Was ist bloß mit Ian los? Teil 10: Küsschen von Ian

Hallo Wilfried,

ich weiß nicht, wie ich es Dir beibringen soll, aber „Die Leiden des jungen Werther“ fand ich ebenfalls langweilig.

Auf dem Bild mit Deinem Konterfei schaust Du nicht beschämt, sondern konzentriert. Ich vermute, Du befindest Dich in einem Ladenlokal. Vielleicht ein Schallplatten- oder Buchladen. Aber andererseits: Wann wird man beim Einkaufen fotografiert ? Wie das Produkt einer Überwachungskamera wirkt das Foto nicht. Das Bild wurde mit einer kleinen Brennweite und ohne Blitzlicht aufgenommen, also muss der Fotograf kurz vor Dir gestanden haben und der Raum ausreichend beleuchtet gewesen sein. Jedenfalls hast Du bemerkt, dass Du fotografiert wirst. Ist das Bild am Ende gestellt ? Birgt Deine Frage vielleicht die Antwort schon in sich ? Betrachtest Du gerade etwas aus dem JT-Umfeld ? Viele Fragen, keine Antwort. Ich hoffe, Du wirst hier bald Abhilfe schaffen.

Den Begriff ‚Pibroch‘ kannte ich bis zu „Songs from the wood“ auch nicht. Aber ich habe die Angewohnheit, unbekannte Worte sofort nachzuschlagen. Hin und wieder bleibt mir eine Erklärung sogar im Gedächtnis haften. Ich erinnere mich, dass ich den Begriff „Nomenklatura“ im Laufe von schätzungsweise 10 Jahren mindestens dreimal nachgeschlagen habe. Mittlerweile sitzt er, zumindest solange, bis die zuständigen grauen Zellen sich verabschieden.

Deine Links funktionieren prächtig. Einzig mit dem Broadford Bazaar gab es einen Griff ins Leere. Verrate mir bitte, wo genau auf Deinen Sites der Song zu finden ist. Ohne eine roten Faden verirre ich mich immer noch bei WilliZ.

Ich habe mir gerade das „Beggar’s Farm“ – Video angesehen und die Fingerübungen bemerkt. Es könnte sich dabei aber auch um den Ausdruck von Nervosität handeln. Manchmal erwische ich mich selber auch bei unnötigen Fingerspielen. Dass eine Hand beim Flöten einschläft, glaube ich weniger. Hat sie doch bei dieser Tätigkeit ausreichend Bewegung. Mir sind schon häufiger Ähnlichkeiten in der Motorik des Mr. Anderson zu Joe Cocker aufgefallen. Hier wie dort ist in den Bewegungsabläufen nicht immer alles rund. Ich konstatiere: Der Meister steckt voller Geheimnisse. Vor allem dann, wenn man sich als Fan auf jedes noch so kleine Detail stürzt. Nicht umsonst stammt der Begriff ‚Fan‘ von ‚Fanatiker‘. Gerade habe ich Google die Suchbegriffe „Ian Anderson – eingewachsener Fußnagel“ eingegeben. Es liegt kein Eintrag vor.

Ich sehe Mr. Anderson auch als Landlord. Sein Bühnenoutfit aus der 77er Tour und das Cover von ‚Heavy Horses‘ unterstreichen diesen Eindruck noch. Ich denke, in seiner Folkphase sah er sich selber so. Und, egal, was er danach produzierte, wirkte er damals sehr glaubwürdig in dieser Rolle.

Mr. Barre sehe ich nicht als ein normales Bandmitglied an. Er wirkt auf mich eher wie ein Freund des Meisters, eine graue Eminenz, ein ruhender Pol, der Fels in der Anderson’schen Brandung. Auf einem Video ist zu sehen (ich weiß im Moment leider nicht, auf welchem – Anmerkung Williz: Im Tampa-Tullavision-Video Crazed Institution von 1976), wie der Meister seinem Gitarristen ein Küsschen auf die Wange haucht.

Küsschen von Ian

Im Grunde ist es mir gleich, wer bei den Tulls gerade Bass, Drums und Keyboards spielt. Mit einer Ausnahme: Dieser androgyne Typ aus der „A“ – Zeit passte in die Gruppe wie Sahne auf die Currywurst. Und überhaupt: Die weißen Overalls damals. Wie Waschmaschinenmonteure oder Leute von der Spurensicherung. Die Dickens-Lumpen aus den späten 60ern / frühen 70ern passten viel besser zum Image der Gruppe. Vielleicht habe ich es schon einmal erwähnt: In meinen Augen begann 1980 eine rasante Talfahrt von JT, die bis jetzt nicht gebremst werden konnte. “ The train wont stop going — No way to slow down. „

Die Gruppe Focus kenne ich nur aus Deiner Website. Allerdings ist mir Jan Akkermann ein Begriff, wenn auch nur ein oberflächlicher. ‚Sieben Tage lang‘ ist wohl das Lied, das ich am häufigsten pfeife. Die Melodie ist einem bretonischen Volkslied entnommen (I’m sure, you know).

Kurze Story hierzu: Diesen Sommer hatte ich das Liedchen wieder einmal auf den Lippen, als meine Frau mich fragte, was ich da wieder für einen Mist flöte. Ich antwortete ihr, dass sie davon nichts verstehe, das sei ein Arbeiterlied. An diesem Abend musste ich ungeküsst einschlafen.

Von unserem Häuschen ist es bis zur niederländischen Grenze nicht weit. Hier im Grenzgebiet gab und gibt es einen Sprit-Kaffee-Tabak – Tourismus. Bevor Du Dich zu Holländerwitzen hinreißen lässt: Ich bin niederländischer Staatsbürger. Nicht aus Überzeugung, sondern von Geburt. Ist ganz praktisch, wegen der Bundeswehr.

Abschließend zu Deinem Suicid-Aufsatz:
Nachdem ich mich nun ein wenig abgeregt habe, kann ich vielleicht sachlich darüber schreiben. Vor einigen Tagen hast Du mir geschrieben, dass Du Dich für Psychologie interessierst. Dies, Deine bevorzugte Literatur, Dein Angriff auf einen antisemitschen Mel Gibson, Dein in ciceronischer Eloquenz vorgetragenes Plädoyer für Herrn Grass und überhaupt Dein ganzer Internetauftritt vermittelten bis gestern den Eindruck, es mit einem linksliberalen (Betonung auf liberal) Philanthropen zu tun zu haben.

Und dann das ! Ich will jetzt nicht lange darauf herumreiten; die angedrohten 200 Seiten werden es nicht. Nur: Kannst Du Dir vorstellen, wie verzweifelt ein Mensch sein muss, um sich in eindeutiger Absicht den Bahngleisen zu nähern, selbst wenn diese Gleise den Herrn Albin zur Arbeit oder, noch schlimmer, nach Hause tragen sollen ? Haben diese Menschen nicht etwas anderes verdient als Spot und Häme ? Diese Menschen bedenken in den seltensten Fällen die Folgen ihres Tuns, in diesem Moment sind sie zu sehr mit ihrem eigenen Los beschäftigt. Und dann die Fotos zu dem Artikel. Du hast wieder schön deutlich gemacht, dass Du zu jedem Beitrag das passende Foto greifbar hast. Aber musste das in diesem Fall wirklich sein ? Das hätte ein Bild-Redakteur kaum besser machen können. Der Bruder eines Klassenkameraden warf sich vor einen Zug. Der Vater eines angeheirateten Onkels von mir erhängte sich. Hoffentlich schauen die Hinterbliebenden dieser Welt nicht in Deine Seiten. Im Grunde steht mir Kritik an Deiner ureigensten Website überhaupt nicht an. Du kannst veröffentlichen, was Du willst, ohne Dich vor irgendjemanden rechtfertigen zu müssen.

Sieh‘ es mal so: Mit meinem Kommentar und diesen Zeilen möchte ich lediglich meine Verwunderung über die bis dahin unbekannte Seite des Wilfried A. ausdrücken.

Über die oft aussichtslosen Bemühungen, eine menschenfreundliche Weltanschauung zu bewahren, würde ich an anderer Stelle gerne mehr schreiben.

Für heute ist es genug.

Viele Grüße und gute Besserung !

Lockwood

07.09.2006

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Hallo Lockwood,

Du bist also niederländischer Staatsbürger! Und es gibt da Witze über Holländer? Was zeichnet denn deren besondere Charakteristik aus, das so oft den Grund für solche Witze legt? Ähnlich wie bei den Ostfriesen, den weiteren Nachbarn, deren etwas einfältige Art? Kann ich mir eigentlich nicht denken.

Auf Focus und Bots (und dem besagten Lied, das Du also nicht nur kennst, sondern mit dem Du durch Pfeifen Deine Frau nervst) bin ich vor kurzem wieder gekommen. Bots habe ich irgendwann Ende der 70-er Jahre in einem kleinen Ort zwischen Bremen und Bremerhaven ‚in concert’ gesehen. Damals war es schon so etwas ähnliches wie eine Hymne. Auf Bots und den sieben langen Tage kam ich, als ich im Internet vor einiger Zeit (auf einer russischen Seite – mit einigen weiteren interessanten Links) auf jede Menge MP3s mit Folk-Musik u.a. stieß; u.a. gleich zweimal ein Lied namens Son ar Chistr (Ev‘ chistr ‚ta Laou), was wohl Cidre-Lied (Apfelweinlied) heißt, gespielt von den Gruppen namens Mervent aus Russland (!!!) und Chieftains aus Irland – genau das Lied! Mithin ist der Ursprung wahrscheinlich nicht rein bretonisch, aber auf jeden Fall keltisch (irgendwo steht da: The melody of this Breton drinking song was borrowed by Ray Fisher for the Scottish traditional ballad “Willy’s Lady” – man meint hier doch nicht meine Frau?)

Inzwischen habe ich im Internet (wo sonst) das Liedchen von Bots als MP3, allerdings auf Holländisch gefunden: Zeven dagen lang! So schließt sich der Kreis (wenn Interesse an dem Lied als MP3 besteht, dann kann ich sie Dir zum Herunterladen bereitstellen – aber sicherlich hast Du das Lied sowohl auf Deutsch als auch auf Holländisch – ich werde wohl auch einen eigenen Beitrag zu diesem Lied schreiben).

Und Focus: Eigentlich suchte ich ‚House of the Kings’ von der Gruppe, weil dieses Lied früher immer wieder Jethro Tull zugerechnet wurde (ich kann mich nur dunkel daran erinnern, irgendwie war es mit Living in the Past artverwandt, wenn auch kein 5/4-Takt). Dafür fand ich aber anderes Material, mit dem ich frühere Jahre heraufbeschwor. Aber da warst Du ja noch ein junger Knabe mit lockigem Haar (Nichts für ungut). Ja, mit dem Alter kommt man so in eine Nostalgie-Phase. Da kommen plötzlich Erinnerungen hoch, die man für total begraben glaubte. Unser Plausch trägt da nicht unwesentlich bei.

Zu Ian Andersons Fingerspielen: Ich könnte mir nach wie vorstellen, dass seine Hand eingeschlafen ist, die ausreichende Bewegung ist kein Gegenargument. Immerhin muss er beide Hände beim Flötenspielen ziemlich hoch halten (überm Herzen), da sackt das Blut schnell ab. Ich habe ja früher auch Musik gemacht (E-Bass), und nach einen der (Gott sei Dank) wenigen Auftritte, die allerdings mit Pausen bis zu vier Stunden dauerten, hätte ich meine Finger einschl. Hände wegwerfen können, so taub waren diese. Ich habe allerdings das ganze Konzert vorliegen – und da macht er immer wieder diese Fingerübungen. Was noch sein könnte: es sind irgendwelche Nachwirkungen seiner Deep vein thrombosis (also einer Thrombose in den im Körper tiefliegenen Venen), die ihn hätte fast sterben lassen. Aber ich bin kein Arzt. Vielleicht gucke in andere Konzertausnahmen der letzten Jahre und ob er dort auch öfter die Fingerübungen macht.

Nach langer Zeit gibt es bei laufi.de wieder einmal ein Video (und die nächsten sollen folgen). Ich habe mir beide Version heruntergeladen (Du weißt: Mit rechter Maustaste auf den Link klicken, dann ‚Ziel speichern unter …’ oder ähnliches, je nach Webbrowser). Es stammt aus einer älteren TV-Dokumentation „All you need is love“ und äußert sich kritisch zum Glitterrock, den aufgrund ihrer Kostümierung auch Tull zugerechnet werden. Minstrel in the Gallery wird hier leider nur zerhacktstückt wiedergegeben (ich dachte, ich könnte daraus Teile in mein jetzt schon aus 3 Teilen bestehendes Minstrel-Video einfügen, aber das sind wirklich nur Schnipsel, leider). Interessant ist das Video auf jeden Fall, da sich Anderson zum Outfit äußert, was man gewissermaßen auch auf die Neuzeit anwenden könnte. Danach würde Anderson im Piratenlook auftreten, weil es die Fans so wollen (oder weil Anderson denkt, dass sie es so wollen).

Ach so mein Bildchen. Also ich gucke im eigentlichen Sinne nicht konzentriert. Und der Fotograf stand nicht vor mir, sondern saß, wenn auch dicht vor mir, was bedeutet, dass ich auch gesessen haben muss. Wenn schon konzentriert, dann ganz ‚hingegeben’ … – … nämlich einem mindestens 5000 Kalorien enthaltenden Eisbecher, den Löffel schon in der Hand, den ersten Happen ‚vor Augen’. In meinem Blick vereinen sich also Vorfreude, Hingabe, Sinnengenuss, entspannte Spannung (hoffentlich schmeckt das Eis auch so, wie es aussieht), Abkehr von Umwelteinflüssen und ich weiß nicht, was noch. Das Ursprungsbild ist eigentlich nicht so toll, aber durch geschickte Manipulationen am Rechner, ist das Dir vorliegende Ergebnis herausgekommen.

WilliZ geniesst

Abschließend zu meinem Selbstmördertag-Beitrag und Deinem Wunsch der ’guten Besserung’ (ich will jetzt kein Öl ins Feuer gießen, aber das mit der guten Besserung klingt nicht mehr nur ironisch).

Also um es auf den Punkt zu bringen: ich wollte mich alles andere als lustig machen über Selbstmörder, Selbstmordkandidaten und deren Angehörigen. Wer in einer solch tiefen inneren Krise steckt, dass er nur noch den Freitod wählen möchte, braucht dringende Hilfe. Wüsste ich, dass ein eigener enger Angehöriger in einer solchen Krise steckte, so würde ich versuchen zu helfen.

In dem Beitrag ging es auch eigentlich gar nicht um solche Menschen. Es ging um die wie es im Sprachgebrauch der Deutschen Bahn heißt: unbefugten Personen, die sich verbotener Weise auf Bahngelände bewegen und dadurch teilweise stundenlang den Bahnverkehr lahm legen. Meist sind das volltrunkene Leute, die gar nicht wissen, wo sie sich eigentlich aufhalten. Auch solche Menschen brauchen eigentlich Hilfe, besonders wenn sie sich schon am frühen Freitagnachmittag vollgeschüttet haben. Dass ich hier verwirrte Starkalkoholiker mit Selbstmördern gleichgesetzt habe, war der eigentliche Fehler. Aber irgendwie ist exzessiver Alkoholmissbrauch auch der reinste ‚Selbstmord’. Und statt dieses Suizids auf Raten (oder dem zufälligen Tod auf dem Gleis) habe ich andere Möglichkeiten, Du weißt schon, vorgeschlagen.

Auch so bleibt der Beitrag zynisch. An dem Tag muss mir aber wirklich die Galle übergelaufen sein. Wohl erst reichlich Stress auf der Arbeit, dann endlich Feierabend und das Wochenende vor Augen: Und dann hängt man, da kein Zug fährt, am Hauptbahnhof fest, weil … Wünscht du nicht auch hin und wieder bestimmten Leuten ‚die Pest’ auf den Leib?

Ich könnte jetzt sagen, okay, das war es und ich lösche den Beitrag. Aber da bin ich stur (norddeutsch). Der bleibt …?!

Jetzt reicht es aber. Am Wochenende treffen wir uns mit vielen Bekannten zum Flusskrebsessen, einer skandinavischen Tradition. Dabei sind auch Vertreter der nordischen Länder wie Finnland und Island. Selbst meine Söhne, die Feierlichkeiten dieser Art eher langweilig finden, freuen sich schon darauf.

Bis bald – hier noch der Link auf den Broadford Bazaar-Beitrag mit Musik (über die Steuerungsleiste kann man die Musik starten, einfach aufs Dreieck klicken, notfalls auch 2x, denn manche Webbrowser zicken da etwas). Übrigens gibt es im Weblog auch die Möglichkeit der Suche (unterhalb der Rubriken), die funktioniert ganz gut.

Also bis bald
Wilfried

P.S. Es ist mir ja schon fast etwas peinlich, wie fleißig Du meine Beiträge liest und Dich auch zu Kommentaren hergibst. Natürlich freut es mich. Solche Leser wünscht man sich. Es gibt sicherlich viele Leser, aber nur wenige wagen es, sich auch zu äußern. Wohl eine Volkskrankheit: Stillschweigen! Was mir peinlich ist: Ich raube Dir Zeit (aber Du „raubst“ ja auch mir Zeit, dann gleicht sich das aus – Tschüss!)

08.09.2006

English Translation for Ian Anderson