Archiv für den Monat: April 2012

Aus der Tiefe des Raums

Es ist 40 Jahre her, da lieferte die deutsche Fußball-Nationalmannschaft wohl eines ihrer besten Spiele ab, wenn nicht gar ihr bestes. Deutschland hatte sich fürs Viertelfinale bei der Europameisterschaft 1972 qualifiziert und musste am 29. April im Wembley-Stadion in London gegen England antreten. Hier gelang mit dem 1:3 der erste Sieg einer deutschen Fußballnationalmannschaft in England. Es war die Geburtsstunde der legendären Elf von ’72, die Wembley-Elf (in Anlehnung an den Spielort), mit Franz Beckenbauer, Günter Netzer, Paul Breitner und Uli Hoeneß, die knapp zwei Monate später auch den ersten von bislang drei EM-Titeln für Deutschland gewinnen sollte.

Die deutsche Mannschaft spielte mit folgender Aufstellung:
Torwart: Sepp Maier (FC Bayern München)

Abwehr: Horst-Dieter Höttges (Werder Bremen), Franz Beckenbauer, Georg Schwarzenbeck, Paul Breitner (alle FC Bayern München)

Mittelfeld: Uli Hoeneß (1 Tor, FC Bayern München), Günter Netzer (1 Tor), Herbert Wimmer (beide Borussia Mönchengladbach)

Angriff: Jürgen Grabowski (Eintracht Frankfurt), Gerd Müller (1 Tor, FC Bayern München), Siggi Held (Kickers Offenbach)

    Wembley-Elf mit Beckenbauer (verdeckt),  Schwarzenbeck, Netzer und Wimmer

Wembley-Elf mit Beckenbauer (verdeckt), Schwarzenbeck, Netzer und Wimmer

Besonders ein Spieler tat sich an diesem Tag hervor: Günter Netzer, der von der Verletzung des Kölners Wolfgang Overath profitierte. Der damalige Bundestrainer, Helmut Schön, favorisierte eigentlich Overath als Spielmacher, konnte beim weiteren Turnier aber an Netzer nicht mehr vorbei. Erst bei der WM 1974 im eigenem Land gab Schön wieder Overath den Vorzug.

Dieser Tag vor 40 Jahren war auch die Geburtsstunde eines Fußballstils, der gerade heute als sehr modern gilt und von den Spaniern gepflegt wird: das Kurzpassspiel, wobei der Ball nicht gestoppt, sondern unmittelbar an den nächsten Spieler (One-Touch-Fußball) weitergespielt wird. Und an diesem Tag wurde auch ein Begriff geprägt, der heute noch gern Verwendung findet: Bundestrainer Schön zog „Netzer aus dem Mittelfeld zurück in die Abwehr […]. Zusammen mit Beckenbauer wechselte er sich mit Vorstößen in die Offensive ab. Karl Heinz Bohrer, damaliger England-Korrespondent der FAZ, verfasste aufgrund dieser Systemumstellung den viel zitierten Satz ‚Netzer kam aus der Tiefe des Raumes’ (Quelle: de.wikipedia.de)

siehe hierzu Videos auf zdf.de und wdr.de

Walpurgisnacht 2012

Die Hexen sind los. Heute Nacht ist Walpurgisnacht … Mythologisch findet die Walpurgisnacht (ähnlich dem keltischen Fest Beltane – siehe hierzu: Jethro Tull: Beltane) als Mondfest in der Nacht des ersten Vollmondes zwischen der Frühjahrstagundnachtgleiche und der Sommersonnenwende statt. Traditionell gilt jedoch die Nacht vom 30. April auf den 1. Mai als die Nacht, in der angeblich die Hexen insbesondere auf dem Blocksberg (eigentlich Brocken), aber auch an anderen erhöhten Orten ein großes Fest abhalten und auf die Ankunft des “gehörnten Gottes” warten. Im Rahmen der Christianisierung des Abendlandes wurde der Kult der Walpurgisnacht und verwandter Kulte (z. B. antiker Pan-Kult) im wahrsten Sinne des Wortes “ver-teufelt”: aus dem gehörnten Gott, dem Symbol des Männlichen, welches sich in dieser Nacht mit dem Weiblichen vereinigt, wurde der Teufel.

mehr siehe bei Wikipedea

siehe auch: Angie – Tanz in den Mai

Heute Ruhetag (12): Herman Melville – Bartleby der Schreiber

Bartleby der Schreiber ist der deutsche Titel der amerikanischen Erzählung Bartleby the Scrivener von Herman Melville. Es ist das erste Werk, das Melville nach Moby Dick schrieb, und wurde zunächst 1853 in Putnam´s Monthly Magazine veröffentlicht und dann 1856 in die Piazza Tales aufgenommen.

Viele Kritiker sehen in ihr die beste Erzählung Melvilles und sie wird manchmal mit Der Mantel von Gogol verglichen. Sie weist aber auch auf das 20. Jahrhundert, vor allem auf Kafka, voraus.

Ein älterer Rechtsanwalt berichtet als Icherzähler von einem seiner Schreiber namens Bartleby, den er eines Tages in sein von Hochhäusern umstelltes lichtloses Büro in der Wall Street aufnimmt. Bartleby beginnt seine Tätigkeit mit stillem Fleiß und einsiedlerischer Ausdauer. Er kopiert unermüdlich Verträge, lehnt aber zur Überraschung seines Dienstherrn schon bald jede andere Tätigkeit mit den Worten ab: „Ich möchte lieber nicht“, „I would prefer not to“. Bald weigert er sich sogar, Verträge zu kopieren, wohnt aber inzwischen in dem Büro – höflich, freudlos, ohne Freunde und fast ohne zu essen. Der Rechtsanwalt kann oder will ihn nicht gewaltsam aus dem Büro entfernen lassen und auch eine großzügige Abfindung interessiert Bartleby nicht. Wegen eines unerklärlichen Einverständnisses mit Bartleby sieht sich der Rechtsanwalt am Ende gezwungen, selbst aus dem Büro auszuziehen, statt Bartleby vor die Tür zu setzen. Seine Nachmieter – weniger verständnisvoll – lassen Bartleby bald durch die Polizei abführen und in das Gefängnis The Tombs (die Gräber) bringen. Dort verweigert Bartleby sowohl alle Kommunikation und auch alle Nahrung. Der Rechtsanwalt versucht, sich um seinen „Freund“ zu kümmern, aber nach wenigen Tagen stirbt Bartleby an seiner Lebensverweigerung.

Das einzige, was der Rechtsanwalt über das Vorleben Bartlebys erzählen kann, ist ein ihm später zu Ohren gekommenes Gerücht, wonach Bartleby früher in einem Dead Letter Office arbeitete, einer Sammelstelle für nicht zustellbare Briefe.

Heute Ruhetag!

Ich bin, ich muß es gestehn, nicht mehr der Jüngste. Die Art meiner Berufsgeschäfte hat mich seit nunmehr dreißig Jahren in ungewöhnlich enge Berührung mit einer in mancher Hinsicht merkwürdigen, man kann wohl sagen sonderbaren Sorte von Menschen gebracht, über die meines Wissens noch nie etwas geschrieben worden ist – ich meine die Anwaltsschreiber, die Kopisten in den Kanzleien der Advokaten. Ich habe ihrer eine ganze Menge gekannt, beruflich sowohl wie privat, und könnte, wenn ich wollte, allerlei Historien zum besten geben, zur Erheiterung wackerer Männer, zur tränenseligen Rührung empfindsamer Seelen. Doch will ich aller anderen Kanzleischreiber Lebensgeschichte beiseitelassen und nur einiges aus Bartlebys Leben erzählen, Bartlebys, der ein Schreiber war und zwar der seltsamste, den ich je gesehen, von dem ich je gehört habe. Während ich von anderen Anwaltskopisten den gesamten Lebenslauf niederschreiben könnte, ist bei Bartleby dergleichen nicht möglich. Es existieren wohl überhaupt keine Unterlagen für eine ausführliche, befriedigende Biographie des Mannes: ein unersetzlicher Verlust für die Literatur. Bartleby gehörte zu den Menschen, über die sich nichts ermitteln läßt, es sei denn an den Quellen selbst, und die flossen in seinem Fall nur äußerst spärlich. Was ich mit eigenen erstaunten Augen von Bartleby gesehen habe, das stellt meine gesamte Kenntnis von ihm dar – abgesehen allerdings von einem ziemlich unbestimmten Bericht, der später hier wiedergegeben werden wird.

[…]

Herman Melville: Bartleby der Schreiber

Anleitung zum Selbstmord 2.0

Keine Angst, ich rufe hier nicht zum realen Selbstmord, noch weniger zu einem realen gemeinschaftlichen Suizid auf. Aber es soll ja Menschen geben, die keinen Bock mehr auf soziale Netzwerke haben. Diese können ‚ihrem’ digitalen Leben ein Ende setzen. Zum Beispiel indem sie die „Web 2.0 suicide machine“ anwerfen.

Zum Artikel hier nur noch die entsprechenden Links:

Web 2.0 suicide machine
Ausgestiegen.com
Alleinr.de

Soziale Netzwerke

Siehe hierzu auch meine Beiträge:
Seelenstripstease und Zeitvergeudung? Teil 1
Seelenstripstease und Zeitvergeudung? Teil 2

Tom Waits: Bad As Me

Nach langer Zeit – immerhin nach sieben Jahre – gibt es wieder ein Studioalbum von Tom Waits, den ich hier bereits öfter erwähnt habe: Bad As Me. Okay, das Album ist bereits Ende des letzten Jahres erschienen und ich habe es fast verschlafen, aber eben doch nur fast ….

Anfangs drängte sich für mich ein Vergleich auf, eben der mit dem neuen Album von Ian Anderson (Jethro Tull), denn dieser wie jener sind inzwischen einige Jährchen über ihr 60. Lebensjahr hinaus und bei beiden haperst ziemlich mit der Stimme. Aber damit endet auch schon der Vergleich. Während Anderson sichtlich bemüht daher kommt und in all seiner Perfektion eher Sterilität erzeugt hat, ‚lebt’ Tom Waits wieder förmlich auf. Auch muss Waits nicht sparen, sondern gönnt sich nicht nur einmal satte Bläsersätze und bedient sich der Dienste namhafter Größen, allen voran Keith Richards; ja, der lebt auch noch …

Apropos Stimme: „Er singt […] viel zu perfekt, als dass die Stimme wirklich kaputt sein könnte. Das Reibeisen wechselt mit klaren Tönen, wenn es in die höheren Lagen geht, etwa in ‚Talking at the Same Time’, wo er gar mit Falsett aufwartet, während die Bläser einen schönen Offbeat schieben und das Klavier auf den höchsten Tönen herumpingelt“, schreibt Wolfgang Schneider in der FAZ. Der scheint es zu wissen.

Und apropos Keith Richards: Wen’s juckt, der kratzt sich. Und so kratzt sich Waits und legt mit Richards eine Art Gegenentwurf zu dem Stones-Titel (I Can’t Get No) Satisfaction hin: „I will have satisfaction/I will be satisfied/now Mr. Jagger and Mr. Richards/I will scratch where I’ve been itching“. Das schreit Waits wie ein Raubtier mit seiner Reibeisenstimme, „um am Ende noch ein paar Sekunden die Kopfstimme von Mr. Jagger zu parodieren.“ (Quelle: faz.de).

Wenn man dann die beiden in die Jahre gekommen Herren gemeinsam „Last Leaf“ singen hört, stellt man sich vor, wie diese sich trunken in den Armen liegen, wüsste man nicht, dass zumindest Waits seit vielen Jahren ‚trocken’ ist. Da hängen sie nun, die ‚letzten Blätter’ am Baum, trotzen der Witterung und sind nur zu besiegen, wenn der ganze Baum gefällt wird.


Tom Waits – Last Leaf (Bad As Me 2011)

In dem Antikriegssong „Hell Broke Luce“ hämmern, ja marschieren die Gitarren. Richards feuert in ‚minimalistischer’ Manier seine kurzen Gitarrenriffs ab. „Als Abrechnung mit der US-Politik der letzten Jahre kann man das deuten, ‚What is next?’, stellt er ans Ende, es ist eine hypothetische Frage, denn es ändert sich nie etwas, in den Staaten unter Bush oder Obama oder irgendwo sonst auf der Welt.“ (Quelle: amazon.de)


Tom Waits – Chicago (Bad As Me 2011)

Das Album beginnt mit dem Lied ‚Chicago’, bläsergetränkt, fiebrig, alptraumhaft, hektisch und besteht wohl nur aus einem Akkord. Ich gestehe, dass mich das zunächst aufgeschreckt hat. Da wird man angeschrieen, man fürchtet um den Zahnersatz des Herrn Waits, als könne der sich selbständig machen. Waits knurrt, kläfft und spuckt. Ähnlich geht es mit dem Titelstück: „Bad As Me“, einem grimmig vorgetragenen Neuzeit-Blues. Der Text erinnert mich an diese süßliche Schokoladenwerbung ‚Merci, dass es dich gibt’ – nur anders herum:

You’re the head on the spear
You’re the nail on the cross
You’re the fly in my beer
You’re the key that got lost
You’re the letter from Jesus on the bathroom wall
You’re mother superior in only a bra
You’re the same kind of bad as me.


Tom Waits – Bad As Me (2011)

Aber Tom Waits kann eben auch anders. Neben der Ballade „Face to the Highway“ mit schwirrenden Gongs und lieblich gezupften Flageolett-Tönen auf der Gitarre, mit eher wehmütig klingenden Akkordeon-Akkorden bei ‚Pay Me’. Mir gefällt natürlich ‚New Year’s Eve’, mit dem das reguläre Album endet, das mit Anklängen bei Auld Lang Syne aufwartet.


Tom Waits – New Year’s Eve (Bad As Me 2011)

Übrigens – das Album ist so nebenbei auch noch ein Familienunternehmen: Waits Gattin Kathleen Brennan hat dieses Album komplett mitverfasst, dazu erstmals auch produziert. Und Sohn Casey Waits sorgt sich um die Drums (weiteres zu den mitwirkenden Musikern siehe auch: laut.de).

Die sicherlich ebenso interessanten Lyrics finden sich auf der Waits-Website.


Tom Waits – Bad As Me (das GANZE Album) 2011

Noch einmal zum Vergleich mit Ian Anderson: Dieser lässt sich wahrlich schlecht herstellen. Anderson hat nie Drogen genommen, trank dafür Milch. Und Alkohol immer nur in Maßen. Wenn Herr Anderson bereits in der Heia lag und träumte, ließ sich Tom Waits noch einen Drink bringen. Und wenn der eine morgens eine Runde joggte, erhob sich der andere schwankend, um endlich zu Bett zu gehen. Heute sind beide grundsolide. Nur pflegt Tom Waits weiterhin die schwarze Romantik des Kaputten. Das klingt nicht nur authentischer, es ist es auch …

Grainau 2012 (8): Blick vom Osterfelderkopf

Weiteres zu der Urlaubsreise vor Ostern Anfang April nach Grainau, unterhalb der Zugspitze (siehe: Auf zur Zugspitze): Wie beim Warten auf die Zugspitzbahn, so haben wir auch beim Blick vom Osterfelderkopf in gut 2000 m Höhe von ähnlich gleicher Stelle den Blick auf die Umgebung wie bereits bei unserer Urlaubsreise vor fünf Jahren (im August 2007) fotografisch festgehalten. Zum Osterfelderkopf gelangt man auf der Garmisch-Classic-Rundfahrt, z.B. mit der Alpspitzbahn. Der wesentliche Unterschied, wie unübersehbar festzustellen ist, besteht darin, dass selbst im April dort oben noch jede Menge Schnee liegt, während vier Monate später längst alles blüht und gedeiht.

Blick vom Osterfelderkopf August 2007

Blick vom Osterfelderkopf August 2007

Blick vom Osterfelderkopf August 2007

Blick vom Osterfelderkopf April 2012

Blick vom Osterfelderkopf April 2012

Blick vom Osterfelderkopf April 2012

Zurück zur Normalität?

Das Interesse der Norweger an dem Prozess gegen den Attentäter Anders Behring Breivik, der im vergangenen Sommer 77 Menschen getötet hatte – 8 starben nach einer Bombenexplosion im Osloer Regierungsviertel, 69 weitere bei seinem Amoklauf auf der kleinen Insel Utøya.-, wird immer geringer. Breivik präsentiert sich armselig und von Selbstmitleid geplagt. Öfter schon wurde er von der Staatsanwaltschaft bloßgestellt und in seinen Allmachtsvorstellung lächerlich gemacht. Der selbst ernannte „Retter Norwegens“ demaskiert sich selbst und offenbart seinen offensichtlichen Kern, den eines „gesellschaftlichen Verlierers, der sich in eine rechtsextreme Wahnwelt versponnen hat und aus Mordlust und Kompensation für sein armseliges Leben Menschen tötete.“ (Quelle: welt.de).

Wer in Norwegen nicht direkt betroffen ist, wendet sich ab und hofft nur, dass dieser klägliche Versager für immer hinter verschlossenen Türen verriegelt bleibt. Man will Abstand gewinnen und zur Normalität zurückkehren.

Anders Behring Breivik

Auch Anders Behring Breivik ist um ‚Normalität’ bemüht. Für ihn gilt, als zurechnungsfähig zu gelten, denn er will auf keinen Fall in die Psychiatrie. So gibt er sich ruhig und bedacht. Seine zuvor gestellten, reichlich absurden Bedingungen, um Aussagen zu seinen Taten zu machen, z.B. die Auflösung des norwegischen Parlaments, zog er zurück. Dem Gericht liegen zwei widersprüchliche psychiatrische Gutachten über den Geisteszustand Breiviks vor. Im ersten wird er als paranoid-schizophren und damit schuldunfähig, im zweiten als voll zurechnungsfähig und nicht psychotisch bezeichnet. Breivik leide danach allerdings an einer narzisstischen und asozialen Persönlichkeitsstörung und habe ein falsches Selbstbildnis. Die Frage der Zurechnungsfähigkeit entscheidet darüber, ob der 33-Jährige für 21 Jahre ins Gefängnis oder in eine psychiatrische Anstalt kommt.

Der Fall Breivik ist ein besonderer Fall. Nach dem ersten Schein haben wir es hier zum einen mit einem politisch motivierten Attentäter zu tun, zum anderen mit einem Amokläufer, der auf der Insel Utøya alles niedergeschossen hat, was sich bewegte (siehe hierzu meine Beiträge Amok und Spurensuche). Ich schreibe ‚nach dem ersten Schein’, denn die politischen Motive kommen eher einem Wahn gleich und der ‚Amoklauf’ ist untypisch, auch wenn sich der Täter hier in eine Art Blutrausch gesteigert haben muss. Am Ende ließ sich Breivik widerstandslos verhaften.

Aus der Ferne ist Breivik natürlich nur ungenau zu beurteilen. Der Gerichtspsychiater Reinhard Haller siedelt den Fall an der Grenze zwischen Fanatismus und Wahn an. Für den Kriminalpsychologen Prof. Rudolf Egg hat Breivik „in jedem Fall eine Persönlichkeitsstörung“. Beide halten Breivik für nicht heilbar und plädieren für eine lebenslange Unterbringung, egal ob nun im Gefängnis oder in der psychiatrischen Anstalt. Der forensische Psychiater Norbert Leygraf sieht Parallelen zum Fall Ernst August Wagner, der erste Fall in der württembergischen Rechtsgeschichte, bei dem ein Prozess wegen Unzurechnungsfähigkeit eingestellt wurde. Leygraf unterstützt also eher das erste Gutachten.

Ob Breivik nun zurechnungsfähig ist oder nicht, soll nun der Prozess entscheiden, der auf zehn Wochen angelegt ist. Eines wird aber zunehmend deutlich: Vieles von dem, was Breivik erzählt, gibt es wohl nur in seinem Kopf. So beschwert es sich, die Anklägerin wolle ihn als geisteskrank darstellen. Die Fragen über seinen psychischen Zustand dienten nur dazu, ihn und seine extreme Ideologie zu diskreditieren.

Von Normalität wird man im Gerichtssaal in den nächsten Wochen kaum sprechen können …

siehe u.a. auch meine Beiträge:

Bestie Mensch
Schießwut und Waffenwahn
Die Spitze des Eisbergs
Rechtes Schattenland
Herr und Knecht

Grainau 2012 (7): Schneebälle

Egal in welchem Alter: Schnee übt immer eine gewisse Faszination aus. Besonders dann, wenn man mit Schnee nicht rechnet, in einer Jahreszeit, die eigentlich draußen alles grün werden lässt: dann ist Schnee, auch wenn er schon ziemlich pappig geworden ist, mehr als willkommen.

Wenn man sich wie ich mit meinen Lieben in der Vorosterzeit auf zur Zugspitze macht, dann ist es kein Wunder, auf jede Menge Schnee zu treffen (Anfang April waren es immer noch 435 cm Altschnee auf der Zugspitze). Und trotzdem …

Aus Schnee lassen sich schnell Schneebälle formen, sowohl der normalen handlichen Art als auch die Großen, die sich dann höchstens noch rollen lassen. Selbst auf dem Wank lag noch genügend Schnee. Und da Nebel herrschte und sonst niemand zuschaute, entwickelte sich schnell eine Schneeballschlacht – und dicke Schneeklumpen rollten wie Lawinen den Abhang hinunter.

Grainau 2012: Kommt ein Schneeball geflogen ...

Grainau 2012: Kommt ein Schneeball geflogen ...

Grainau 2012: Kommt ein Schneeball geflogen …

Auf dem Wank bei Garmisch-Partenkirchen 2012: Großer Schneeball

Auf dem Wank bei Garmisch-Partenkirchen 2012: Großer Schneeball

Auf dem Wank bei Garmisch-Partenkirchen 2012: Großer Schneeball

Ian Anderson: Thick as a Brick 1 & 2 on Tour

Seit dem 14. April ist Ian Anderson mit seiner Band auf Tour und spielt neben „Thick as a Brick“ auch das Sequel TAAB2. Ab 17. Mai kommt er dann auch auf deutsche Bühnen.

    Thick as a Brick and Sequel Live in 2012

Inzwischen gibt es bei YouTube auch schon die ersten aus dem Publikum aufgezeichneten Videoaufnahmen, die zeigen, wohin die musikalische Reise gehen wird. Da gibt es auf jeden Fall eine für mich sehr große Überraschung: Ian Anderson lässt singen! Zumindest wechseln sich Ian Anderson und der junge Ryan O’Donnell, der bereits auf dem neuen Album einige Gesangparts übernommen hatte, beim Gesang ab. Anderson begründet diesen Wechselgesang damit, dass er schlecht gleichzeitig singen und Flöte spielen könne. Den eigentliche Grund kennen wir natürlich. Konsequenterweise wäre es vielleicht besser, wenn er im ersten Teil von Thick as a Brick den Gesang vollständig in fremde Hände (Stimmen) gegeben hätte, denn er hat hier massive Probleme, die bei TAAB2 nicht so schwerwiegend sind, da er beim Schreiben des neuen Materials dieses bereits an seine heutigen stimmlichen Möglichkeiten merklich angepasst hat. Die Ausrede mit dem Flötenspiel führt zudem zu einem ziemlich absurden Nebeneffekt: Anderson flötet auch da, wo es im Original nicht vorgesehen ist und auch heute nicht so richtig passt, nur um seine Bühnenpräsenz zu dokumentieren.

Ryan O’Donnell ist ein junger Schauspieler, den Ian Anderson über John O’Hara kennengelernt haben muss. Dieser hatte 2009 an der Bühnenadaption der Rock-Oper Quadrophenia von The Who mitgewirkt und diese auch dirigiert. Der Sänger des Jimmy war u.a. Ryan O’Donnell (siehe die Kritik einer Aufführung in der Wiltshire Times, die sicherlich auch Ian Anderson, der in der Grafschaft Wiltshire sein Domizil hat, gelesen haben könnte). Über seine Stimme lässt sich bestimmt streiten. O’Donnell orientiert sich beim Gesang an der Stimme Ian Andersons von 1972, was ihm natürlich nur teilweise gelingen kann. Ian Andersons Stimme von vor 40 Jahren war eben zu markant und unverwechselbar. Aber ich finde sie immerhin besser, als das, was Ian Anderson heute – besonders bei TAAB1 – hervorquält.

Der Bühnenauftritt als solches wirkt noch etwas unausgegoren. Ryan O’Donnell latscht oft unkoordiniert herum, Ian Anderson sortiert Kabel, die ihm im Wege zu sein scheinen. Das sieht dann doch nicht gerade professionell aus. Die Videoeinblendungen im Hintergrund jeweils am Anfang von TAAB1 und TAAB2 zeigen uns Herrn Anderson einmal als bekannte Figur Max Quad, jetzt als Dr. Maximilian Quad, dann als Lord Archibald Parritt von St. Cleve TV, einem fiktiven YouTube-Kanal. Ian Anderson als Schauspieler hat durchaus Witz und kommt seinem Bedürfnis, sich immer wieder gern ausführlich zu artikulieren, entgegen. Auf der Rubbing Elbows Tour früherer Jahre in den Staaten präsentierte er neben seiner Musik Gäste, mit denen er dann vor versammelter Mannschaft ausführlich quasselte. Die Visualisierung, die sich rhythmisch zum Takt der Musik bewegt, ist weniger originell. Wir kennen das von manchem MP3-Player (z.B. Windows Media Player) unseres Rechners her – und haben diese längst deaktiviert, da sie nerven.

Trotz meiner Meckerei muss ich gestehen, angenehm positiv überrascht zu sein. Das liegt natürlich in erster Linie daran, dass Ian Anderson viele Gesangparts abgegeben hat und das „stimmliche Grauen“ nicht das ganze Konzert über den Zuhörer befällt. Bei den Instrumenten klingt mir das Schlagzeug, das technisch nur spärlich ausgestattet zu sein scheint, etwas zu dumpf. Ansonsten bietet besonders auch Florian Opahle, soweit es die Videoausschnitte zeigen, eine ordentliche Leistung. Nun auch ich habe eine gute Ausrede: Da im Umkreis meines Domizils nur Aurich als Konzertort in Frage kommt, und mir das dann doch etwas zu weit entfernt ist, werde ich auch dieses Jahr die Auftritte von Ian Anderson & Co. versäumen. Denen, die sich in eines der Konzerte wagen, wünsche ich trotz der genannten Mängel viel Spaß und gute Unterhaltung!

Übrigens: Thick as a Brick 2 hatte beim Einstieg in die deutschen Album-Charts auf Platz 13 einen glänzenden Start.

Hier die bisher vorhandenen Videos von Konzertmitschnitten der Ian Anderson-Tour 2012, soweit die GEMA noch nichts dagegen hat. Zunächst Thick as a Brick Part 1 (1972) mit dem Opening, einem längeren Ausschnitt aus der ‘Mitte’ – dann das Finale:


Jethro Tull Thick As A Brick Opening 18th April 2012 Liverpool


Ian Anderson Thick As A Brick 2012 Liverpool Philharmonic Hall


‚Thick as a Brick‘ Finale (Live) @ Newcastle City Hall 17th. April 2012

Auch zu TAAB2 (2012) gibt es das Opening, dann einen Ausschnitt aus der Ferne, der aber einen guten Überblick über die Bühne gibt – und zuletzt mit „Banker bets, Banker wins“ das wohl rockigste Stück der neuen Scheibe:


Jethro Tull Thick As A Brick2 Opening 18th April 2012 Liverpool


Ian Anderson – Thick as a brick 2 (excerpt) St Georges Hall Blackburn 20/04/12


‚Banker bets, Banker Wins‘ (Live) Ian Anderson, Newcastle City Hall

Übrigens: Ian Anderson hat noch einiges auf dem Zettel. So plant er lt. einem Interview ein ganz ‚besonderes’ Album: „ …then I’m doing a string quartet album of mainstream Jethro Tull tracks which will be perfect for the weddings, christenings and funerals of Tull fans.”

Also mit Hochzeiten und Taufen sieht es bei mir in näherer Zukunft völlig mau ist. Vielleicht erscheint das neue Album noch rechtzeitig vor meiner Beerdigung, damit ich mir ein passendes Stück für eben diese aussuchen kann.

Tostedt: Ein Freibad für ein Parkhaus

Schon lange ist es klar, das ‚bestimmte Kommunalpolitiker’ das Freibad in Tostedt am liebsten schließen möchten. Die in den 60er Jahren erbaute Badeanstalt ist stark sanierungsbedürftig und wurde zuletzt mehr oder weniger recht als schlecht instandgehalten (2011 wurde immerhin eine Heizungsanlage installiert, die das Beckenwasser auf 22 Grad erwärmt).

Freibad Tostedt – Postkarte aus den 60er Jahren
Freibad Tostedt – Postkarte aus den 60er Jahren

Der Rat der Gesamtgemeinde Tostedt hat nun beschlossen, dass eine Bürgerbefragung per Briefabstimmung erfolgen soll. Danach soll der Bürger entscheiden, ob der jetzige Stand erhalten bleiben, eine grundlegende Sanierung als Freibad oder zu einem Naturfreibad erfolgen oder die Schließung beschlossen werden soll (siehe hierzu die Beilage der Samtgemeinde Tostedt zur Kreiszeitung Wochenblatt Nordheide – April 2012). Natürlich entscheidet am Ende der Gesamtgemeinderat.

Bei einer grundlegenden Sanierung müsste die Samtgemeinde einen Kredit in Höhe von 2,8 bzw. 2,4 Millionen Euro aufnehmen, was die bisherigen Kosten durch Zins- und Tilgungszahlen entsprechend erhöhen würde. Für die bisher eintrittsfreie Badeanstalt würde man dann Eintritt verlangen. Bei einer Schließung sparte man nicht nur die bisherigen Kosten von jährlich 180.000 €, sondern könnte durch Grundstücksverkaufserlöse noch Einnahmen erzielen. Letzteres ist allerdings kritisch zu sehen: Die Kosten für den Abbau des Freibades dürften diese Erlöse deutlich schmälern. Außerdem handelt es sich bei einem größeren Teil des Grundstücks, wenn ich das richtig erinnere, um eine Schenkung der Familie von Thien, die mit der Auflage, eben dieses Freibad zu errichten, erfolgte.

Ich will hier gar nicht auf die Kosten für die diversen Sanierungs- und Machbarkeitsstudien eingehen und auf die Kosten, die diese Befragung betragen wird. Ich kann nur hoffen, dass die Bürger ein klares Votum aussprechen werden. Denn sollte die Beteiligung nur gering sein, so würden das ‚bestimmte Politiker’ als Pro für die Schließung des Freibades auslegen, da dann ja bei einer breiten Bevölkerung kein Interesse bestünde.

Im gleichen Zug will man den Tostedter Bürgern den Bau eines Parkhauses am Tostedter Bahnhof schmackhaft machen. Nach jetzigem Stand soll das 4,14 Millionen Euro kosten, wobei allerdings eine Förderprognose von derzeit ca. 2,31 Millionen Euro aus dem ÖPNV-Förderprogramm durch die Landesnahverkehrsgesellschaft Niedersachsen (LNVG) bestehen soll. Ein Förderantrag ist allerdings noch nicht gestellt. Und eine Bürgerbefragung ist in diesem Fall nicht vorgesehen. Von einer Kostenbeteiligung in Form von Parkgebühren wie in Buchholz ist auch keine Rede – die Kosten hätten die Tostedter Bürger zu tragen, obwohl auch auswärtige Pendler aus anderen Gemeinden und Kreisen (man beachte die Autos mit Rotenburger Kennzeichen) von zusätzlichen Parkmöglichkeiten profitierten.

Die Engpässe bei den vorhandenen PKW-Stellplätzen ist übrigens vor allem eine Folge der HVV-Erweiterung bis Tostedt. Viele auswärtige Pendler, die früher in Lauenbrück, Scheeßel oder gar Rotenburg zustiegen, nutzen heute u.a. die kostengünstige ProfiCard des HVV, die allerdings erst ab Tostedt gültig ist. So kommen diese mit dem Auto nach Tostedt, um hier in den Metronom einzusteigen. Es sollten daher andere Lösungen bedacht werden als die, Tostedt mit Parkhäusern einzudecken.

Parkhaus ja! Freibad nein?

Ich denke, dass es Zeit wird, das Freibad zu sanieren und damit auf längere Sicht zu erhalten. Das ist mir auf jeden Fall wichtiger als ein Parkhaus am Bahnhof. Überhaupt könnte man das Freizeitangebot „Freibad“ attraktiver gestalten, z.B. durch verstärkte Beteiligung der ansässigen Sportvereine. Und um die laufenden Kosten zu verringern, ließen sich u.U. auch Sponsoren auftreiben. Ein Förderverein wäre möglich. Durch bestimmte Veranstaltungen könnte man nicht nur den Bekanntheitsgrad des Bades erhöhen, sondern zusätzliche Besucher anlocken. Gefragt sind mehr Ideen! Wenn aber ‚bestimmte Politiker’, die sich seit Jahren gegen den Erhalt des Freibades stemmen, das Sagen haben, dann muss man dessen Schließung befürchten. Bürgerbefragung hin, Bürgerbefragung her!

Übrigens: Meine Frau und meine Söhne gehören zu den hoch gerechneten „maximal 1.000 bis 1.500 verschiedene(n) Personen“, die das Freibad „tatsächlich mindestens einmal im Jahr nutzen“. Nicht nur einmal … Bei all der Zahlendreherei möchte ich darauf hinweisen, dass so gerechnet immerhin an die 1500 Tostedter Bürger durch den Erhalt oder eine Sanierung des Freibades profitierten statt der 366 Autofahrer aus aller Herren Nachbargemeinden durch den Bau eines Parkhauses.

Weitere wichtige Links:
Pro Freibad Tostedt der DLRG Ortsgruppe Tostedt e.V.
Facebook-Seite „Rettet das Freibad in Tostedt“

Und zuletzt: Die Badesaison beginnt in Tostedt am 1. Mai (siehe auch einen Beitrag auf han-online.de zur Freibadsaisoneröffnung 2011).

Grainau 2012 (6): Ruhepunkte

    Der Wanderer, auf der Höhe angelangt, setzt sich nieder und blickt um sich, bevor er seinen nun absteigenden Weg wieder aufnimmt. Er such zu erkennen, wohin ihn sein verschlungener Pfad endlich führt, dieser Pfad, der sich (denn der Abend sinkt) in Schatten und Nacht zu verlieren scheint. So macht der Autor (der nichts im voraus weiß) ein wenig Rast, schöpft Atem und fragt sich unruhig, wohin seine Erzählung ihn führen soll.

    aus: André Gide: Die Falschmünzer – Les Faux-monnayeurs (1925 – dt.1928), S. 189

Manche Urlaubsreise wirkt lange Zeit nach. Jetzt bin ich mit meinen Lieben eigentlich schon zwei Wochen wieder zu Hause, habe auch schon wieder anderthalb Wochen Arbeit hinter mich gebracht. Aber auch dank der vielen Fotos, die der ältere meiner beiden Söhne ‚geschossen’ hat, ‚kehre’ ich immer wieder nach Grainau, dem Ziel, aber auch Ausgangspunkt unserer Reise zurück.

Wir waren fast immer den halben Tag unterwegs. Da läuft man schon so manchen Kilometer ab. Aber es sind und waren dann die Ruhepunkte, die Augenblicke, in denen man zur Ruhe kommt, in denen man das Äußere, die Landschaft mit den Bergen, innerlich wirken lässt. Einfach einmal abschalten, wirklich abschalten. Und genießen …


Fotos © Jan Einar Albin

Ruhepunkt: Osterfelderkopf 2012