Kleinkrieg in Tostedt?

Es ist schon etwas her, was in Tostedt, Ortsteil Todtglüsingen geschah: Am Samstag, den 11.2., wurde lt. Polizeipresseartikel „gegen 23.45 Uhr […] die Polizei in die Rosenstraße gerufen. Dort war es vor einem Mehrfamilienhaus, in dem auch ein amtsbekannter Rechtsextremist wohnt, zu mehreren Schussabgaben gekommen.
[…] Bei der Sachverhaltsaufnahme wurde bekannt, dass sich bereits am Nachmittag, gegen 16.30 Uhr ein solcher Vorfall ereignet hatte.

Am Sonntagabend [12.02.2012], gegen 23.35 Uhr wurde die Polizei erneut alarmiert. Wieder wurden mehrere Schüsse in der Straße abgefeuert. […]
Die Polizei hat Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz eingeleitet. Bislang gibt es keine Spur zu den Tätern. Die Beamten des Staatsschutzes sind mit den Ermittlungen befasst.“ (Quelle: presseportal.de/polizeipresse)

Am Tatort wurden übrigens Hülsen einer Schreckschussmunition sicherstellen.

Obwohl die Täter unbekannt sind, warnt die Polizei „vor einer drohenden Gewalt-Eskalation zwischen Links- und Rechtsextremen in Tostedt. ‚Die jüngsten Entwicklungen beunruhigen uns sehr’, sagte Uwe Lehne, Leiter der Polizeiinspektion Harburg […]. Nachdem das Oberlandesgericht Celle das Urteil gegen den Rechtsextremen Stefan Silar aufgehoben hat […], haben offenbar gezielte Provokationen aus der linken Szene zugenommen. Zuletzt griff die Polizei in der Nacht zu vergangenem Samstag [18.02.2012] eine Gruppe von 13 Mitgliedern der Antifa-Szene aus der gesamten Region auf. Bei der Überprüfung der Personalien kam es zu einem Handgemenge, in dessen Folge ein Polizist stürzte und sich den Arm brach. Ein anderer Beamter verletzte sich an der Hand […] :“ (Quelle: Kreiszeitung Nordheide Wochenblatt vom 22.2.2012 – Nr. 8 – 41. Jg – S. 1)

Der Polizeichef, Herr Lehne, ist bekanntlich auf dem rechten Auge stark kurzsichtig, zumindest suggeriert die Aussage von Herrn Lehne, dass die Schüsse von Mitgliedern der Antifa abgegeben wurden, obwohl dies nicht einmal ansatzweise belegt ist. Schreckschusswaffen werden im Übrigen gern in der rechten Szene benutzt (Der Neo-Nazi Silar hantierte verbotenerweise mit einer solchen Waffe).

Wer hat also jetzt in Tostedt (im Ortsteil Todtglüsingen) mehrmals vor dem Haus, in dem der Rechtsextreme Silar wohnt, geschossen? Einiges spricht durchaus für Mitglieder der linksgerichteten AntiFa. Nachdem die im Gemeinderat vertretenen Partei zu einer Demonstration gegen Rechts aufgerufen hatten und über 1000 Bürger diesem Aufruf gefolgt waren (Tostedt wehrt sich gegen Neonazis), sah sich die AntiFa wohl aufgefordert, selbst wieder „das Heft in die Hand“ zu nehmen, sprich: eigene Aktionen gegen Silar und Co. durchzuführen.

Schaut man sich im Internet die einschlägigen Websites der rechtsextremen Szene rund um Tostedt an, dann verwundert es schon, dass die Schussabgaben vor dem Silar-Haus mit keinem Wort erwähnt werden. In tostedtgegenlinks findet sich als Letztes ein Bericht über einen „wiederholte[n] Farbanschlag auf das Geschäft Streetwear-Tostedt“, also dem Laden von Herrn Silar. Mehr nicht. Und im infoportal-nordheide wird zuletzt von der Razzia bei Mitgliedern der rechtsextremen Szene (u.a. auch in Tostedt – siehe unten) berichtet. Nichts von Schüssen gegen Silar.

Auf de.indymedia.org, eine unabhängige Medienplattform, das von der linken Szene genutzt wird, findet sich ein interessanter Hinweis: Ist Herr Silar vielleicht ein V-Mann und kommen die Schüsse gegen ihn wegen Rache aus der rechten Szene (die eben gern mit Schreckschusswaffen hantieren)? Einiges scheint tatsächlich für die Annahme zu sprechen, dass Silar ein V-Mann ist. Vielleicht erklärt sich so auch die erwähnte Urteilsaufhebung. Wenn dem so ist, dann frage ich mich allerdings, ob man hier nicht „den Bock zum Gärtner“ gemacht hat. Welche umstrittenen Rollen V-Männer rund um die Ermittlungen zu den Taten der Zwickauer Terrorzelle gespielt haben, brauche ich nicht weiter zu erwähnen.

So gesehen spricht doch einiges dafür, dass die Schüsse von Rechtsradikalen abgegeben wurden. Vielleicht auch deshalb, um die linke Szene zu denunzieren. Denunziation ist ein „beliebtes“ Mittel der Rechten.

Und da waren dann ja noch die Razzien gegen Mitglieder der rechtsextremen Szene. Wer nun glaubt, dass endlich mit Neo-Nazis und ihren Handlangern aufgeräumt wird, muss sich allerdings mehr als getäuscht sehen. Worum ging es bei den Razzien?

„Am 17. Dezember war eine Gruppe schwarz gekleideter Personen durch Hamburg-Harburg gezogen.
Die Demonstranten trugen weiße Totenmasken und Fackeln. Sie skandierten rechte Parolen und bewegten sich in Marschordnung in Dreierreihen auf der Straße. Außerdem hatten sie Megaphone und ein Transparent dabei. Polizisten stoppten den Aufzug, mehrere Teilnehmer flüchteten. In 17 Fällen konnten aber die Personalien festgestellt werden.“ (Quelle: ndr.de/regional)

Und genau bei diesen 17 Personen ermittelte nun die Staatsanwaltschaft Anfang März „wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz und das Uniformierungsverbot gegen die drei Frauen und 14 Männer. Die Razzia fand in den Hamburger Stadtteilen Eißendorf und Wandsbek statt. In Niedersachsen wurden Wohnungen in Neu-Wulmsdorf, Hannover, Tostedt, Buchholz, Tarmstedt, Wistedt und Lilienthal durchsucht.
Laut Hamburger Staatsanwalt fanden die Ermittler die Totenmasken und beschlagnahmten zudem Datenträger, Computer und schriftliche Unterlagen. Festgenommen wurde niemand.
Die Versammlung im Dezember steht nach Polizeiangaben im Zusammenhang mit einer rechtsextremistischen Gruppe, die […] auf ihrer Webseite anti-demokratische und rassistische Parolen verbreitet und deren Aktionen durch weiße Masken wiedererkennbar werden sollen.
Laut Polizei werben Unterstützer dieser Gruppe dafür, an einer rechtsextremistischen Versammlung in der Hamburger Innenstadt Anfang Juni teilzunehmen.“

Ich hatte gehofft, dass die Razzien in Hamburg und Niedersachsen im Zusammenhang mit den Razzien in Bayern und Rheinland-Pfalz stünden, bei denen 61 Wohnungen von Rechtsextremisten durchsuchten wurden. Aber es ging ‚nur’ um diesen rechten Flash-Mob kurz vor Weihnachten.

In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, wie es mit Razzien in Herrn Silars Laden steht, der „unter dem Ladentisch“ sicherlich auch Artikel verkauft, die aufgrund ihres neonazistischen Inhalts verboten sind. Denn solange Verdachtsmomente dieser Art bestehen, wäre es mehr als angebracht, Herrn Silar entsprechend auf dem Zahn zu fühlen. Wenn meine Informationen stimmen, dann wurden solche Razzien von Zeit zu Zeit durchgeführt, wenn auch ohne Erfolg, da Silar zuvor ‚gewarnt’ worden sein soll. Ob das nun im Zusammenhang mit einer angeblichen V-Mann-Tätigkeit Silars in Verbindung steht oder ob im schlimmsten Fall in Polizeikreisen Sympathisanten rechter Kreise arbeiten, vermag ich natürlich nicht zu sagen.

In diesem Zusammenhang möchte ich zuletzt noch auf einen weiteren Aspekt hinweisen: Neonazis geben sich immer wieder den Schein sozialen Engagements (z.B. Kinderschutzkampagne, „Aktiv gegen sexuelle Gewalt“). Besonders Frauen sind mehr und mehr in die ‚Aufbauarbeit’ der Rechtsextremen einbezogen; siehe folgenden Bericht aus der Kreiszeitung Nordheide Wochenblatt vom 25.2.2012:

Sozialer Schein bei Neonazis

(Quelle: Kreiszeitung Nordheide Wochenblatt vom 25.2.2012 – Nr. 8a – 41. Jg – S. 3)

Über WilliZ

Wurde geboren (in Berlin-Schöneberg), lebt (nach einem Abstecher nach Pforzheim, längere Zeit in Bremen und Hamburg) in dem Örtchen Tostedt am Rande der Lüneburger Heide - und interessiert sich für Literatur, Musik, Film und Fotografie (sowohl passiv wie aktiv) ... Ach, und gern verreise ich auch!

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