„Reform“-Tarifvertrag

Ich arbeite bei einem Wohlfahrtsverband, bei dem die Gehälter nach einem eigenen Tarifvertrag bestimmt werden, der sich früher einmal sehr eng an den Bundesangestelltentarif (BAT) im Öffentlichen Dienst angelehnt hatte. Mit dem 1. Oktober 2005 wurde der BAT durch den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) abgelöst. Dieser enthält eine völlig andere Vergütungsstruktur. Entsprechendes geschah auch beim Wohlfahrtsverband, der einen so genannten „Reform“-Tarifvertrag schuf. Dieser neue Tarifvertrag wurde wie die jeweiligen Gehaltserhöhungen (Entgelttarifverträge) zwischen einer Bundestarifgemeinschaft des Wohlfahrtsverbandes und der Gewerkschaft ver.di – Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft, Berlin ausgehandelt.

Das Problem dieser neuen Tarifverträge war und ist, dass die neuen Entgeltgruppen (mit ihren jeweiligen Stufen) im Vergleich zu den Vergütungsgruppen des BAT ein deutlich niedrigeres Gehalt ausweisen, z.B. hätte ich nach dem neuen Tarif über 560 € weniger Gehalt bekommen, wenn dieses nicht durch einen so genannten Besitzstandsbetrag ausgeglichen worden wäre. Ein Mitarbeiter, der mit den gleichen tariflichen Voraussetzungen wie ich nach dem neuen Tarif bezahlt wird, bekommt also über 560 € weniger als ich. So schufen sich der Öffentliche Dienst und auch mein Wohlfahrtsverband enorme Einsparpotentiale. Die Kritik am BAT, seine starren Vorschriften erschwerten ein flexibles Arbeiten und berücksichtige nicht individuelle Leistung, ist sicherlich gerechtfertigt, ist aber nach meiner Meinung in diesen neuen Tarifverträgen halbherzig umgesetzt und daher mehr als fadenscheinig.

Soviel zur Vorrede.

Ich sollte ja eigentlich glücklich sein, noch nach dem alten Tarifvertrag eingestellt worden zu sein. Immerhin bekomme ich ja den Besitzstandsbetrag als Ausgleich, der auch durch die Entgelttarifverträge, also den in der Regel jährlichen Gehaltserhöhungen berücksichtigt wurde. Nun bin ich aber zum 1. Januar in meiner Entgeltgruppe eine Stufe höher eingruppiert, was früher einmal einer Gehaltserhöhung von knapp 500 € entsprochen hätte. Nur steht im so genannten „Reform“-Tarifvertrag folgender Passus: „Der individuelle Besitzstandsbetrag verringert sich entsprechend den jeweiligen Stufenaufstiegen“, d.h. der mir zustehende Besitzstandsbetrag von etwas über 560 € wurde um diese Erhöhung verringert. Ich bekomme also nur noch einen Besitzstandsbetrag von etwas mehr als 70 €. Klartext: Meine Gehaltserhöhung beträgt in der Summe 0 €. Oder auf gut Deutsch: Meine Gehaltserhöhung können sich gewisse Damen und Herren gern in ihren verlängerten Rücken stecken!

Reformtarifvertrag

Natürlich ist das alles rechtens. Ein einziger kleiner Satz im genannten Tarifvertrag lässt den Arbeitgeber bei mir jährlich 6000 € sparen. Der „Reform“-Tarifvertrag hat mich nach über sechs Jahren „endlich“ eingeholt. Dass ich mich verarscht fühle, ist wohl logisch.

Was ich von einer Gewerkschaft, die solche Verträge unterschreibt, halte, brauche ich wohl nicht näher auszuführen. Da von Reform zu sprechen, ist dann schon lächerlich. Aber warum sollten sich Arbeitgeber davon ausschließen, den Bürger abzuzocken, wenn auch „nur“ auf diese Weise.

Apropos Gewerkschaften: ver.di hat immerhin im April letzten Jahres für uns (und damit auch für mich) eine Gehaltserhöhung von 5,5 % durchgesetzt. So ließ es die Gewerkschaft in großen Lettern verkünden. Schaut man etwas genauer hinter diese Zahl, so kann man über diese „Augenwischerei“ von Gewerkschaftsseite her nur erstaunt sein:

Der vorherige Tarifvertrag lief am 31.12.2011 (übrigens mit einer Gehaltserhöhung für 2011 von 1,0 %) aus. Der neue Vertrag hat dann eine Laufzeit von zwei Jahren. Zum 01.07.2012 mit einer Erhöhung von 3,5 % – ab 01.01.2013 dann eine weitere Erhöhung von 2,0 %. Das sind dann 5,5 %, oder? Ich bin kein Kaufmann, aber Zinsen und ähnliches (und Gehaltserhöhungen gehören dazu) werden immer noch per annum gerechnet. Dann wären es für 2012 die Hälfte von 3,5 %, also gerade einmal 1,75 % Gehaltserhöhung – und für 2013 dann die genannten 2 %. Aber 5,5 %??? Das wäre so, als würde man auf zehn Jahre eine Erhöhung von 1 % als eine Erhöhung von 10 % ausgeben.

siehe u.a. auch meinen Beitrag. Bad Case Management

Über WilliZ

Wurde geboren (in Berlin-Schöneberg), lebt (nach einem Abstecher nach Pforzheim, längere Zeit in Bremen und Hamburg) in dem Örtchen Tostedt am Rande der Lüneburger Heide - und interessiert sich für Literatur, Musik, Film und Fotografie (sowohl passiv wie aktiv) ... Ach, und gern verreise ich auch!

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