Ernst und/oder unterhaltend (Musik)

Es ist ein Kreuz mit den Schubkästchen. Spätestens seit Aristoteles ist es Brauch, alles Mögliche zu klassifizieren und in Gattungen, Arten und dergl. zu untergliedern. Wie sollte es da mit der Musik und der Literatur nicht anders sein. Die Krux ist es aber, nicht immer das richtige Fach zu finden.

Verbleiben wir heute einfach nur bei der Musik. Da unterscheidet man zunächst einmal ganz schlicht zwischen E- und U-Musik – und eine F-Musik kommt für alle Fälle auch noch hinzu. E steht für ernst und kulturell wertvoll, U für unterhaltend, populär, fast immer kommerziell und ohne Anspruch, Kunst zu sein. Und F für funktional (Militärmusik, Kirchenmusik, Bühnenmusik und Filmmusik). Sie wird auch Gebrauchsmusik genannt und soll hier vernachlässigt werden.

Die Klassifizierung in E- und U-Musik ist ziemlich neu. Gern wird dabei eine „hohe“ Musik von einer „niederen“ unterscheidet (Im Englischen kennt man die Begriffe ‚serious music’ und ‚art music’ bzw. ‚popular music’ und ‚light music’).

Die Grenzen zwischen E- und U-Musik sind natürlich fließend und zudem nur im zeitlichen Kontext zu sehen. Musik, die früher einmal der U-Musik zugerechnet wurde (z.B. Operetten), kann heute zur E-Musik gehören; umgekehrt allerdings weniger (vielleicht nur durch exzessiven kommerziellen ‚Missbrauch’, z.B. für Werbung).

Ob eine Unterscheidung von U-Musik und E-Musik möglich ist und ob damit Werturteile verbunden sind, ist Thema der Musikästhetik und der Musiksoziologie und wird in den Interessenverbänden kontrovers diskutiert – auch deshalb, weil diese Einteilungen mit ökonomischen Interessen verbunden sind.

Ernste Musik oder Kunstmusik wird meist in ein Mäntelchen eingehüllt, dem wir das Synonym klassische Musik gegeben haben und im Wesentlichen die europäische Musiktradition (von der alten bis zur neuen Musik) betrifft. Ohne Probleme ordnen wird da Komponisten und Musiker wie Johann Sebastian Bach, Mozart, Beethoven und auch Strawinski und Arnold Schönberg zu.

Unterhaltsame Musik gliedert sich im Grunde in Popularmusik und Volksmusik, wobei beides ursprünglich das Selbe beinhaltete: Der deutsche Begriff „Volkslied“, als Übersetzung der englischen Bezeichnung „popular song“, stammt aus einer 1773 erschienenen Rezension von Johann Gottfried Herder über eine 1765 in England erschienene Sammlung von englischen und schottischen Balladen. Im Gegensatz zur Popularmusik (auch Popmusik) sieht man in der Volksmusik heute meist die regionaltypische Musiktradition (siehe hierzu auch den Beitrag: Was ist bloß mit Ian los? Teil 70: Von folkloristischen grauen Haaren aus Dublin)

Soweit die Unterscheidung im Groben. Der U-Musik sagt man meist nach, sie wäre gekennzeichnet durch „Einfachheit“ oder gar „Trivialität“ und zeichne sich durch eine als angenehm empfundene einfache Harmonik und durch leicht einzuprägende und nachsingbare Melodiefolgen aus. Wie war das noch mit der Krux?

Neben „Der Mai ist gekommen“ gilt „Komm lieber Mai und mache“ als eines der beliebsteten Lieder, die eben zu einer Zeit gesungen werden, in der Bäume ausschlagen und kleine Veilchen blühen. Letzteres stammt von keinem Geringeren als Johann Amadeus Mozart (KV 596), genau dem, der hier im Text weiter oben als eindeutig der E-Musik zugeordnet wurde. Ist das aber nicht ein Volkslied – eigentlich? Oder doch ‚schon’ ein Kunstlied? Ähnlich verhält es sich mit Franz Schuberts Forelle.

Apropos ernst und kulturell wertvoll … und Mozart? Wie viele sicherlich wissen, war unser kleines Wolferl ein in mancherlei Hinsicht ganz Schlimmer. „Gute Nacht, gute Nacht, scheiß ins Bett, daß’ kracht; gute Nacht, schlaf fei’ g’sund, und reck’ den Arsch zum Mund!“ heißt es da.


Wolfgang Amadeus Mozart – Bona nox, bist a rechta Ox (KV 561)

Dem nicht genug, komponierte und dichtete Mozart den sechsstimmiger Kanon „Leck mich im Arsch“. Seine Entstehung lässt sich auf das Jahr 1782 datieren. Zu Lebzeiten des Komponisten blieb das Werk ungedruckt, erst seine Witwe Constanze Mozart überließ es dem Leipziger Verlag Breitkopf & Härtel zur Publikation. Dort wurde allerdings die erste Zeile des Textes in „Lasst froh uns sein“ abgeändert. Der Kanon erhielt die Köchelverzeichnis-Nummer 231. Seit der dritten Auflage von 1937 trägt er dort die Nummer 382c und wurde so in einer Gruppe mit mehreren Kanons und kleineren Gelegenheitswerken, darunter auch „Leck mir den Arsch fein recht schön sauber“ KV 382d (ehemals KV 233), zusammengefasst.


Wolfgang Amadeus Mozart – Leck mich im Arsch (KV 382c)

Nur so am Rande: Über Mozarts Hang zur Koprolalie gibt es reichlich Belege, wahrscheinlich litt er sogar am Tourette-Syndrom (siehe Mozart und das Tourette-Syndrom). Aber das ist ein anderes Thema, gelt, Sauschwanz Wolfgang Amadé Rosenkranz?!

Aber genug zu Mozart an dieser Stelle (ich verweise auf Mozart an anderer Stelle in diesem Blog: Amadeus, der GrößteHappy birthday, Amadeus!Spirits of Mozart – Ian Andersons Mo’z Art MedleyAlso sprach Schincklass – Mozartetc.)

U-Musik ist also nicht immer hehrer Art, sondern kann durchaus auch sehr profan sein (wie schön, das zu wissen). Andersherum geht es natürlich auch. Was gern als alltäglich, simpel und fernab jeglicher Kunst betrachtet wird, kann durchaus die Kriterien der U-Musik erfüllen. Ein beliebtes Beispiel: Thick as a Brick von der Gruppe Jethro Tull (Jethro Tull live on 10th Feb. 1977 at Golders Green Hippodrome – Teil 1Teil 2)

Über Jethro Tulls „Thick as a Brick“ habe ich mich hier lang und breit ausgelassen. Dem ist kaum noch etwas hinzuzufügen. Im Zusammenhang mit diesem über 40-minütigen Stück wurde und wird immer wider der Begriff Konzeptalbum benutzt. Zusammen mit dem Text (Libretto) und dem Cover des Albums kann man durchaus auch von einem Gesamtkunstwerk sprechen. Ja, Kunstwerk, denn das ist dieses Album ohne Zweifel. Es wird dem Progressive Rock zugerechnet und ist neben melodischem Hardrock stark von Folk-Rock-Elementen, Jazz und in Teilen der klassischen sinfonischen Musik beeinflusst. Die Musik wechselt vielfach zwischen unterschiedlichen Stilen und Tempi und wirkt im Ganzen wie eine sinfonische Dichtung (von Suite, also einem Zyklus von Instrumental- oder Orchesterstücken, ist die Rede) oder – wegen des Gesangs – eine Kurzoper. In der Terminologie der klassischen Musik verwendet man gern auch den Begriff Programmmusik.

“Thick as a Brick” ist ein Grenzgänger zwischen E- und U-Musik und schon eher der ernsten Musik zuzurechnen, denn den vollen Genuss erlangt man erst, wenn man das Album „in aller Stille“ hört.

Ja, mit den Schublädchen ist das schon so eine Sache. Wie gut, dass sich eben doch nicht alles so einfach einordnen und beschriften lässt. Gerade anspruchvolle Musik, ob als E- oder U-Musik etikettiert, – und natürlich auch Literatur – verdient kein starres Korsett, sondern braucht Raum und Zeit, um ‚atmen’ zu können und als ‚schön’ wahrgenommen zu werden (Wahrnehmung = Ästhetik).

Über WilliZ

Wurde geboren (in Berlin-Schöneberg), lebt (nach einem Abstecher nach Pforzheim, längere Zeit in Bremen und Hamburg) in dem Örtchen Tostedt am Rande der Lüneburger Heide - und interessiert sich für Literatur, Musik, Film und Fotografie (sowohl passiv wie aktiv) ... Ach, und gern verreise ich auch!

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