Zlatá Praha (3): Prag 1982 – Bier und Kafka

Die Reise nach Prag im April 1982 könnte man als eine Tour auf den Spuren trinkbarer Erzeugnisse Pilsener Brauart bezeichnen. Auch wandelten wir in Prag auf Kafkas Spuren. Auf der Anreise machten wir Halt in Nürnberg und in Pilsen (siehe Zlatá Praha (2): Hinfahrt nach Prag 1982). Am Dienstag, den 6. April 1982 kamen dann mein Freund und ich mit unseren Rucksäcken auf den Rücken gegen 14 Uhr am Prager Hauptbahnhof (Praha hlavní nádraží) an.

Wie schon in Pilsen so war es vor 30 Jahren auch in Prag ein Problem, eine preiswerte Unterkunft zu finden. Zunächst versuchten wir es bei Čedok, einem verstaatlichten (1990 wieder privatisierten) Reiseunternehmen, das damals auch Hotels in Prag anbot. Das mit 380 Kronen (Kcs.) angeblich billigste Zimmer (fast 100 DM) war uns leider schon zu teuer. Wir versuchten es dann selbst und grasten einige Hotels in der Hybernska nahe dem Hauptbahnhof ab. Über Umwege kamen wir dann zu Pragotur, die ab 17 Uhr auch Privatunterkünfte vermittelten, was uns nicht nur preislich entgegenkam. So machten wir uns also auf, fuhren mit der Metro bis zur Station Hradčanská und von dort acht Stationen mit der Straßenbahn der Linie 20 auf der anderen Seite westlich der Moldau in Richtung Petřin(y). Ich habe versucht die Straße Dostálova ausfindig zu machen, aber wahrscheinlich wurde diese inzwischen umbenannt. Auf jeden Fall muss sich unser Quartier in der Nähe der Haltestelle Anděl am Ende der Štefánikova befunden haben. Gegen 18 Uhr trafen wir bei Magda und Václav M. ein, die uns herzlich begrüßten und uns gewissermaßen ihre gute Stube als Unterkunft überließen. Nachdem wir uns frisch gemacht hatten, kehrten wir in die Innenstadt zurück und aßen im Hotel Palace (heute ein 5-Sterne-Hotel) beim Wenzelsplatz (Václavské náměstí) zu Abend.

Privatunterkunft in Prag 6

Križovnická (Kreuzherrengasse)

Privatunterkunft in Prag 6

Křižovnická (Kreuzherrengasse)

U Fleku - Kremencova 11

U Fleků – Křemencova 11

Am Mittwoch, den 7. April 1982 ging es zunächst auf den Hradschin mit der Prager Burg und dem Veitsdom. Leider stellte sich das alles als Baustelle dar, sodass wir schon bald in Richtung Altstadt liefen. Heute dürfte das alles ‚besucherfreundlicher’ sein. Die Route in die Altstadt habe ich grob zusammengestellt:


Größere Kartenansicht
(A) Nerudova – (B) Křižovnická (Kreuzherrengasse) – (C) Kaprova – (D) Wenzelsplatz/ Národní – (E) Křemencova (U Fleků)

In der Nerudova westlich der Moldau tranken wir in einer Kneipe erst einmal zwei Prager Bierchen und kamen mit jungen englischen Touristen ins Gespräch, die ebenfalls über Pragotur eine preiswerte Unterkunft gefunden hatten. Sie beneideten uns wegen der oft guten Deutschkenntnisse der Prager. Mit Englisch kamen sie damals nicht allzu weit.

Anschließend gingen wir über die Karlsbrücke in die Altstadt – u.a. die Křižovnická (Kreuzherrengasse) längst -, dort noch einmal über den Wenzelsplatz und abends dann kehrten wir ins U Fleků in der Křemencova 11 ein. Heute ist das ein beliebtes Ziel von Touristen, die hier teilweise sogar busweise angekarrt werden. Schon vor dreißig Jahren war das Restaurant sehr voll gewesen. Zu dunklem Flekbier aßen wir zuerst einen böhmischen Schweinebraten mit Knödeln und Kraut; später gönnten wir uns noch eine Schlachtplatte u.a. mit Prager Schinken – alles zu annehmbaren Preisen; das Flekbier kostete damals 5 Kronen (also etwas weniger als 1,20 DM). Gegen 22 Uhr brachen wir wieder auf zurück in unsere Unterkunft.

Am Donnerstag, den 8. April 1982, besuchten wir im Hradschin das Museum für tschechische Literatur (Památník národního písemnictví – die Bibliothek war leider geschlossen) in der Strahovské nádvoří 1, da es draußen regnete und stürmte. Es gab einiges zu Jan Hus zu sehen, außerdem eine Ausstellung mit Buchillustrationen (Thomas Mann, Franz Kafka und u.a. zu den „Brémski muzikanti“). Als das Wetter sich etwas besserte, gingen wir wieder über die Karlsbrücke in die Altstadt.

Nun Ostern stand ja vor der Tür und so boten einige Tage vor Ostern Frauen am Ausgang der Karlsbrücke handbemalte Eier an, das Stück für 5 Kronen (knapp 1,20 DM). In Tschechien hat das Bemalen der Ostereier („kraslice“) eine lange Tradition. In christlicher Symbolik steht das Ei u.a. für Fruchtbarkeit und Auferstehung. Und diese Eier waren wirklich mit viel Liebe und handwerklichem Können gefertigt. Ich habe mir damals gleich ein halbes Dutzend dieser Eier für meine Familie gekauft. Leider sind diese im Laufe der Jahre alle zu Bruch gegangen. Das folgende Bild zeigt aber, wie diese Eier aus Prag (sie waren allerdings alle nur in roter Farbe) in etwa aussahen:

    Ostereier aus Prag

Außerdem sahen wir viele Jungen oder Eltern mit Weidenruten durch die Straßen gehen: „Nicht ganz so verbreitet wie das Eierbemalen ist der Brauch junger Männer, am Ostermontag mit selbstgeflochtenen Weidenruten Mädchen zu versohlen. Dies ist nicht unbedingt als Strafaktion zu verstehen, soll doch symbolisch die Lebenskraft des Baumes auf den Menschen übergehen. Dennoch setzen sich die Mädchen verständlicherweise zur Wehr, entweder mit Wasserkübeln oder indem sie den Jungs verzierte Eier schenken.“ (Quelle: prag-cityguide.de)

Von der Karlsbrücke gingen wir diesmal die Karlova entlang zum Altstädter Ring, sahen hier am Altstädter Rathaus die Astronomische Uhr – es war gerade 13 Uhr und wir konnten sie schlagen hören. Neben dem Jan Hus-Denkmal und dem Geburtstaghaus Kafkas warfen wir dann noch einen Blick auf den alten Jüdischen Friedhof, der leider nicht zugänglich war. In der Straße Na Příkopě beim Platz der Republik (náměstí Republiky) schauten wir dann noch in das damals größte Kaufhaus der ČSSR hinein.

Abends dann kehrten wir in der Maislova im „U Golema“ (Beim Golem) ein. Hier aßen wir nach jüdischer Art und gönnten uns statt Bier einmal einen halbwegs trinkbaren Rotwein. Alles allerdings nicht gerade preiswert. Das Restaurant heißt nach der Figur aus der jüdischen Legende, die aus Ton bestand und zum Leben erweckt wurde (siehe auch: Gustav Meyrink: Der Golem).

Abends guckten wir dann beim Bahnhof noch einmal vorbei, um zu schauen, wann unser Zug zurück nach Deutschland fuhr. Dabei lernten wir in der Bahnhofsgaststätte noch einen Typen kennen, Alois R. aus Zdounky, mit dem wir uns noch längere Zeit unterhielten, wenn auch mehr mit Händen und Gesten anstatt mit Worten. Dann ging es zurück in unsere Unterkunft.

Am Freitag (Karfreitag), den 9. April 1982 verabschiedeten wir uns bei unseren Gastgebern, die uns noch mit Kuchen, Kaffee u.a. für die Rückreise versorgten. Es war ein Händeschütteln ohne Ende. Die Tochter, die in der Schule Deutsch lernte und uns so für ihre Eltern dolmetschte, spielte noch etwas auf der Heimorgel zum Abschied, so als gingen alte Bekannte. Der Zug fuhr pünktlich um 11 Uhr 25 über Marienbad und Pilsen los, und obwohl er brechendvoll war, bekamen wir noch zwei Fensterplätze. In Cheb an der Grenze gegen 15 Uhr 30 wurde der Zug dann aber auch schlagartig leer. Von hier fuhren wir über Schirnding nach Marktredwitz. Unterwegs schneite es einwenig. In Marktredwitz übernachteten wir in einer Jugendherberge, die es heute nicht mehr gibt. Kein Wunder, denn vor dreißig Jahren waren wir zur Osterzeit die einzigsten Gäste. Am folgenden Tag ging es dann durch eine Winterlandschaft und bei Schneegestöber mit dem Zug Richtung Schnabelwald, anschließend nach Nürnberg, wo wir noch eine Nacht blieben, diesmal in der Nähe des Hauptbahnhofes in der Luitpoldstraße im Hotel Probst. In einem Braukeller gönnten wir uns zum Bier Spannferkel. Abends besuchten wir dann noch das Nürnberger Volksfest, um uns doch wenigstens einmal eine Maß Bier zu erlauben – und gerieten in ein wildes, abenteuerliches Durcheinander. Zum Einen waren nach einem Fußballspiel Fans der gegnerischen Mannschaften (DFB-Halbfinale HSV und 1. FC Nürnberg) im Festzelt eingetroffen und meinten, den Wettkampf ihrer Mannschaften hier handfest fortsetzen zu müssen. Zum Anderen waren jede Menge angetrunkener Amerikaner zugegen, die in ihrem Zustand zusätzlich für eine wilde Stimmung sorgten. Ein besonders Schlauer meinte, einer Serviererin von hinten an ihre Oberweite greifen zu müssen, was ihm schlecht bekam. Als dann die gläsernen Maßkrüge durch die Lüfte flogen, machten wir uns aus dem Staub, schließlich wollten wir am folgenden noch heil nach Hause kommen. Das Zelt wurde dann von der Polizei geräumt. Am Sonntag, den 11. April 1982 ging es dann mit dem Intercity zurück nach Hause.

In wenigen Tagen liegt diese Reise nun schon 30 Jahre zurück. So wie damals würde ich heute nicht mehr reisen wollen. Aber gerade dadurch, dass wir den Kontakt mit den ‚Einheimischen’ nicht scheuten, bekam die Reise ihren besonderen Reiz. – Fotos habe ich damals natürlich auch gemacht. Allerdings hat das entsprechende Fotoalbum ganz hinten in der Abseite im Dachzimmer seinen Platz gefunden und es bräuchte lange Zeit, es dort auszugraben. Ich denke, es gibt im Internet reichlich viele, sicherlich auch gelungenere Schnappschüsse aus Prag. – Was mich eigentlich heute noch erstaunt, war die außergewöhnliche Gastfreundschaft der Tschechen. Eigentlich hatten sie keinen Grund, uns Deutsche zu mögen. Auf Radtouren über die niederländische Grenze hinweg viele Jahre zuvor habe ich erleben müssen, wie wir als jugendliche Deutsche mit Verachtung und dummen Sprüchen gestraft wurden. Die Tschechen waren da ganz anders. Sie verstanden, dass wir als junge Menschen nichts mit den Verbrechen einer früheren Generation zu tun hatten. Vielleicht lag es auch an uns, die sich immer aufgeschlossen und gleichsam freundlich zeigten. Prag steht bei mir auf jeden Fall nach so vielen Jahren wieder ganz oben auf dem Zettel. Vielleicht werde ich spätestens im nächsten Jahr mit meinen Lieben Prag besuchen. Vielleicht auch wieder zur Osterzeit. Zlatá Praha, goldenes Prag!

siehe auch: Zlatá Praha (1)

Über WilliZ

Wurde geboren (in Berlin-Schöneberg), lebt (nach einem Abstecher nach Pforzheim, längere Zeit in Bremen und Hamburg) in dem Örtchen Tostedt am Rande der Lüneburger Heide - und interessiert sich für Literatur, Musik, Film und Fotografie (sowohl passiv wie aktiv) ... Ach, und gern verreise ich auch!

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