Was ist bloß mit Ian los? Teil 41: Rückwärtsgespielte Flöte

Hallo Wilfried,

meine besten Wünsche für das Neue Jahr !
Du hast es schon angedeutet: Für die Ansprüche, die Beruf und Schule an die Familien stellen, benötigen wir viel Energie und einen Schuss Wohlwollen des Schicksals. Möge das uns allen beschieden sein.

Das beklemmende Gefühl, das sich bei den Gedanken an die Arbeit einstellt, kenne ich auch. Gerade am letzten Urlaubstag ist dieses Gefühl bei mir besonders stark ausgeprägt. Ich kenne einige Menschen, denen es genau so geht.

Bei uns fing das Jahr nicht gut an. In der Neujahrsnacht ist unser Sohn von einer Rakete getroffen worden, die sich an seinem Hosenbein verfangen hat und dort explodierte. Er hat Verbrennungen ersten bis zweiten Grades davongetragen, die sich jetzt entzündet haben. Seine Schule wird ihn erst mit einer Woche Verspätung wieder sehen.

Und überhaupt brachte 2007 einige befremdliche Nachrichten: Der neue Boss der UNO verteidigt die Hinrichtung Saddam Husseins und unser Innenminister will alle PCs über das Internet überwachen und Flugzeuge vom Himmel schießen. Das alles sind Fakten, die einen Glauben an die Weiterentwicklung der Menschheit in Richtung Humanismus erschweren.

Zurück zur Musik:
Dass ich die Lyrik des Meisters – oder Lyrik im Allgemeinen – jemals begreifen werde, wage ich nicht zu hoffen. Dazu ist mir diese Materie zu fremd und ich befasse mich zuwenig damit.

Momentan liegt das Schwergewicht meiner Interessen beim Ausbau meiner fotografischen Fähigkeiten. Im Klartext: Ich versuche, mein derzeitiges Knipser-Niveau ein ganz klein wenig in Richtung Amateur-Fotograf anzuheben. Der Status des Amateurs ist hierbei ein weit entferntes Endziel. Wenn ich im Internet auf den einschlägigen Seiten sehe, wozu andere Digitalfotografen in der Lage sind, wird mir klar, welche Hürden noch vor mir liegen. Aber auch hier gilt der Grundsatz: Kommt Zeit, kommt Rat. Ich werde mein Rennen langsam rennen und vielleicht doch zweiter oder dritter werden. Das würde mir schon reichen.

Das „Psalm“ – Video von Roxy Music gefällt mir jeden Tag besser. Ich bin bei weitem kein Fan von Bryan Ferry, aber dieser Song hat was. Das Lied ist im musikalischen Aufbau ähnlich komplex wie Hänschen klein, aber trotzdem übt es auf mich eine gewisse Faszination aus. Das liegt nicht nur am religiösen Text. Auch die Versuche von Mr. Ferry, an den entscheidenden Stellen einen durchgeistigten Eindruck zu machen, sind sehr unterhaltsam. Er wirkt dabei, als hätte er sich vor dem Auftritt einige schnell wirkende Pilze reingezogen. Trotz oder gerade wegen dieser Eigenarten schaue ich mir das Video häufiger an. Hinzu kommt, dass Mr. Ferry mich an einen ehemaligen Mathe-Lehrer von mir erinnert.

Ich war nicht schlecht erstaunt, als ich feststellte, dass ein Womanizer wie Mr. Ferry ein religiöses Lied im Repertoire hat. Vielleicht war diese Thematik ein Bestandteil des Progressiv-Rock; bei JT finden wir bekanntlich auch Lieder mit religiösem Hintergrund.

In Deinem Weblog habe ich gesehen, dass dort ein Anwender namens Birgit einen Kommentar abgegeben hat. Ich gehe schwer davon aus, dass diese Birgit dieselbe ist, die häufiger im Laufi-Forum schreibt. Bitte grüße sie von mir.

Ich wünsche Dir einen erträglichen Wiedereinstieg ins Arbeitsleben und einen neuen PC.

Bis bald
Lockwood

04.01.2007

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Hallo Lockwood,

hoffentlich geht es Deinem Sohn wieder besser. Ich weiß schon, weshalb ich solche Tage, an denen der kollektive Wahnsinn ausbricht (Sauferei, Ballerei usw.), eigentlich hasse. Natürlich mussten meine Jungs auch ballern. Und mein großer Sohn hatte einige Freunde eingeladen, von denen einer gegen Mitternacht etwas glasig aus den Augen schaute. Aber wir haben alles wenigstens unfallfrei überstanden.

Mein beklemmendes Gefühl bezüglich der Arbeit hat seinen Grund: Denn bereits in den ersten Wochen kommt ein Haufen Mist auf mich zu und ballt sich zur Monatsmitte. Da hilft nur tief Luft holen, die Zähne zusammenbeißen und durch. Besonders toll dabei ist, dass sich gleich zwei meiner Arbeitskollegen zum Jahresanfang krank gemeldet haben. Ich werde es aber schon überstehen.

Guckst du noch Nachrichten und liest sogar Zeitung? Also Zeitungen oder gar Nachrichtenmagazine lese ich schon lange nicht mehr. Die sind für mich vergeudete Zeit und Geld. Okay, so völlig uninformiert bin ich sicherlich nicht, schaue im Internet nach den neuesten Nachrichten. Aber ich werde nicht mehr die Zeit aufbringen, um z.B. den „Spiegel“ von vorn bis hinten durchzulesen. Wozu? Übermorgen hat man bereits den Großteil wieder vergessen. Befremdlich aber zeitgemäß fand ich bei der Hinrichtung Saddam Husseins, wie alle Seiten dieses Spektakel (wie sollte man es sonst nennen) für sich zu nutzen trachteten. Selbst Hussein nutzte die Bühne, um sich als Märtyrer feiern zu lassen. Und was unsere Bundesregierung betrifft, so fürchte ich, dass in diesem Jahr der Anfang vom Ende der großen Koalition eingeläutet wird, die Meinungsunterschiede lassen sich nicht länger verschleiern.

Ich muss gestehen, mich bisher auch nicht so tiefgehend mit den Anderson’schen Texten befasst zu haben. Mir fehlt dazu wahrscheinlich die richtige Muße (oder Muse?). Aber ich werde mir die Zeit nehmen und um mehr Verständnis ringen.

Fotografie interessiert mich eigentlich nur am Rande. Wir haben zz. eine Digitalkamera, die noch aus der Geburtszeit der digitalen Fotografie stammt. Diese ist zwar ganz ordentlich, wird aber inzwischen von fast jeder heute marktüblichen Kamera überboten. Die analogen Geräte haben wir bereits im untersten Schubfach verstaut. Ich filme ein bisschen, aber auch nur mit einer Kamera, die keine besonderen Highlights bietet. Mithin bewege ich mich auch nur auf Knipser-Niveau, wie du es nennst. Dafür dürfte ich aber im Bereich Videobearbeitung den Amateurstatus erreicht haben. Wenn ich Zeit habe (und mein Rechner, der übrigens doch wieder von den Toten auferstanden zu sein scheint, mitspielt), dann werde ich mich etwas mit der Audioverarbeitung von Videos (Stichwort 5.1-Klangsystem) beschäftigen.

Ich habe nachgeschaut: Von Roxy Music habe ich auch eine alte LP: „Country Life“ von 1974. Und mit Edwin Jobson, wie er wohl richtig heißt. Das Lied „Bitter-Sweet“ hat übrigens teilweise einen deutschen Text, also Bryan Ferry versucht sich in Deutsch:

Nein – das ist nicht
Das Ende der Welt
Gestrandet an Leben und Kunst
Und das Spiel geht weiter
Wie man weiss
Noch viele schönste … Wiedersehn

Das nur nebenbei. Du hast also richtig beobachtet. Jobson hat auch bei Roxy Music mitgemischt, allerdings in einer Zeit vor Tull. Jetzt haben wir doch mehr zu Jobson geschrieben, als es Dir zunächst gefallen hätte. Immerhin zeigt es auf, dass Anderson und Co. nicht irgendwo in einem stillen Kämmerlein nur so für sich selbst dahin gedaddelt haben, sondern auch Kontakte zur Szene insgesamt gehalten haben müssen. Allerdings erschienen die Scheiben von Roxy Music und Jethro Tull seinerzeit bei Island Records. Vielleicht von daher …

Also Roxy Music und „Psalm“: Das hat etwas von einem Leichenzug durch New Orleans, Du weißt, was ich meine: ein Leichenzug zieht durch die Straßen, vorn weg eine Musikkapelle, die im ortansässigen Jazzstil Klagelieder intoniert. So, so, Dir gefällt das Stück. Ich gebe zu, wie Ferry singt und den Blick förmlich im Jenseits versinken lässt, nein, den Blick nach oben gerichtet zu entschweben trachtet, das hat schon etwas.

Zur „rückwärts gespielten Flöte“ habe ich auf der offiziellen Tull-Website etwas gefunden, dort heißt es:

“Group leader Ian Anderson begin experimenting with production techniques, including the famed „backwards-played“ flute on „With You There to Help Me“ which would become a concert joke as Ian turned his back to the audience to play the opening notes. This track, and others, reflect Ian’s budding romance with a Chrysalis secretary who would become Ian’s first wife.”

Vom Beatclub gibt es ja auch eine Aufnahme dieses Stückes „With You there …“, allerdings spielt der Meister „vorwärts“. Immerhin lässt sich so das Vorwärts- und Rückwärtsgespiele sehr gut vergleichen. Und zum weiterem Vergleich: Den Anfang des Stückes (Original von der Benefit-Scheibe) und dann das Ende habe ich im Rückwärtsgang (reverse, wie der Engländer sagt) abspielen lassen – wie nachfolgend zu hören ist:

Dank für die guten Wünsche zum Wiedereinstieg ins Arbeitsleben. Ein neuer PC muss aber vorerst noch warten. Mit Mühe und Not habe ich etwas Geld vom Weihnachtsgeld beiseite gelegt (für den Urlaub), da kann ich mir keinen neuen Rechner leisten. Aber irgendwie verhandele ich noch mit dem Hersteller wegen der Garantie (der PC ist just einen Tag vor Ablauf der dreijährigen Garantie hops gegangen). Das Problem ist nur: Der Fehler tritt nur zeitweise auf.

Nun, das Wochenende naht. Ich wünsche Dir stressfreie Tage und (uns allen) endlich etwas besseres Wetter. Es ist zum Depressionen kriegen. Und gute Besserung nochmals und besonders für Deinen Sohn.

Viele Grüße
Wilfried

P.S. Eigentlich wollte ich zwischen den Feiertagen einige meiner alten LPs digitalisieren (das Album von Roxy Music kommt jetzt – wenigstens teilweise – hinzu). Drück mir die Daumen, dass der PC ‚hält’. Am Samstag bin ich allerdings mit meinem Großem in Hamburg. Er übt ja jetzt fleißig Bass-Gitarre und wir wollen einmal einige Blicke in diverse Musikläden werfen. Vor Weihnachten war ich übrigens in einem Geschäft namens „Musik Rotthoff“. Es war in der Mittagspause. Der Inhaber kam gleich auf mich zu und erzählte mir, dass bereits die Beatles in diesem Laden gekauft hätten (u.a. kaufte dort wohl John Lennon seine 58-er Rickenbacker). Als Beweis zeigte er mir ein Büchlein: Hamburg und die Beatles oder so ähnlich. Es ist ein kleiner Laden, aber mit ganz viel Atmosphäre. Den will ich mit meinem Sohn auf jeden Fall auch besuchen.

04.01.2007

English Translation for Ian Anderson