Archiv für den Monat: November 2010

Auf in den Oberharz

Meine Frau weilt für drei Wochen im Oberharz, genauer in Clausthal-Zellerfeld, zur Regenerierung nach ihrer Erkrankung. Heute fahre ich mit meinen beiden Söhnen (der ältere trifft aus Göttingen kommend in Goslar auf uns), um sie dort fürs Wochenende zu besuchen.

Clausthal-Zellerfeld ist bekannt als Bergwerksstadt und Universitätsstadt und bietet hierzu einiges Sehenswertes wie Oberharzer Bergwerksmuseum, eine Geosammlung der TU Clausthal usw.


Größere Kartenansicht
Clausthal-Zellerfeld – (A) Wolfs Hotel – (B) Fachklinik Erbprinzentanne

Sehenswert wird unser kleiner Ausflug natürlich durch den Wintereinbruch, den der Oberharz in diesen Tagen erlebt (und nicht nur der, denn auch bei uns in tieferen Ebenen breitet sich der Winter zum ersten Mal aus): Weiße Schneepracht und umgekippte Bäume im Oberharz

Die Frage ist, ob wir nicht nur heil, sondern auch halbwegs pünktlich im Oberharz ankommen (Bahnfahrt über Goslar, Weiterfahrt mit dem Bus) – und natürlich auch wieder nach Hause kommen. Auf jeden Fall freuen wir uns schon auf viel Schnee …

… featuring Norah Jones

Peter Gabriel überraschte mit seinem Album „Scratch My Back“ voller Cover-Versionen (zudem im ‚klassischen’ Gewand). Jetzt kommt Norah Jones mit einem ‚unüblichen’ Album: … featuring Norah Jones.

Auf diesem Album trifft Norah Jones auf Künstlerkollegen jeglicher Couleur von Country und Jazz bis HipHop und Rock. Zu den 18 Songs dieses stilistisch entsprechend breit gefächerten Blue-Note-Albums zählen Duette mit Legenden wie Ray Charles, Willie Nelson und Dolly Parton ebenso wie Aufnahmen mit angesagten Acts unserer Zeit wie Ryan Adams, OutKast und den Foo Fighters.

… Featuring reicht von einer ihrer frühesten Aufnahmesessions überhaupt (eine Coverversion von Roxy Musics „More Than This“ mit dem Jazzgitarristen Charlie Hunter aus dem Jahr 2001) bis hin zu den jüngsten Zusammenarbeiten, „Little Lou, Ugly Jack, Prophet John“, aufgenommen mit der britischen Indie-Pop-Band Belle and Sebastian, die den Song auch auf ihr aktuelles Album „Write About Love“ genommen hat.

Drei Songs auf „…Featuring“ erschienen ursprünglich auf mit einem jeweils mit dem Grammy ausgezeichneten Album des Jahres (Ray Charles’ Genius Loves Company, Herbie Hancocks River: The Joni Letters und OutKasts Speakerboxxx/The Love Below). Das Album enthält zudem einige Beispiele von Norah Jones‘ weiteren Bands und Seitenprojekten (The Little Willies und El Madmo) sowie Aufnahmen mit Künstlern, mit denen sie auf Tour war, darunter M. Ward, Sasha Dobson, Gillian Welch und David Rawlings. Neben Klassikern von Elvis Presley, Johnny Cash, Joni Mitchell und Roy Orbison kann man hier auch Songs von Ryan Adams und Q-Tip entdecken. Natürlich gibt es auch Lieder von Norah Jones selbst, die wir aber schon kennen.

Trailer zur CD

1. Love MeTHE LITTLE WILLIES (2006)
2. Virginia MoonFOO FIGHTERS feat. NORAH JONES
3. Turn ThemSEAN BONES feat. NORAH JONES
4. Baby It’s Cold Outside – WILLIE NELSON feat. NORAH JONES
5. Bull Rider – NORAH JONES & SASCHA DOBSON
6. Ruler Of My Heart – DIRTY DOZEN BRASS BAND feat. NORAH JONES & ROBERT RANDOLPH
7. The Best PartEL MADMO
8. Take Off Your Cool – OUTKAST feat. NORAH JONES
9. Life Is Better – Q-TIP feat. NORAH JONES
10. Soon The New DayTALIB KWELI feat. NORAH JONES
11. Little Lou, Prophet Jack, Ugly JohnBELLE AND SEBASTIAN feat. NORAH JONES
12. Here We Go Again – RAY CHARLES feat. NORAH JONES
13. Loretta – NORAH JONES feat. GILLIAN WELCH & DAVID RAWLINGS
14. Dear JohnRYAN ADAMS feat. NORAH JONES
15. Creepin‘ In – NORAH JONES feat. DOLLY PARTON
16. Court & Spark – HERBIE HANCOCK feat. NORAH JONES
17. More Than ThisCHARLIE HUNTER feat. NORAH JONES
18. Blue Bayou – NORAH JONES feat. M. WARD

18 Lieder aus 10 Jahren Musikschaffen mit viel Prominenz. Und trotzdem bin ich eher enttäuscht. Natürlich gibt es einige schöne Lieder. Aber insgesamt ist es nicht ‚meine’ Musik. Manches passt einfach nicht: Als Hip-Hopperin wirkt Norah Jones wie ein Fremdkörper. Im Duett mit Willie Nelson ist eher dieser fremd am Platze. Es ist des Guten einfach zu viel. Da mag Preisgekröntes vorgetragen sein, aber es fehlt mir am Ende doch etwas das Rockige. Als Hintergrundmusik zur Dämmerstunde in Cafés und Lounges mag es passend sein – eigentlich auch wieder schade dazu -, aber auf Dauer wirkt es auf mich einschläfernd. Tut mir Leid.

siehe auch weitere Beiträge: Norah Jones: SunriseNorah Jones: Not Too LateNorah Jones: The Fall — (siehe auch:) Scottish Piper and Indian Princess

Alles neu macht der Winterfahrplan

Es geht einmal wieder um den Fahrplanwechsel bei der Bahn zum 12. Dezember – und hier natürlich in erster Linie um die Züge des Metronoms, der sich jetzt wohl zwischen Bremen und Hamburg „Hanse-Netz“ nennen wird. Alte Besen mit neuen Namen kehren auch nicht besser.

Das Gute zuerst: Zwischen Bremen und Hamburg verkehren die Nachverkehrszüge jetzt meist im Halbstundenrhythmus. Die bisherigen Regionalzüge (MEr), die von Hamburg kommend in Tostedt endeten, fahren bis Bremen durch, halten allerdings auch an jeder Milchkanne – wie man so sagt. Nachteilig ist dabei allerdings, dass ‚meine’ in Tostedt eingesetzten Züge in Richtung Hamburg jetzt von Bremen kommen. Verspäten die sich, dann stehe ich im Regen (während ich mir jetzt in Ruhe ein angenehmes Plätzlein im in Tostedt startenden Zug suchen konnte).

Weniger gut, aber für mich uninteressant, da ich den Service nicht mehr wahrnehme: Die kostenlose Stammplatzreservierung wird zum Fahrplanwechsel 2010/2011 vorerst nicht angeboten. Vorteil: Man kann sich auf jeden freien Platz setzen, ohne erst nachzuschauen, ob eine Stammplatzreservierung vorliegt. Ab Mitte 2011 soll es diesen Service dann wieder geben.

Was gerade für Pendler wichtig ist: Fast alle Züge zwischen Bremen und Hamburg haben veränderte Fahrzeiten, die besonders gravierend sind, wenn man mit Anschlusszügen weiterfahren muss. Das angekündigte Mehr an Zügen zu den Hauptverkehrszeiten gilt übrigens nur für Buchholzer. Die Tostedter Pendler dürfen sich lediglich an den abweichenden Fahrzeiten ‚erfreuen’.

Ab Tostedt in Richtung Hamburg gibt es zwar jetzt einen neuen MEr morgens um 5.25 Uhr, der um 6.00 Uhr in Hamburg Hbf. ankommt. Der MEr um 5.40 Uhr, mit dem ich öfter fahre, startet jetzt erst um 5.48 Uhr ab Tostedt. Der ME um 5.57 Uhr und der MEr um 6.09 Uhr werden dafür zu einem ME mit Abfahrt ab Tostedt um 6.11 Uhr (auf dass der Zug richtig voll werde!). Dafür gibt es dann noch einen MEr um 6.32 Uhr ab Tostedt.

In der gestrigen Ausgabe der Kreiszeitung Nord Heide Wochenblatt zeigt der Fahrplanwechsel ein weiteres Problem auf: Der bisherige 7.30 Uhr-Zug ab Tostedt entfällt, wovon rund 160 Tostedter Fahrgäste betroffen sind. Für diesen Zug „hatte die Samtgemeinde die Öffnungszeiten der Kindergärten und Grundschulen extra auf die berufstätigen Eltern abgestimmt. Diese Bemühungen werden mit dem neuen Fahrplan ad absurdum geführt.“ Eine Lösung des Problems ist lt. Metronom-Pressesprecher Hannah Kohn „aus betrieblichen Gründen“ nicht machbar.

Der Metronom in Hamburg

Nachteilig ist ohne Zweifel, dass es keine Züge mehr von und bis Hamburg-Altona geben wird. Mein ME um 16.49 Uhr ab Hamburg Hbf. (der um 16.43 Uhr ab Altona kommend in Dammtor hielt) entfällt ganz.

Angesichts dieser größeren Fahrplanänderungen verwundert es mich doch sehr, dass es immer noch keine Fahrpläne gibt – weder in gedruckter Form noch im Internet. Meine oben genannten Fahrzeiten habe ich von der Website der bahn.de.

Nachtrag: Ich muss mich korrigieren: Wohl ab heute sind die neuen Fahrpläne für die Strecken Bremen – Hamburg – Uelzen erhältlich – im neuen Format (etwas unhandlich, was aber am ‚Mehr’ an Zügen liegt): „Mein neuer Wohlfühlfahrplan! Der neue metronom Komfort, die neuen Verbindungen“ heißt es dort. Wie hässlich muss es unter der Oberfläche sein, wenn man so dick aufträgt! Im Internet sind die neuen Pläne allerdings noch nicht erhältlich.

Mit dem neuen Fahrplan sollen auch mehr Sitzplätze angeboten werden, da z.B. die MEr statt mit bisher 4 dann mit 5 Wagen unterwegs sein werden. Testweise fahren solche Züge bereits jetzt – und verspäten sich in der Regel. Zum einen hat der neue Fahrplan zu Folge, dass neues Personal notwendig wurde, dass mir noch ziemlich ungeübt erscheint, zum anderen müssen die verlängerten Züge an den kurzen Unterwegsbahnhöfen wie Hittfeld und Sprötze ‚punktgenau’ halten, was manchem Lokführer Schwierigkeiten bereitet.

Also fast nur wieder etwas zu meckern bei mir?! Nun wer sich gern selbst immer wieder lobpreist wie die metronom Eisenbahngesellschaft GmbH und sich „Standard [setzt], von dem der metronom im Grundsatz keinesfalls abweichen möchte“ – der wird auch meine bescheidene Kritik verkraften. ‚Freuen’ wir Pendler uns auf das nächste Fahrplanwechsel-Chaos. Das dürfte dieses Jahr etwas krasser ausfallen, oder?!

P.S. Immerhin sind die Tage der maroden, zum Teil gefährlichen Fahrradständer in Tostedt gezählt. Im nächsten Jahr erfolgt ein Neubau. Die erforderliche Summe von 280.000 Euro ist bereits fest eingeplant.

Vergebung

Vergebung (Originaltitel: „Luftslottet som sprängdes“, wörtliche Übersetzung: Das Luftschloss, das gesprengt wurde) ist die Verfilmung des gleichnamigen Romans von Stieg Larsson, der dritte und letzte Teil der Millennium Trilogie (Verblendung – Verdammnis – Vergebung) und damit die Fortsetzung von Verdammnis. Regie führte der Schwede Daniel Alfredson.

Lisbeth Salander (Noomi Rapace) ist auf dem Weg ins Krankenhaus. Wenige Minuten zuvor hätte sie ihre Konfrontation mit dem mysteriösen Zalachenko (Georgi Staykov) und dessen schmerzunempfindlichen Handlanger Niedermann (Mikael Spreitz) beinahe mit dem Leben bezahlt. In den Fluren der Klinik fallen Schüsse, kurz darauf findet die Polizei die Leichen Zalachenkos und eines Attentäters vor. Schnell wird ersichtlich, dass Lisbeths Konflikt mit ihrer Nemesis weit mehr als eine Privatfehde war und beunruhigende Zusammenhänge impliziert. Doch ihre Version der Ereignisse will niemand hören, so wird Lisbeth des versuchten Mordes an Zalachenko angeklagt. Mehr noch: Mit der Diagnose paranoider Schizophrenie gräbt der Psychiater Teleborian (Anders Ahlbom Rosendahl) ihr jede Glaubwürdigkeit ab. Millennium-Autor Mikael Blomkvist (Michael Nyqvist) eilt zur Hilfe – und findet sich samt seiner Redaktion im Fadenkreuz der Hintermänner wieder. Im Chaos zwischen journalistischem und juristischem Papierkrieg, seiner schwierigen Freundschaft zu Lisbeth und so unsichtbaren wie mordlustigen Feinden kommt er einer hochpolitischen Verschwörung auf die Spur…

aus: filmstarts.de


Stieg Larsson – VERGEBUNG – Trailer

Die DVD zu diesem dritten Teil Vergebung ist erst seit Kurzem erhältlich. Für den, der sich für diese Mischung aus Thriller und Kriminalfilm interessiert, ist es empfehlenswert, die drei Teile möglichst zeitnah zu sehen. Auch wenn Teil drei für sich zu betrachten ist, so würden doch wichtige Informationen – besonders zur Hauptperson Lisbeth Salander – fehlen.

Mit Vergebung endet eine Filmtrilogie, die es in sich hat und in diesem 3. Teil ihren dramaturgischen Höhepunkt erreicht. Es ist der in den Schaltstellen der Macht schwelende, sadistisch-maskuline Geist, der die „Vergebung“ so beunruhigend gestaltet. So planen ehemalige und zurzeit noch tätige Mitarbeiter der Sicherheitspolizei Vorgehensweisen, um die Affäre Zalatschenko zu vertuschen, von der wir im zweiten Teil der Trilogie erfahren haben. Die Anklage und die sogenannten Sektion der Sicherheitspolizei, die im rechtsfreien Raum operiert, haben sich zum Ziel gesetzt, Lisbeth für immer und ewig in die geschlossene Psychiatrie einzuweisen. Ihr ehemaliger psychologischer Arzt Dr. Teleborian unterstützt die Staatsanwaltschaft ebenfalls bei dem Ansinnen, Lisbeth außer Gefecht zu setzen.

Der Film kreist um die große Unsicherheit vordergründig aufklärerisch-moderner Gesellschaften: In welchen rechtsfreien Räumen arbeiten Geheimdienste? Wird ihr Tun durch höchste Regierungsstellen gedeckt? Wie gerecht fällt ein Staatssystem tatsächlich aus, wenn seine Repräsentanten selber auf der Anklagebank zu landen drohen?

Aber es sind vor allem auch persönliche Interessen, Karrieregier und sexuelle Gelüste, die solche Freiräume zu nutzen weis. Der Staatsanwalt und der Psychiater Dr. Teleborian stehen hierfür. Ein Höhepunkt des Films sind die Gerichtsszenen, die als Kammerspiel inszeniert sind und in denen Staatsanwalt und Psychiater mit der Angeklagten Lisbeth Salander und ihrer Verteidigerin konfrontiert werden.

Am Schluss bleibt die Frage, ob ein solches Szenario überhaupt denkbar ist. Kann sich eine „Sektion“ eines Geheimdienstes in einer Demokratie dermaßen ‚selbständig“ machen und sich derartige kriminelle Akte leisten, ohne aufgedeckt zu werden. Im Film endet alles „gut“. Die Bösen werden verhaftet und Lisbeth Salander kommt frei. Es bleibt aber eben ein bitterer Nachgeschmack.

Der Witzableiter (22): Mein Witz, mein unbekanntes Wesen

Fortsetzung von: (21): Die Lust an der Angst

In der Kolumne „Der Witzableiter“ von Eike Christian Hirsch, die 1984 im ZEITmagazin erschien, geht es heute um Traumata und Triebe, also um Wunden, die uns das Leben schlägt – aber auch um Wünsche, die vielleicht unerfüllt bleiben – mit denen wir uns aber im Witz beschäftigen und uns dadurch gewissermaßen selbst therapieren.

Das Buch zur Kolumne: Eike Christian Hirsch – Der Witzableiter: Oder Schule des Lachens

Die Geliebte des kaiserlichen Leutnants schluchzt: „Es war der schrecklichste Augenblick meines Lebens, Otto, als ich deinen Trennungsbrief bekam. Ich wollte mich erschießen, aber ich hatte kein Geld, mir einen Revolver zu kaufen.“ Darauf er: „Aber Liebste, hättest du nur ein Wort gesagt.“

Die zynische Kälte des Leutnants hat es mir angetan. Aber ich weiß zugleich, daß ich mich durch meine Begeisterung nur schützen will, weil mich nämlich Zynismus eigentlich besonders verletzt. Mit Zynismus gegen die Angst vor Zynismus? Es scheint so zu sein! Mit Witzen wollen wir ein Trauma kurieren. Auch dieser Junge rührt mich:

Der kleine Patrick kommt mit einem blauen Auge aus der Schule. „Einer von den Großen aus unserer Klasse war das“, klagt er. „Morgen bringst du ihm eine Tafel Schokolade mit, dann werdet ihr bestimmt Freunde“, meint die Mutter. Am nächsten Tag kommt der kleine Patrick mit einem zweiten blauen Auge nach Hause. „Wer war denn das schon wieder?“ fragt die Mutter. „Wieder der große Junge. Er mag keine Schokolade.“

Einer der frühen Schüler Freuds, der Amerikaner A. A. Brill, der Freuds Buch über den Witz bereichert und ins Englische übersetzt hat, veröffentlichte 1940 selbst eine Arbeit über den Humor. Darin berichtet er, es sei ihm zur Gewohnheit geworden, seine Patienten nach ihrem Lieblingswitz zu fragen. Von einem jüngeren Wissenschaftler hörte er diesen: Der zerstreute Professor stellt sich ans Klobecken, knöpft seine Hose auf, zieht die Krawatte heraus und pinkelt in die Hose.

Brill meint, der Witzerzähler habe damit seinen Vater verspottet, unter dessen Dominanz er litt. Der hatte ihn früher getadelt, wenn er in die Hose machte. Außerdem symbolisierte die Krawatte hier den größten Wunsch des Sohnes, der einen Komplex wegen seines zu kleinen Penis gehabt habe.

Fünfzehn Jahre später veröffentlichte ein anderer amerikanischer Therapeut, Israel Zwerling, ohne Brill zu kennen, ebenfalls eine Studie über den Lieblingswitz in der Therapie. Eine Patientin hatte ihm diesen erzählt: Ein Mann wird gefragt: „Wer war die Dame, mit der ich Sie gestern abend gesehen habe?“ Und er antwortet: „Das war keine Dame, das war meine Frau.“ Die Patientin habe daraufhin zu weinen begonnen und gesagt, der erste Eindruck, den sie von ihrer Mutter gehabt habe, sei der Anblick gewesen, wie sie das Klo geputzt habe. Sie selbst wollte niemals so erniedrigt werden. Offenbar war der Witz ein bitterer Spott über das, was die Patientin am meisten fürchtete.

Witzableiter (22)

Auch Gershom Legman (das ist der Mann, der über den unanständigen Witz ein Buch geschrieben hat) meint, der Lieblingswitz könne „das tiefste Problem“ eines Menschen verraten. Der Witzerzähler werbe unbewußt um Verständnis für sein Trauma. Legman nennt das Beispiel einer Engländerin, die im Krieg ein Bein verloren hatte und daran litt, daß sie dennoch vorübergehend die (perverse?) Aufmerksamkeit von Männern erregte. Als man sie in Gesellschaft drängte, einen Witz beizusteuern, fiel ihr nur dieser ein: „Jeder kann sich irren“, sagte der Igel und kletterte von der Haarbürste.

Diese Frau scheint ihr Trauma tapfer benennen zu wollen. Man könnte vermuten, in Witzen, die bei uns zünden, gehe es immer um Probleme. So einseitig muß man das aber nicht sehen. Jedenfalls ist nicht immer Angst im Spiel. Auch Wünsche zeigen sich. Ein deutscher Professor, der sich mit Witzen auskennt, erzählte in der Zeit nach den Studentenunruhen keinen so oft wie diesen: „Auf dem WC der Uni trifft ein Student seinen Professor und sagt zu ihm: „Endlich kann ich mir Ihnen gegenüber mal etwas herausnehmen.“ Aber der Professor erwidert: „Machen Sie sich keine Illusionen. Sie werden auch diesmal den kürzeren ziehen.“

Dieser Lieblingswitz, das darf man vermuten, führt die unverhüllte Wunscherfüllung des Professors vor. Wir haben es also nicht nur mit Traumata, auch mit Trieben zu tun; nicht nur mit Wunden, auch mit Wünschen.

Der amerikanische Analytiker Heinz Kohut schreibt, wenn sich der Patient gegen Ende der Therapie selbst mit Humor sehen könne, so sei das „als ob die Sonne unerwartet durch die Wolken bräche“. Die Besserung scheint stabil, die Heilung in Sicht.

Man nennt es wohl Galgenhumor, wenn jemand über sein Unglück, wo er es schon nicht zu ändern weiß, wenigstens spotten kann. Diesen Humor hat Sigmund Freud im hohen Alter einen „Triumph des Ichs“ genannt. Mit einem Beispiel dieser Gattung, makaber wie es sich gehört, will ich schließen.

Ein Mann ist aus dem zehnten Stockwerk gefallen. Viele Leute umdrängen die Unglücksstelle. Einer drängelt sich zum Opfer vor und fragt, was passiert sei. „Ich weiß es nicht“, sagt der Verunglückte mit letzter Kraft, „ich bin gerade auch erst angekommen.“

Eike Christian Hirsch – Der Witzableiter (Kolumne in 25 Teilen)
aus: ZEITmagazin – Nr. 49/1984

[Fortsetzung folgt]

Vincent will Meer

Vincent will Meer ist ein deutscher Spielfilm von Regisseur Ralf Huettner aus dem Jahr 2010. Das Originaldrehbuch des Films stammt von Florian David Fitz, der zudem auch die männliche Hauptrolle spielt.

Bis zu ihrem Tod lebt Vincent (Florian David Fitz) bei seiner alkoholkranken Mutter. Flugs bugsiert ihn sein Vater (Heino Ferch), dessen Aufmerksamkeit bestenfalls als funktionalistisch gelten kann, in ein Therapiezentrum. Hier soll sich die Fachärztin Dr. Rose (Katharina Müller-Elmau) um die Behandlung von Vincents Tourette-Syndrom kümmern – das der Vater auch noch als Ursache für die Alkoholabhängigkeit seiner Frau zu erkennen glaubt. Als intelligenter, sensibler und freiheitsliebender junger Mann fühlt sich Vincent jedoch schnell eingesperrt und bevormundet. Mit der magersüchtigen Marie (Karoline Herfurth) klaut er den Wagen ihrer Ärztin und macht sich auf den Weg nach Italien. Dass auch Vincents zwangsneurotischer Zimmergenosse Alexander (Johannes Allmeyer) mit auf die Reise kommt, ist ein situationsbedingtes Opfer, das die beiden billigend in Kauf nehmen. Dann informiert Dr. Rose Vincents Vater und die beiden begeben sich auf die Suche nach den Entflohenen. Schon bald kommt es zu einem ersten Aufeinandertreffen, das aber keineswegs das Ende der Reise markiert…

aus: filmstarts.de

Vincent will Meer
Vincent will Meer – Trailer

Am Freitagabend habe ich mir mit meinem jüngeren Sohn die DVD Vincent will Meer angeschaut. Der Film überzeugt mit feinem Gespür für Zwischenmenschliches und ist neben seiner Originalität sehr sympathisch und unterhaltsam. Natürlich ist er nicht ganz frei von Klischees, aber er versteht es, die sich oftmals unfreiwillige Komik, die sich zwangsläufig ergibt, wenn Tourette-Kranke und Zwangsneurotiker gemeinsam auf engstem Raum und ohne Plan unterwegs sind, zu eigen zu machen, ohne sich über die pathologische Lage der drei ungleichen Reisenden lustig zu machen.

Vincent will Meer beweist, dass selbst bei einem schwierigen Thema eine Komödie gelingen kann. Ein ungewöhnlicher Roadmovie, den ich durchaus empfehlen kann.

Hysterie?!

Vor einigen Tagen warnte Innenminister Thomas de Maizière (CDU) vor einem Anschlag für Ende November. Zum Schutz der Bevölkerung wird nun auf Flughäfen, Bahnhöfen und an den Grenzen strenger kontrolliert.

Zuvor sorgten gleich zwei Mal Paketbomben für Aufsehen. Eines der Pakete aus dem Jemen mit dem Ziel USA wurde in Köln umgeladen. Eine andere explosive Sendung aus Griechenland erreichte sogar das Bundeskanzleramt.

Nach der Entdeckung einer Bombenattrappe vor einem Air-Berlin-Flug von Namibia nach München geht jetzt die Frage um, wer für diesen ‚Testlauf’ verantwortlich war. Wenn es der Chef der Flughafenpolizei in Windhuk war, der die Bombenattrappe platziert hat, wer hat ihn beauftragt?

Laut „Spiegel“ plant die Al-Kaida mit seinen Verbündeten möglicherweise einen Anschlag auf den Berliner Reichstag. Im Zuge des Angriffs wollen die Terroristen Geiseln nehmen und mit Schusswaffen ein Blutbad anrichten. Die Informationen über die Planungen stammen von einem Dschihadisten, der angeblich aussteigen wolle.

Inzwischen gibt es erhöhten Sicherheitsmaßnahmen offenbar auch an den Grenzen. Vor allem der Verkehr aus dem Balkan werde kontrolliert, heißt es. Zugleich wurde ein weiteres Terrorszenario bekannt: Zwei Personen sollen vor sechs bis acht Wochen nach einer Terrorausbildung in Nordpakistan nach Deutschland gekommen sein, um mit Zeitzündern Anschläge auf „eine Menschenmenge in einer großen Stadt“ zu verüben.

Am Freitag, als ich mit einen meiner Söhne aus dem Kino in Hamburg-Harburg kam und mit dem Zug nach Hause fahren wollte, war die gesamte S-Bahnhof Harburg von die Polizei wegen eines Bombenalarms von 16.30 bis 18.30 Uhr komplett gesperrt. Der Zugverkehr von und nach Stade sowie vom und zum Hauptbahnhof wurde eingestellt.

Nach Angaben der Bundespolizei war in einem Zug der S3 Richtung Pinneberg ein herrenloser Koffer entdeckt worden. Der Zug wurde im S-Bahnhof Harburg gestoppt. Alle Passagiere mussten die Abteile und Bahnsteige verlassen. Am Eingang Hannoversche Straße sperrte die Polizei die Treppen mit Polizeiband ab. Von dort kam ein ferngesteuerter Spezialroboter zum Einsatz. Per Greifarm transportierte der Roboter dann das Gepäckstück auf den Bahnsteig, wo es durchleuchtet wurde. Da der Inhalt nicht einwandfrei identifizieren werden konnte, wurde das Gepäckstück mit einem sogenannten Wassergewehr aufgeschossen. Der Inhalt stellte sich als harmlos heraus: Bekleidungsstücke, Büromaterial und auch Papiere.

Warum tönt man aber auf der Website eines regionalen Radiosenders und faselt von Bombenattrappe? Und die ungnädige Bild-Zeitung verkündet: In der U-Bahn fährt immer die Angst mit. Im Zusammenhang mit der Räumung der S-Bahnstation Harburg sprach man dann auch noch von Evakuierung!

Schaukelt sich Deutschland in eine Terror-Hysterie? Sollte es tatsächlich Anhaltspunkte geben, dann „wäre es fahrlässig, die Hinweise nicht ernstzunehmen“, wie der Innenminister betont. Aber welche Anhaltspunkte sind das? Und kommt es der CDU nicht zupass, aufgrund des Tiefststandes der Umfragewerte konservative Reflexe zu mobilisieren?

Zu Panik und Hysterie gibt es wenig Grund, denn es ist weiterhin völlig unklar, wer wann und wo Anschläge verüben will. Wer jetzt wieder nach schärferen Gesetzen ruft und die möglichen Gefahren für parteipolitische Kampagne zu nutzen trachtet, sollte bedenken, dass wir den Rechtsstaat nicht verteidigen, in dem wir ihn Schritt für Schritt einschränken. Noch zeigt sich auch die Bundesregierung halbwegs besonnen. Aber wie lange noch?

Vor allem die Medien sollten sich in Zurückhaltung – besonders im Sprachgebrauch – üben. Wer mutwillig mit falschen Termini arbeitet, suggeriert ein falsches Bild der tatsächlichen Gefahrenlage.

Harry Potter und die Heiligtümer des Todes (Teil 1)

Alles, was lange währt, wird mit der Zeit gut – und endet. Mit sieben Harry Potter-Romanen hat uns Joanne K. Rowling beglückt, deren letzter Teil nun in die Kinos gekommen ist – genauer: der erste Teil des letzten Roman: Harry Potter und die Heiligtümer des Todes (Teil 1)

Um gleich eines festzuhalten: Die Harry-Potter-Romane sind der Kinder- und Jugendliteratur zuzuordnen. Es geht um eine Entwicklungsgeschichte eines Jungen und seiner Freunde zum Erwachsenen, auch wenn mit den Stilmitteln des Fantasy gearbeitet wird. Es gibt die Guten und die Bösen. Es geht um Freundschaften und zuletzt natürlich auch um erste Liebschaften.

Was noch in meiner Kinder- und Jungendzeit die Abenteuerromane von Karl May waren, der ganze Kosmos um Old Shatterhand und Winnetou, um Kara Ben Nemsi und Hadschi Halef Omar (wobei mir die beiden letzteren lieber waren als der Indianer-Zirkus), sind in den letzten Jahren Harry Potter und Co. – Frau Rowling wird sich freuen, wurde sie durch ihre Romane (samt Vergabe der Filmrechte usw.) zur Milliardärin.

Seit Donnerstag nun gibt es „Harry Potter und die Heiligtümer des Todes“ im Kino, den letzten Teil der sieben Romane, der in zwei Teile zerlegt wurde, also HP 7.1

Im Mittelpunkt steht die Suche von Harry Potter, Hermine Granger und Ron Weasley nach den Horkruxen, in die Lord Voldemort mittels dunkler Magie seine Seele gebannt.

Durch das Märchen von den drei Brüdern, in dem es um drei Brüder geht, erfahren wir von den Heiligtümern des Todes: den Elderstab, den Stein der Auferstehung und den Tarnumhang.

Die letzte Szene des Films hingegen spielt in Hogwarts: Voldemort fliegt zu Dumbledores Grab, bricht es auf und nimmt den Elderstab aus den Händen des Toten an sich. Er triumphiert.

Mit diesem offenen Ende zurückgelassen, wartet nun die ganze Harry Potter-Schar auf Teil 7.2 … und wird wohl noch bis Mitte des nächsten Jahres warten müssen. Der dann endgültig letzte Teil soll aber endlich in 3D zu sehen sein.


Harry Potter und die Heiligtümer des Todes (Teil 1)

Weiteres aus dem Harry Potter-Kosmos

Einstimmen auf Harry Potter

Meine beiden Söhne sind mit Harry Potter ‚aufgewachsen’. Mein Frau hat ihnen, als sie noch einige Jahre jünger waren, viele Abende lang aus den dann insgesamt sieben Romanen vorgelesen. Mit Spannung haben sie den Worten gelauscht. Konnte mein Frau einmal nicht, dann musste ich einspringen und vorlesen. Und so haben wir natürlich auch alle Harry Potter-Filme im Kino gesehen – und zu Hause per DVD und Beamer die Filme mindestens noch einmal betrachtet.

Seit gestern nun gibt es „Harry Potter und die Heiligtümer des Todes“ im Kino, den letzten Teil der sieben Romane, der in zwei Teile zerlegt wurde, also HP 7.1

Natürlich werde ich auch diesmal – und zwar noch heute -, wenn auch nur mit dem jüngeren meiner beiden Söhne ins Kino gehen, um mir den Film anzugucken. Zur Einstimmung haben wir uns gestern Abend noch einmal den 6. Teil angeschaut: Harry Potter und der Halbblutprinz.

Lord Voldemort hat darin keinen Auftritt. Aber wir erfahren seine Vorgeschichte, die des Tom Riddle. Im Mittelpunkt dieses Teils steht Horace Slughorn, Lehrer für Zaubertränke in Hogwarts und einst Lehrer des Tom Riddle. Wir erfahren etwas über Horkruxen, Gegenstände, in den ein Zauberer mittels dunkler Magie einen Teil seiner Seele bannt, um dem Tod zu entfliehen. Dieser Horkruxen bedient sich auch der dunkle Lord. Am Ende dieses 6. Teils wird Albus Dumbledore, Direktor der Zauberschule, von Severus Snape (in diesem Teil Lehrer für die Verteidigung gegen die dunklen Künste) mit dem Avada-Kedavra-Fluch getötet.


Harry Potter und der Halbblutprinz

Heute nun sehen wir uns den vorletzten der Harry Potter-Filme an: Harry Potter und die Heiligtümer des Todes (Teil 1):


Harry Potter und die Heiligtümer des Todes (Teil 1)

Altes „Neues“ von Jethro Tull (8)

Hi, Freunde. Heute nur etwas in aller Kürze – und zudem quasi eine Quizfrage mit sofortiger Auflösung:

Man kann sich selbst als Tull-Fan kaum die Namen aller Musiker merken, die irgendwann einmal bei Jethro Tull mitgespielt haben, ganz abgesehen von denen, die nie auf einem Album mitgewirkt haben. Da kommen gerade in den letzten Jahren (mangels CD-Veröffentlichungen) einige zusammen (auf die Schnelle fallen mir nur Florian Opahle und Mark Mondesir ein).

Und in diesem Zusammenhang nun die angekündigte Frage: Kennt einer von Euch einen Francis Wilson?

Francis Wilson: Seewetterbericht

Ne, keinen Schimmer? Vielleicht noch ein kleiner Tipp: Francis Wilson unterstützte den Meister Ian Anderson gewissermaßen auf dem Album Stormwatch. Klingelt’s jetzt? Auch nicht? Macht nichts. Francis Wilson war bis Juni 2010 der Kachelmann des britischen Fernsehens. Er hat keine Freundinnen mutmaßlich vergewaltigt, das nicht: Er war der Wettermann. Zunächst ab 1978 bei Thames TV. Dann ab 1983 bei BBC Breakfast, also dem britischen Frühstücksfernsehen – und von 1993 an bei Sky News, wo er die TV-Wetterfront führte, die 24 Stunden am Tag den Wetterbericht für Europa verkündete.

Auf „Stormwatch“ ist Wilson gleich zweimal zu hören. Im Stück „North Sea Oil“ verliest er den Seewetterbericht (Shipping Forecast) – und er spricht die Einleitung im Lied „Dun Ringill“. (“Lines join in faint discord and the stormwatch brews a concert of kings as the white sea snaps at the heels of a soft prayer whispered….”):


Jethro Tull – Stormwatch (Shipping Forecast ca. 1:50)


Jethro Tull – Dun Ringill

Soviel für heute …

Ernst und/oder unterhaltend (Musik)

Es ist ein Kreuz mit den Schubkästchen. Spätestens seit Aristoteles ist es Brauch, alles Mögliche zu klassifizieren und in Gattungen, Arten und dergl. zu untergliedern. Wie sollte es da mit der Musik und der Literatur nicht anders sein. Die Krux ist es aber, nicht immer das richtige Fach zu finden.

Verbleiben wir heute einfach nur bei der Musik. Da unterscheidet man zunächst einmal ganz schlicht zwischen E- und U-Musik – und eine F-Musik kommt für alle Fälle auch noch hinzu. E steht für ernst und kulturell wertvoll, U für unterhaltend, populär, fast immer kommerziell und ohne Anspruch, Kunst zu sein. Und F für funktional (Militärmusik, Kirchenmusik, Bühnenmusik und Filmmusik). Sie wird auch Gebrauchsmusik genannt und soll hier vernachlässigt werden.

Die Klassifizierung in E- und U-Musik ist ziemlich neu. Gern wird dabei eine „hohe“ Musik von einer „niederen“ unterscheidet (Im Englischen kennt man die Begriffe ‚serious music’ und ‚art music’ bzw. ‚popular music’ und ‚light music’).

Die Grenzen zwischen E- und U-Musik sind natürlich fließend und zudem nur im zeitlichen Kontext zu sehen. Musik, die früher einmal der U-Musik zugerechnet wurde (z.B. Operetten), kann heute zur E-Musik gehören; umgekehrt allerdings weniger (vielleicht nur durch exzessiven kommerziellen ‚Missbrauch’, z.B. für Werbung).

Ob eine Unterscheidung von U-Musik und E-Musik möglich ist und ob damit Werturteile verbunden sind, ist Thema der Musikästhetik und der Musiksoziologie und wird in den Interessenverbänden kontrovers diskutiert – auch deshalb, weil diese Einteilungen mit ökonomischen Interessen verbunden sind.

Ernste Musik oder Kunstmusik wird meist in ein Mäntelchen eingehüllt, dem wir das Synonym klassische Musik gegeben haben und im Wesentlichen die europäische Musiktradition (von der alten bis zur neuen Musik) betrifft. Ohne Probleme ordnen wird da Komponisten und Musiker wie Johann Sebastian Bach, Mozart, Beethoven und auch Strawinski und Arnold Schönberg zu.

Unterhaltsame Musik gliedert sich im Grunde in Popularmusik und Volksmusik, wobei beides ursprünglich das Selbe beinhaltete: Der deutsche Begriff „Volkslied“, als Übersetzung der englischen Bezeichnung „popular song“, stammt aus einer 1773 erschienenen Rezension von Johann Gottfried Herder über eine 1765 in England erschienene Sammlung von englischen und schottischen Balladen. Im Gegensatz zur Popularmusik (auch Popmusik) sieht man in der Volksmusik heute meist die regionaltypische Musiktradition (siehe hierzu auch den Beitrag: Was ist bloß mit Ian los? Teil 70: Von folkloristischen grauen Haaren aus Dublin)

Soweit die Unterscheidung im Groben. Der U-Musik sagt man meist nach, sie wäre gekennzeichnet durch „Einfachheit“ oder gar „Trivialität“ und zeichne sich durch eine als angenehm empfundene einfache Harmonik und durch leicht einzuprägende und nachsingbare Melodiefolgen aus. Wie war das noch mit der Krux?

Neben „Der Mai ist gekommen“ gilt „Komm lieber Mai und mache“ als eines der beliebsteten Lieder, die eben zu einer Zeit gesungen werden, in der Bäume ausschlagen und kleine Veilchen blühen. Letzteres stammt von keinem Geringeren als Johann Amadeus Mozart (KV 596), genau dem, der hier im Text weiter oben als eindeutig der E-Musik zugeordnet wurde. Ist das aber nicht ein Volkslied – eigentlich? Oder doch ‚schon’ ein Kunstlied? Ähnlich verhält es sich mit Franz Schuberts Forelle.

Apropos ernst und kulturell wertvoll … und Mozart? Wie viele sicherlich wissen, war unser kleines Wolferl ein in mancherlei Hinsicht ganz Schlimmer. „Gute Nacht, gute Nacht, scheiß ins Bett, daß’ kracht; gute Nacht, schlaf fei’ g’sund, und reck’ den Arsch zum Mund!“ heißt es da.


Wolfgang Amadeus Mozart – Bona nox, bist a rechta Ox (KV 561)

Dem nicht genug, komponierte und dichtete Mozart den sechsstimmiger Kanon „Leck mich im Arsch“. Seine Entstehung lässt sich auf das Jahr 1782 datieren. Zu Lebzeiten des Komponisten blieb das Werk ungedruckt, erst seine Witwe Constanze Mozart überließ es dem Leipziger Verlag Breitkopf & Härtel zur Publikation. Dort wurde allerdings die erste Zeile des Textes in „Lasst froh uns sein“ abgeändert. Der Kanon erhielt die Köchelverzeichnis-Nummer 231. Seit der dritten Auflage von 1937 trägt er dort die Nummer 382c und wurde so in einer Gruppe mit mehreren Kanons und kleineren Gelegenheitswerken, darunter auch „Leck mir den Arsch fein recht schön sauber“ KV 382d (ehemals KV 233), zusammengefasst.


Wolfgang Amadeus Mozart – Leck mich im Arsch (KV 382c)

Nur so am Rande: Über Mozarts Hang zur Koprolalie gibt es reichlich Belege, wahrscheinlich litt er sogar am Tourette-Syndrom (siehe Mozart und das Tourette-Syndrom). Aber das ist ein anderes Thema, gelt, Sauschwanz Wolfgang Amadé Rosenkranz?!

Aber genug zu Mozart an dieser Stelle (ich verweise auf Mozart an anderer Stelle in diesem Blog: Amadeus, der GrößteHappy birthday, Amadeus!Spirits of Mozart – Ian Andersons Mo’z Art MedleyAlso sprach Schincklass – Mozartetc.)

U-Musik ist also nicht immer hehrer Art, sondern kann durchaus auch sehr profan sein (wie schön, das zu wissen). Andersherum geht es natürlich auch. Was gern als alltäglich, simpel und fernab jeglicher Kunst betrachtet wird, kann durchaus die Kriterien der U-Musik erfüllen. Ein beliebtes Beispiel: Thick as a Brick von der Gruppe Jethro Tull (Jethro Tull live on 10th Feb. 1977 at Golders Green Hippodrome – Teil 1Teil 2)

Über Jethro Tulls „Thick as a Brick“ habe ich mich hier lang und breit ausgelassen. Dem ist kaum noch etwas hinzuzufügen. Im Zusammenhang mit diesem über 40-minütigen Stück wurde und wird immer wider der Begriff Konzeptalbum benutzt. Zusammen mit dem Text (Libretto) und dem Cover des Albums kann man durchaus auch von einem Gesamtkunstwerk sprechen. Ja, Kunstwerk, denn das ist dieses Album ohne Zweifel. Es wird dem Progressive Rock zugerechnet und ist neben melodischem Hardrock stark von Folk-Rock-Elementen, Jazz und in Teilen der klassischen sinfonischen Musik beeinflusst. Die Musik wechselt vielfach zwischen unterschiedlichen Stilen und Tempi und wirkt im Ganzen wie eine sinfonische Dichtung (von Suite, also einem Zyklus von Instrumental- oder Orchesterstücken, ist die Rede) oder – wegen des Gesangs – eine Kurzoper. In der Terminologie der klassischen Musik verwendet man gern auch den Begriff Programmmusik.

“Thick as a Brick” ist ein Grenzgänger zwischen E- und U-Musik und schon eher der ernsten Musik zuzurechnen, denn den vollen Genuss erlangt man erst, wenn man das Album „in aller Stille“ hört.

Ja, mit den Schublädchen ist das schon so eine Sache. Wie gut, dass sich eben doch nicht alles so einfach einordnen und beschriften lässt. Gerade anspruchvolle Musik, ob als E- oder U-Musik etikettiert, – und natürlich auch Literatur – verdient kein starres Korsett, sondern braucht Raum und Zeit, um ‚atmen’ zu können und als ‚schön’ wahrgenommen zu werden (Wahrnehmung = Ästhetik).