Wie konnte es geschehen?

Wo soll ich noch nach weiteren Irrtümern und Fehlern suchen, die unsere jetzige Lage mit erklären können? Wir haben unsere Gegner unterschätzt und uns überschätzt. Darin liegt die Ursache unseres Untergangs. Ich aber spreche mich nach diesem Rückblick über Aufstieg und Ende unserer Partei von der Schuld frei, in meinem Gebiet der Propaganda etwas versäumt zu haben, das dieses Ende hätte verhindern können. Die einzige Waffe, die bis zum Augenblick scharf und kriegsfördernd geblieben ist, ist unsere Propaganda. Ich habe sie, d.h. die Kunst, glaubhaft zu lügen, zu einer Großmacht entwickelt. Denn wenn selbst jetzt noch breite Massen an eine Wendung zu unseren Gunsten glauben, wenn angesichts der Feinde vor Berlin und des Anflutens der feindlichen Massen von Westen her die Hoffnung auf unseren Sieg noch lebt, dann ist das der beste Beweis für die Macht einer modernen Propaganda, die der Masse alles einreden kann, selbst den Sieg in einer so hoffnungslosen Lage.

Ich gestehe, daß es mich mit Lust erfüllt hat, dieses Instrument der Massenführung zu benutzen, daß es mein Ehrgeiz war, so meisterhaft und wirkungsvoll zu lügen, daß selbst die Wahrheit das Feld räumen mußte, daß es ein köstliches Gefühl war, Macht zu besitzen und einem Volke das Gesicht zu geben, das allein von dem Gesetz meiner Lehrmeister geformt wurde: der Zweck heiligt die Mittel.

Das sind zwei Absätze aus dem Schluss eines Buches mit dem Titel: Wie konnte es geschehen?, das 1945 im Verlag Das Volk Berlin erschien und von Max Fechner herausgegeben wurde. Max Fechner (* 27. Juli 1892 in Berlin; † 13. September 1973 in Schöneiche) war später Minister für Justiz der DDR.

Der Untertitel zu diesem Buch lautet: Auszüge aus den Tagebüchern und Bekenntnissen eines Kriegsverbrechers – gemeint ist Joseph Goebbels. Goebbels war einer der führende Köpfe des Nationalsozialismus und Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda (Goebbels selbst war übrigens nicht glücklich über diese Bezeichnung; sie war ihm zu offenkundig. Hitler bestand aber auf diesen Namen).

Das kleine Buch lieh mir mein Nachbar, der pensionierte Pastor Otto K. („Otto find ich gut!“), nach einem ausführlichen Gespräch über Flucht und Vertreibung während des 2. Weltkrieges. Meine Frau und ich treffen uns öfter zum Kaffee mit Otto und seiner Lebenspartnerin. Es sind immer wieder anregende Gespräche, die wir führen.

Die in diesem Buch veröffentlichten Tagebuchaufzeichnungen scheinen tatsächlich von Goebbels zu sein. Die enthaltenen Bekenntnisse sind aber wohl doch nur fiktiv. Das Buch ist 1945 im Osten Deutschlands erschienen und diente wohl der Propaganda der Sowjets, um den Menschen zu verdeutlichen, welchem sadistischen Regime sie erlegen waren.

Goebbels' Sportpalastrede 1943: Wollt Ihr den totalen Krieg?

Propaganda gegen Propaganda? Sicherlich. Ich habe die Tagebücher des Joseph Goebbels nie gelesen. Aber es ist bestimmt hoch interessant, aus dem Munde der Täter selbst zu erfahren, was sie dachten, was sie veranlasste, diesen menschenverachtenden Apparat zu installieren. Wie kein anderes Regime zuvor (und wohl auch danach) setzten die Nationalsozialisten auf Propaganda. Mit dem Radio, dem Volksempfänger (im Volksmund ‚Goebbelsschnauze’ genannt), hatten die Nazis ein Gerät, mit dem sie bis in die Wohnzimmer der Mitmenschen agitieren konnten. Und wie kein anderer verstand es Goebbels, seine Reden schlicht, aber einprägsam zu formulieren. Höhepunkt und Paradebeispiel der Rhetorik und der Propaganda ist die Rede vom 18. Februar 1943 im Berliner Sportpalast, in der er zum „Totalen Krieg“ aufrief. Für uns ist es heute kaum nachvollziehbar, wie hier ein Mann eine Masse zur ‚totalen’ Aufgabe ihres Denkens bringen konnte.

Nun das Buch enthält weitere aufschlussreiche Hinweise zum Aufstieg des Nationalsozialismus. Für das Großkapital entwickelte es sich im Jahr 1933 zu einem Zweikampf zwischen Kommunisten und Nationalsozialisten, eigentlich ein Kampf in und um die Arbeiterschaft. Das Bürgertum schien auf der Strecke zu bleiben. Hier nun verstand es Hitler, Großbürgertum und Industrie zu beruhigen und damit auf seine Seite zu bringen. Es wurde ein fast völlig autarker Binnenmarkt geschaffen, der auf Rüstung setzte und damit dem Großkapital Geld und den Massen Arbeit verschaffte. Nach außen hin war die deutsche Reichsmark nur wenig wert – aber wen interessierte das schon. Alles war auf Krieg ausgerichtet. Der Beginn des 2. Weltkrieges war dann nur noch die logische Konsequenz.

Interessant ist dabei, wie die Nationalsozialisten, besonders aber Hitler, auf ihre eigene Propaganda hereingefallen sind. Je mehr Goebbels davon sprach, dass Hitler von der Vorsehung gesandt sei, um so mehr glaubte man das dann selbst. Und in diesem Glauben begann man, den Gegner, besonders Russland, zu unterschätzen. Ein verhängnisvoller Fehler, wie wir wissen. Die Schlacht um Stalingrad markierte dann den Anfang vom Ende.

siehe hierzu auch meinen Beitrag: Bestie Mensch

Über WilliZ

Wurde geboren (in Berlin-Schöneberg), lebt (nach einem Abstecher nach Pforzheim, längere Zeit in Bremen und Hamburg) in dem Örtchen Tostedt am Rande der Lüneburger Heide - und interessiert sich für Literatur, Musik, Film und Fotografie (sowohl passiv wie aktiv) ... Ach, und gern verreise ich auch!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.