herr Rösler in dieser wichtigen Frage mitbestimmen darf, obwohl er und seine Partei längst jeglichen Rückhalt in der Bevölkerung verloren hat, solange muss man mit dem Schlimmsten rechnen. Eventuell sogar mit einem aus einer bestimmten Richtung gesteuerten oder aufgrund von geldgierigen Spekulationen erzeugten Kollaps des Stromnetzes.

Nach dem Rücktritt von Wulff als Bundespräsidenten stellt sich die Frage, ob es nicht an der Zeit ist, dass auch die FDP-Minister ihre Posten räumen, um die Voraussetzungen für Neuwahlen auch des Bundestages zu schaffen. Die Verschleppung der Energiewende darf nicht länger hingenommen werden.