Hermann Hesse: Der Steppenwolf

Mit Jahrestagen ist das immer so etwas. Man feiert sie wohl, um den einen oder anderen in der Versenkung entschwundenen Künstler, Wissenschaftler oder was auch immer, wieder ins Licht allgemeinen Interesses zu rücken, wenn auch nur für kurze Zeit. Ich denke, Hermann Hesse hat das nicht ungedingt nötig. Er findet immer wieder Leser – von Generation zu Generation. Nun dieses Jahr hat gleich zwei Jahrestage im Zusammenhang mit Hermann Hesse zu begehen, seinen 50. Todestag und gleichzeitig den 135. Jahrestag seiner Geburt.

Ich bin verhältnismäßig spät zur Literatur gekommen. Mit Anfang 20 Jahren begann ich zunächst mit eben jenem Hermann Hesse. Und ich wählte mir (oder wurde ich gewählt?) zunächst sein wohl bekanntestes Werk, den Roman Der Steppenwolf, den ich jetzt zum mindestens fünften Mal (Ausgabe: suhrkamp taschenbuch st 175 – Suhrkamp Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main, 4. Auflage, 151. – 190. Tausend 1975) gelesen habe.

Hermann Hesse: der Steppenwolf - S. Fischer Verlag,  Erstausgabe Deckblatt 1927

Hermann Hesse: der Steppenwolf - Suhrkamp Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main, 4. Auflage, 151. - 190. Tausend 1975

Hermann Hesse: der Steppenwolf – S. Fischer Verlag,  Erstausgabe Deckblatt 1927 Hermann Hesse: der Steppenwolf – Suhrkamp Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main, 4. Auflage, 151. – 190. Tausend 1975

Hesse findet auch heute noch große Resonanz bei Lesern auf der ganzen Welt. Dafür sorgen Übersetzungen in mindestens 40 Sprachen und 12 indische Dialekte. Besonders in den USA und in Japan war Hermann Hesse lange Zeit der meistgelesene europäische Autor. Der erstmals 1927 erschienene Roman „Der Steppenwolf“ löste in den sechziger Jahren eine internationale Renaissance von Hesse aus. So brach unter den Jugendlichen in den USA, der Hippie-Bewegung, ein „Hesse-Boom“ ohnegleichen aus, der dann auch wieder nach Deutschland übergriff. Im ‚Steppenwolf’ und in seiner Stilisierung des einsamen und verkannten Künstler-Ichs entdeckte man Identifikationsmuster für den Protest gegen das Establishment. Gekannt ist aus dieser Zeit auch die Rockband Steppenwolf.

Die Hesse-Rezeption ähnelt einer Pendelbewegung: Immer wieder wurden Hesses Werke als kitschige Literatur abgetan, obwohl er 1946 den Nobelpreis für Literatur als Vertreter eines anderen Deutschland erhielt. Ohne Zweifel ist Hesse von der Romantik stark beeinflusst und wird heute in seinem Stil eher als altmodisch empfunden. Inzwischen erfährt Hesse die ihm ohne Zweifel zustehende Anerkennung.

Der Roman ist die Geschichte von Harry Haller, dem Alter Ego Hermann Hesses. Es ist die Geschichte eines Mannes, der an der Zerrissenheit seiner Persönlichkeit leidet. Seine bürgerlich geprägte Seite kämpft mit dem Steppenwolf in sich, dem alles Angepasste, alles Gesellschaftliche, jede Art von Kultur zuwider ist:

„Ein zu uns, in die Städte und ins Herdenleben verirrter Steppenwolf – schlagender konnte kein andres Bild ihn zeigen, seine scheue Vereinsamung, seine Wildheit, seine Unruhe, sein Heimweh und seine Heimatlosigkeit.“ (S. 22)

„… wenn die Welt recht hat, […] dann bin ich wirklich der Steppenwolf, den ich mich oft nannte, das in eine ihm fremde und unverständliche Welt verirrte Tier, das seine Heimat, Luft und Nahrung nicht mehr findet.“ (S.35)

Mit 47 Jahren fasst Harry Haller den Entschluss, am Tag seines 50. Geburtstag Schluss mit diesem Leben zu machen und sich selbst zu töten. Aber es kommt anders. Er lernt die junge und schöne Hermine kennen, eine Seelenverwandte, die ihn nach und nach auf einen Weg der ‚Heilung’ führt. Im Mittelpunkt steht dabei das Magische Theater – Eintritt nicht für jedermann – Nur — für — Ver — rückte! (S. 37) Hier lernt Harry Haller sich und die unzähligen Seiten seiner Seele kennen. „Der Weg der Heilung ist die Versöhnung beider Seiten im Humor, im Lachen über sich selbst und das Ungenügen in Kultur und Gesellschaft. Erst mit der Betrachtung der Wirklichkeit vom Standpunkt des Humors werden Hallers weitere, im Roman nicht mehr beschriebene Schritte auf dem Weg seiner künstlerischen Vollendung möglich.“ (Quelle: de.wikipedia.org)

Ja das „Magische Theater: Eintritt kostet den Verstand“ (S. 179). Für Harry Haller stehen hier viele Türen als Zugang zu den geheimnisvollen Welten seiner Seele offen. Als Leser treten wir nur in einige ein. „… Und überall, an allen unzähligen Türen, lockten die Inschriften:“

„Alle Mädchen sind dein! Einwurf eine Mark“ (S. 195)
„Auf zum fröhlichen Jagen! Hochjagd auf Automobile“ (S. 196)

Mutabor – Verwandlung in beliebige Tiere und Pflanzen“
Kamasutram – Unterricht in der indischen Liebeskunst – Kurs für Anfänger: 42 verschiedene Methoden der Liebesübung“
„Genußreicher Selbstmord! Du lachst dich kaputt“
„Wollen Sie sich vergeistigen? Weisheit des Ostens“
„O daß ich tausend Zungen hätte! Nur für Herren“
Untergang des Abendlandes – Ermäßtigte Preise. Noch immer unübertroffen“

(S. 207)

„Inbegriff der Kunst – Die Verwandlung von Zeit in Raum durch die Musik“
„Die lachende Träne – Kabinett für Humor“
„Einsiedlerspiele – Vollwertiger Ersatz für jede Geselligkeit“
„Anleitung zum Aufbau der Persönlichkeit – Erfolg garantiert“

(S. 208)

Obwohl im Roman nirgends genannt, so dürfte der Roman eigentlich in Basel spielen. Viele Hinweise deuten daraufhin. Hesse war 1877 in Calw geboren. Als Sohn eines deutsch-baltischen Missionars war Hesse durch Geburt russischer Staatsangehöriger. Von 1883 bis 1890 und erneut ab 1923 war er Schweizer Staatsbürger, dazwischen besaß er das Württembergische Staatsbürgerrecht. Von 1899 bis 1904 lebte Hesse in Basel. Die Zeit hier diente der künstlerischen Selbstfindung. Hier erprobte er ein ums andere Mal seine Fähigkeit, sinnliches Erleben schriftlich niederzulegen.


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Martinsvorstadt -> Basel -> Hesse wohnte Lothringerstraße 7

Nun Hesses Steppenwolf ist auch heute noch aktuell. Woher kommt es aber, dass Leser sich von Hesse seelisch immer wieder tief beeindruckt zeigen und in Versuchung kommen, sich zu überlegen, ob sie ihr Leben ändern wollen?

Es sind vor allem Leser, die sich in ein bürgerlich geordnetes Leben eingerichtet haben, solche mit Familie und geregelter Arbeit, mit Haus und Garten. Keiner von diesen muss darben und führt eigentlich ein zufriedenes Leben. Und doch kommen solche Menschen, zu denen ich mich durchaus auch zähle, immer wieder auf den Gedanken, ob das denn wirklich alles sein soll im Leben, ob es vielleicht einiges gibt, das man verpassen könnte?! Und man sieht jeden Tag, dass diese Welt, in der man lebt, leider nicht so ist, wie sie sein könnte. Der Wolf rührt sich in einem. Und viele erkennen sich in Harry Haller, dem Steppenwolf, wieder.

„Ist es nötig zu sagen, daß der ‚Steppenwolf’ ein Romanwerk ist, das an experimenteller Gewagtheit dem ‚Ulysses’, den ‚Faux Monnayeurs’ nicht nachsteht? Der ‚Steppenwolf’ hat mich seit langem zum erstenmal wieder gelehrt, was Lesen heißt.“ (Thomas Mann)

„Ich lese den ‚Steppenwolf’, dies unbarmherzigste und seelenzerwühlendste aller Bekenntnisbücher, düsterer und wilder als Rousseaus ‚Confessions’, die grausamste Geburtstagsfeier, die je ein Dichter zelebrierte … Ein echt deutsches Buch, großartig und tiefsinnig, seelenkundig und aufrichtig; analytischer Entwicklungsroman mit romantischer Technik, romantischen Wirrnissen wie die meisten großen Romane und wie die meisten Bücher Hermann Hesses.“ (Kurt Pinthus, 1927)

Hörbuch Hesses Steppenwolf

Im Zuge der Hermann-Hesse-Renaissance in den 70er Jahren gibt es eine Verfilmung des Steppenwolfs mit Max von Sydow in der Hauptrolle. Der Film besticht durch seine Worttreue. Ich kenne den Film, der Ende Juni noch einmal als DVD Steppenwolf
auf den Markt kommt. Leider nicht gelungen sind die mittels elektronischer Farbmanipulationen erreichten Traumbilder des Magischen Theaters. Die hierfür verwendete Technik war schon damals eher entnervend. Max von Sydow reißt dieses Manko aber dank seiner schauspielerischen Leistung mehr als heraus.


Tractat vom Steppenwolf – Tractate on the Steppenwolf
(auf Englisch mit engl. Untertitel)

Über WilliZ

Wurde geboren (in Berlin-Schöneberg), lebt (nach einem Abstecher nach Pforzheim, längere Zeit in Bremen und Hamburg) in dem Örtchen Tostedt am Rande der Lüneburger Heide - und interessiert sich für Literatur, Musik, Film und Fotografie (sowohl passiv wie aktiv) ... Ach, und gern verreise ich auch!

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