This was … Jethro Tull (1)

Heute endet „Jethro Tull’s Ian Andersons“ „Thick as a Brick“-Deutschland-Tour mit dem Konzert im Dresdener Kulturpalast. Am 20. und 21. Juli gibt es dann noch zwei Open-Air-Konzerte in Burg Herzberg und Calw.

Lange habe ich überlegt, ob ich eines der Konzerte besuchen werde. Thick as a Brick ist auch für mich ein Meilenstein der Rockmusik und gern hätte ich es einmal in voller Länge aufgeführt gesehen und gehört. Jetzt wäre die Chance da und ich habe sie verpasst. Sicherlich hätte ich mich am letzten Freitag auf nach Aurich machen können. Die Entfernung dorthin war eine ‚schöne’ Ausrede. Aber wenn, dann hätte ich das Konzert gern mit meinen Söhnen besucht. Und denen wollte ich das nicht antun. Die Gründe sind bekannt. Zum einen sind es die Gesangsleistungen von Ian Anderson. Zum anderen fehlt mir die Begeisterung für TAAB2. Fremdschämen liegt mir nicht.

St: Cleve Cronicle: Thick as a Brick goes live!!!
Quelle: Leon Alvarado Plays Genesis

Natürlich habe ich jetzt die Rezensionen zu einigen Konzerten hier in Deutschland gelesen. Und die haben mich in meiner ablehnenden Haltung bestärkt. Hier einige Auszüge:

Die Berliner Morgenpost schreibt neben einer ausführlichen Würdigung von TAAB u.a. „Ian Andersons Stimme ist über die Jahre gereift. Man könnte auch sagen, sie hat rein altersbedingt etwas gelitten.“ Der Rezensent der Stuttgarter Zeitung geht mit Ian Anderson dagegen richtig hart ins Gericht: „Hier passt nicht mehr viel zusammen“ lautet die Überschrift und „die Stimme des bald 65-jährigen Anderson [ist] mittlerweile derart angeschlagen, dass er zwar gewohnt engagiert am Mikrofon kämpft, aber kaum noch je den richtigen Ton trifft.“ „‚Thick as a Brick’ Teil eins ist über jeden Zweifel erhaben. Von Beginn an entfaltet das bitterböse Stück über den achtjährigen Gerald Bostock […] seinen Charme.“ Zu TAAB2 steht dort aber: „Aus siebzehn oft blassen Mosaiksteinen bastelt Anderson die Fortsetzung. Er zitiert mal hier den Vorgänger, greift dort auf tausendfach gehörte Jethro-Tull-Muster zurück und kämpft sich so durch eine Stunde Belanglosigkeiten.“

Die Main-Spitze (Rhein Main Presse) ist etwas gnädiger: „Ian Anderson mit der akustischen Gitarre, Ian Anderson mit Querflöte – das klingt zunächst wie 1972. Da ist der etwas fülliger gewordene Tausendsassa mit dem Kopftuch, das das gelichtete Haupthaar verbirgt, voller Spielfreude, voller Improvisationslust und Temperament. Aber Ian Anderson als Sänger – zumindest in Teil eins, bei der Ur-Komposition, trifft er vielfach die Töne nicht, hält die Melodie nicht, hat Schwierigkeiten mit der Höhe.“ Immerhin werden die Mitstreiter gewürdigt: „Die Band hingegen spielt vor der Pause wie danach glänzend, findet problemlos in den Jethro-Tull-Sound mit seinen abrupten Wechseln von Laut zu Leise und wieder zurück. Glänzende Gitarre, ein exquisiter Schlagzeuger: alles gut.“

Auch unter wa.de – das Konzert in Hamm betreffend – wird zunächst ausführlich TAAB als „beispielloses Konzeptalbum“ hervorgehoben. Gelobt wird dann die Sängerrolle von Ryan O’Donnell: „Die Klangfärbung seiner Stimme ähnelte der des ‚jungen’ Frontmannes, der augenscheinlich kein Problem damit hatte, dass sein neuer Partner über vokale Qualitäten verfügt, die er selbst zu besten Zeiten nicht erreichte.“ Was ich allerdings bestreite. Anderson in jungen Jahren hatte deutlich mehr Power. Schön ist hier auf jeden Fall die Fotostrecke zum Konzert.

Okay, ich habe hier einiges aus dem Zusammenhang gerissen. Lediglich die Rezension aus Stuttgart ist auf Konzert und TAAB2 bezogen wirklich negativ. Alles in allem werden aber meine Vermutungen und meine Eindrücke auch aufgrund der Videoschnipsel von Konzertmitschnitten in England bei YouTube nur bestätigt. Ich will Ian Anderson und seine Jungs hier nicht verreißen. Es gibt wohl genügend deutsche Fans, die begeistert von den Konzerten waren (TAAB sei dank).

Es gibt aber noch etwas, dass mich sogar mehr als geärgert hat. Das ist das „offizielles“ Video vom Tullmanagement bei YouTube: Ian Anderson – Banker Bets, Banker Wins live show in the UK 2012. Leider ist das in Deutschland nur auf einem Umweg (mit dem Add-on „Stealthy“ für den Firefox) zu sehen und zu ‚hören’ (hier kooperiert YouTube gnadenlos mit der GEMA). Live ist hier akustisch nur der Applaus am Ende, die Musik kommt aus der Konserve. Das grenzt schon an Betrug.

Nun dieser Artikel lautet: This was … Jethro Tull in Anspielung an das erste Album der Gruppe. Was einmal am Anfang stand, steht jetzt am Ende. Frei übersetzt: Das war’s! Ian Anderson und Martin Barre, letzterer zwar nicht Gründungsmitglied, aber doch eine Art Ur-Mitglied von Jethro Tull, gehen getrennte Wege. Damit hat sich die Gruppe in meinen Augen aufgelöst. Alles andere steht in den Sternen. Natürlich ist oder war Jethro Tull in erster Linie Ian Anderson – und umgekehrt. Wenn Ian Anderson jetzt sich und seiner Band das Namensungetüm „Jethro Tull’s Ian Anderson“ gibt und das damit begründet, dass er immer, wenn er Songs als Jethro Tull präsentiere, das Problem habe, dass Betrunkene vor der Bühne nur die lauten Teile hören wollten („Für mich ist es außerordentlich schwer, die leisen Abschnitte zu spielen, wenn Leute dabei pfeifen und herumbrüllen.“), dann ist das nur die halbe Wahrheit. Anderson trägt der Trennung von Martin Barre gleichfalls damit Rechnung. Ich will gar nicht darauf herumreiten, dass Jethro Tull immer nur mit Anderson UND Barre denkbar ist. Zuviele Musiker haben sich in den Jahren die Klinke in die Hand gegeben. Da ist am Ende auch ein Martin Barre austauschbar. Nein, wenn ich Das war’s sage, dann meine ich damit, dass es insgesamt mit Jethro Tull zu Ende ist. Wenigstens für mich …!

(Die EINS hinter der Überschrift verdeutlicht es: So ganz bin ich noch nicht FERTIG …)

Über WilliZ

Wurde geboren (in Berlin-Schöneberg), lebt (nach einem Abstecher nach Pforzheim, längere Zeit in Bremen und Hamburg) in dem Örtchen Tostedt am Rande der Lüneburger Heide - und interessiert sich für Literatur, Musik, Film und Fotografie (sowohl passiv wie aktiv) ... Ach, und gern verreise ich auch!

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