Der Witzableiter (1): Totaler Blödsinn – ein Rückfall

Beim Ausmisten alter Unterlagen bin ich auf Ausrisse aus dem ZEITmagazin aus dem Jahre 1984 gestoßen. Es sind die 25 Teile einer Kolumne unter dem Titel „Witzableiter“ – verfasst von Eike Christian Hirsch. Dabei handelt es sich gewissermaßen um eine Psychologie des Humors, die mit einer großen Anzahl an erlesenen Witzen geschmückt ist. In einer erweiterten Fassung ist das auch als Buch erhältlich: Der Witzableiter: Oder Schule des Lachens.

Die Kolumne – wie das Buch auch – ist etwas für alle, die gern lachen und nebenbei wissen möchten, warum sie das tun – soweit die Wissenschaft das herausbekommen hat. Hier nun der erste Teil. Die weiteren Teile folgen nach und nach. Viel Spaß beim Lesen!

Fangen wir bei unserem Gang durch die Witzlandschaft ganz unten an.

„Warum haben Fische Schuppen?“
„Na, wo sollen sie sonst ihre Fahrräder unterstellen?“

Nein, dieses Wortspiel ist noch zu anspruchsvoll. Bitte was ganz Verrücktes!

Hinweis in einer Telefonzelle: „Das zweite Geldstück erst nach dem ersten einwerfen!“ Darunter handschriftlich: „Habe es umgekehrt versucht – ging trotzdem.“

Das ist Unsinn, als solcher noch zu sehr dem Sinn verpflichtet. Steigen wir noch tiefer, damit wir der Wurzel des Komischen näherkommen.

Bitte was ganz Schwachsinniges! Zum Beispiel so:

„Was ist der Unterschied zwischen einem Sprungbrett?“ „Je höher, desto platsch!“

Gut, das kann man als Blödeln bezeichnen, und nun haben wir unser Niveau für den Anfang erreicht. Die Regeln des Verstandes und der Verständigung sind endlich aufgehoben. Hier ist jede Pflicht zur Vernunft von uns abgefallen.

In einem Sketch der Berliner Blödeltruppe Insterburg & Co. Hört man zwei männliche, verstellte Stimmen, die den Dialog eines Tanzstundenpaares vorführen. Während sie über das Parkett schieben, sagt er zu ihr: „Nicht so gegen den Kartoffelsalat drücken.“ Ist man in der richtigen Stimmung, so kann man hemmungslos darüber kichern. Ist man es nicht, so bietet sich Gelegenheit zu schroffem Ärger.

Der Literat Dieter Wellershoff hat uns den Gefallen getan, das Blödeln ganz ernst zu nehmen und ihm heftig zu widersprechen. Während der Witz noch „an die herrschende Rationalität gebunden“ sei, bilde das Blödeln „eine anarchische Subkultur des Humors“. Blödeln unterscheide sich vom Witzemachen dadurch, meint Wellershoff, daß beim Blödeln selbst die Pointe noch verwischt werde. Unser Literat ist tief besorgt um die heutige Jugend, die mit dem Blödeln auch das „Erbe der Aufklärung“ ausschlage.

Witzableiter (1)

Zitieren wir noch aus einem anderen Sketch der Insterburger, über den sich Dieter Wellershoff nicht weniger grundsätzlich erregt hat. Es ist ein Verkaufsgespräch in einem Toupet-Geschäft:

A: Jetzt haben wir hier noch ein anderes Modell, das ist das Modell ‚Carola’. Da sehen Sie links und rechts ein paar Druckknöpfe, da können Sie eventuell Koteletten anknöpfen oder einen schönen, kurzgeschorenen Vollbart.
B: Ja, sehr schön. Und was ist das da hinten, dieser Reißverschluß, was hat der zu sagen?
A: Ja, der Reißverschluß ist was ganz Feines. Da können Sie, wenn Sie offen fahren, können Sie einen Rallye-Streifen einlegen, einen silbergrauen, wir haben einen silbergrauen …

Ich zitiere das, weil wir dem Geheimnis des Komischen auf die Spur kommen wollen. Solch ein infantiler Schwachsinn ist eine der Wurzeln des Komischen – allerdings eine urtümliche, für viele Menschen ungenießbare Form. Der ernsthafte Intellektuelle Wellershoff erkennt hier zu Recht ein „chaotisches und katastrophales Paradies der Unreife“. Aber ist nicht Komik notwendig infantil?

Der Witz ist immer eine Regression (ein Rückfall in die Kindheit). Dieser Satz scheint, so wenig sich auch sonst die Theoretiker des Humors einig sind, gesichert zu sein. Der Unsinn, der sich in jedem Witz zeigt, erlaubt uns diesen Rückfall. Und genau das scheint recht entspannend zu sein. Ein lustvolles Erlebnis.

Die Zwillinge Judith und Hanna sind sich sehr ähnlich – besonders Judith!

An dieser Stelle möchte ich mich zum ersten Mal mit Siegmund Freud schmücken. Ausgerechnet der letzte Satz aus seinem Buch über den Witz soll unser erstes Zitat sein. Dort sagt er von der Komik und besonders vom Witz:

„Die Euphorie, welche wir auf diesen Wegen zu erreichen streben, ist nichts anderes als die Stimmung … unserer Kindheit, in der wir das Komische nicht kannten, des Witzes nicht fähig waren und den Humor nicht brauchten, um uns im Leben glücklich zu fühlen.“

Das Blödeln hat Freud freilich im Jahre 1905, als er seine Untersuchung veröffentlichte, noch nicht gekannt. Er ließ auch eher Witze gelten, die im Unsinn noch einen verborgenen Sinn erkennen ließen. Vielleicht hätte er aber diesen jüdischen Witz (er hat ja selbst so viele vorgeführt!) gemocht:

Der Vater: „Was lernst du da für die Schule, Morizl? Den Erlkönig? Den kenn ich noch ganz auswendig. ‚Den Vater grauset’s, er reitet geschwind, er hält in den Armen das sechzehnte Kind …“
„Tate, es steht mit ‚A’, das ‚achtzehnte Kind’!“
„Nu – wirst eine spätere Ausgabe erwischt haben.“

Unter „Blödeln“ kann man aber auch noch etwas anderes verstehen, nämlich die Angewohnheit einiger durchaus intellektueller Herren, im vertrauten Kreise die Bürde der Vernunft nach allen Regeln der Kunst abzulegen. Hans Weigel hat diesen Zeitvertreib beschrieben und erzählt:

„Da haben wir einmal entdeckt, daß die Nachsilbe ‚bar’ ja auch ein Nachtlokal bezeichnet. Ruchbar – ein wohlparfümiertes Nachtlokal. Schauderbar – ein Nachtlokal als Gruselkabinett. Sonderbar – im Gegensatz dazu ein Nachtlokal mit Rassentrennung …“

Eike Christian Hirsch – Der Witzableiter (Kolumne in 25 Teilen)
aus: ZEITmagazin – Nr. 28/1984

[Fortsetzung folgt]

Über WilliZ

Wurde geboren (in Berlin-Schöneberg), lebt (nach einem Abstecher nach Pforzheim, längere Zeit in Bremen und Hamburg) in dem Örtchen Tostedt am Rande der Lüneburger Heide - und interessiert sich für Literatur, Musik, Film und Fotografie (sowohl passiv wie aktiv) ... Ach, und gern verreise ich auch!

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