Peter Gabriel: Scratch My Back

Wenn die Herren Rockmusiker in die Jahre kommen, dann tun sie sich zunehmend schwer und versuchen sich immer wieder selbst neu zu erfinden. So Ian Anderson von der Gruppe Jethro Tull, der von Konzert zu Konzert eilt, was seiner Stimme aber – wie hier an anderer Stelle ausreichend diskutiert – nicht gerade gut tut. Ähnlich konzertwütig zeigt sich auch ein anderer Heroe der Rockmusik: Peter Gabriel, der in diesen Tagen 60 Jahre alt wurde. Während Gabriels Stimme zwar rau klingt, aber nicht so ‚neben sich liegt’ wie bei Anderson, zeigen beide Musiker erstaunlich viele Parallelen auf: Beide sind oder waren Frontmann und Gründungsmitglied bekannter Progressive-Rock-Bands, und beide haben späterhin traditionelle, nichtwestliche Musikformen in ihre Kompositionen einfließen lassen.

Während Ian Anderson schon früh auch Überschneidungen der eigenen Musik mit der klassischen Musik beschritt (A Classic Case von 1985, 1993 und 2008 wiederveröffentlicht unter dem Titel The London Symphony Orchestra Plays Jethro Tull unter der Leitung des Ex-Mitglieds David Palmer – oder Ian Anderson Plays the Orchestral Jethro Tull von 2005) feiert Peter Gabriel seinen 60sten Geburtstag mit der Veröffentlichung der CD Scratch My Back (Special Edition) – Lieder im klassischen Gewand – wenn auch nicht die eigenen.

Eigentlich gehört Peter Gabriel nicht zu den Musikern, die die Lieder anderer covern. Aber auf dieser neuen CD ist nicht ein Lied aus der eigenen Feder. Wer nun denkt, Gabriel covert hier nur oder versucht die Lieder anderer ‚neu zu interpretieren’, der kennt Gabriel nicht: Er dekonstruiert die Vorlagen teilweise bis zur Unkenntlichkeit und formt sie zu völlig neuen Klanggebilden. Und weil es sich ein Gabriel niemals einfach macht, gab’s obendrauf noch die Prämisse, dass keine Gitarren und kein Schlagzeug verwendet werden durften. Dafür gestattete sich der Engländer zum Teil üppige Orchesterbegleitungen. Schon der Opener „Heroes“ (von David Bowie) offenbart eindringlich, dass Peter Gabriel überhaupt kein Interesse an einer dem Original angemessenen Neufassung hatte.

Bowies ebenso energische wie letztlich romantische Vision vom Widerstand gegen Stacheldraht und Mauer in Ostberlin wird bei Gabriel zum wehmütigen Abgesang an den Sturm und Drang der Jugend. Hier singt ein alter, vom Leben schwer gezeichneter Mann von einstigen schwärmerischen Illusionen. Er kann sich noch daran erinnern, aber diese Zeiten sind wie eben auch bei Ian Anderson längst vergangen.

Seine Vergangenheit, die ihn von Art- und Progressiv-Rock zu Pop und World Music führte, spielt so auf dieser Scheibe auch kaum eine Rolle. „Scratch My Back“ wurde mit verschiedenen Chören und Orchestern eingespielt, wobei sich Gabriel beim Arrangieren seiner sehr persönlichen Versionen unter anderem von John Metcalfe (The Durutti Column) unterstützen ließ. Zum Schmunzeln ist der Titel, denn Gabriel dreht den Ausspruch „You scratch my back and I’ll scratch yours“ um – etwas einseitig als „Eine Hand wäscht die andere“ zu übersetzen-, ist doch geplant, dass alle hier gecoverten Gruppen bzw. Solokünstler sich nun mit Covern aus Gabriels Fundus revanchieren wollen. Die schwermütig und getragenen, manchmal dramatischen Lieder in Moll, in den die Streicher Trauer tragen, sind jedenfalls sehr eigenwillig und gelungen. Mit seiner prägnanten Stimme entführt Peter Gabriel die Stücke

„Heroes“ (David Bowie)
„The Boy In The Bubble“ (Paul Simon)
„Mirrorball“ (Elbow)
„Flume“ (Bon Iver)
„Listening Wind“ (Talking Heads)
„The Power Of The Heart“ (Lou Reed)
„My Body Is A Cage” (Arcade Fire)
„The Book Of Love” (Magnetic Fields)
„I Think It’s Going To Rain Today” (Randy Newman)
„Après Moi” (Regina Spektor)
„Philadelphia” (Neil Young)
und „Street Spirit (Fade Out)” von Radiohead

in eine sehr emotionale, sehr persönliche Welt. Einen einzelnen Song herauszunehmen, hieße das Ganze auseinander zu reißen, denn das Album mit seinen stark kontrastierten Versionen kennt kaum Höhen und Tiefen, es ist ein Werk im Fluss.

Obwohl ich nie ein großer Fan von Genesis und Peter Gabriel war und bin, so gefällt mir diese CD doch ausgesprochen gut. Ich muss gestehen, dass ich nur wenige der Originalfassungen der Lieder kenne und so schlecht vergleichen kann. Aber das ist auch gar nicht nötig. Die „dekonstruierten“ Fassungen von Gabriel klingen für sich:


Peter Gabriel -Heroes (David Bowie)

Weitere Lieder: Peter Gabriel – Listening Wind (Talking Heads)Peter Gabriel – The Book Of Love (Magnetic Fields) — alle weiteren Lieder siehe YouTube-Account von JonasOceansize

Über WilliZ

Wurde geboren (in Berlin-Schöneberg), lebt (nach einem Abstecher nach Pforzheim, längere Zeit in Bremen und Hamburg) in dem Örtchen Tostedt am Rande der Lüneburger Heide - und interessiert sich für Literatur, Musik, Film und Fotografie (sowohl passiv wie aktiv) ... Ach, und gern verreise ich auch!

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