Archiv für den Monat: September 2008

(Fast) unterschlagene Beiträge – Teil 10

Vor dem Rücktritt kommt der Sonderparteitag

Das es eine Klatsche für die CSU bei den Landtagswahlen in Bayern werden könnte, damit hatten die meisten gerechnet. Aber mit gerade einmal 43,4 % der Wählerstimmen, wohl bemerkt der abgegebenen Wählerstimmen, sind Huber und Beckstein meilenweit vom Ziel 50 plus entfernt. Da hilft nichts, eine Koalition muss her. So will die CSU-Spitze zügig Sondierungsgespräche mit der FDP und den Freien Wählern führen.

Und Parteichef Erwin Huber bleibt im Amt – erst mal. Aber der stellvertretende CSU-Chef und Bundesverbraucherminister Horst Seehofer steht schon in den Startlöchern. Er hat ja auch lange genug auf den Startschuss gewartet. Ein Sonderparteitag soll alles regeln.

Nachschlag: Nun geht es doch schneller als erwartet: Erwin Huber tritt heute als CSU-Parteichef zurück und macht damit Platz für Horst Seehofer. Günther Beckstein soll dagegen in Amt und Würden bleiben. Wie lange noch …

McCain als Rudi Ratlos

Nun hat man sich zwischen US-Kongress und Regierung in Sachen Rettungsplan für die US-Banken offenbar geeinigt. Aber im Vorfeld machte Präsidentenaspirant John McCain nach Meinung vieler Beobachter keine gute Figur. McCain hüllte sich in Schweigen und wusste schlicht und ergreifend nicht, was er tun solle. War das vielleicht schon ein erster altersbedingter Schwächeanfall?

Nachschlag: Das Repräsentantenhaus stimmt gegen das 700 Milliarden-Dollar-Paket der Regierung. Und schon stürzt der Aktienindex ins Bodenlose. Es sind vorallem Vertreter der Republikaner, die gegen das Hilfspaket stimmten. Bush in Not. Und für McCain auch kein glücklicher Tag.

Armer Klinsmann

„Es war eine sehr unnötige und sehr ärgerliche Niederlage. Um das Spiel umzudrehen, hat uns vieles gefehlt: Kreativität, Spielwitz und das Spiel ohne Ball“, ärgerte sich Bayern-Trainer Jürgen Klinsmann nach der zweiten Niederlage in Folge, jetzt bei Hannover 96.

Und liest man in den einschlägigen Fußball-Foren die Fan-Kommentare, dann hat man den Buhmann für dieses desolate Bayernspiel längst ausgemacht: Den esoterisch-schwäbischen Trainerpraktikanten aus Kalifornien, Jürgen Klinsmann.

Wenn Bayern mehr hassen als Preußen, dann wohl Schwaben, oder?

Nachschlag: Nein, Klinsmann ist weiterhin Trainer der Bayern. Aber sollte es heute Abend im Champions League-Spiel gegen Olympique Lyon nichts werden, dann wird es eng für unserer Ex-Bundestrainer.

Jethro Tull in Milton Keynes 1986

Im Jahr 1987 stellte die Firma Tyne Tees TV für den britischen Sender Channel 4 eine Dokumentation unter dem Titel „Fish ’n’ Sheep & Rock ’n’ Roll“ zusammen, die das Leben von Ian Anderson von der Rockgruppe Jethro Tull ausleuchtete. Im Mittelpunkt stand u.a. die Lachszucht, die er damals auf der Isle of Skye (und dort auf der Halbinsel Strathaird) betrieb. Neben Ian Anderson kam auch seine Frau Shona ins Bild. Die Sendung wurde im September 1987 in Großbritannien ausgestrahlt.

Halbinsel Strathaird auf der Isle of Syke

Es gibt immer Findige, die eine solche Sendung per Videorekorder aufzeichnen und so über die Jahre retten (eine Kopie sollte auch beim Sender selbst vorhanden sein). Wenn diese Findigen weitere ihrer Art ausmachen, die im Stande sind, das damals analog aufgezeichnete Material zu digitalisieren, dann wird sich diese digitale Überspielung sehr bald und schnell verbreiten – z.B. dank DVD als Datenträger. Und so bin auch ich eines Tages in den Besitz (juristisch ist die Bezeichnung Eigentum wohl richtig) einer solchen Kopie gekommen (unter Tull-Freunden herrscht ein mehr oder weniger reger Tauschhandel).

Neben den genannten Aufnahmen von Ian Anderson als Geschäftsmann, aber auch als Privatperson mit seiner Frau, enthält die genannte Sendung Ausschnitte eines Konzertes der Gruppe Jethro Tull vom 28. Juli 1986 in dem Milton Keynes Bowl (Veranstaltungsort für Freiluftkonzerte) von Milton Keynes, UK. Jethro Tull trat da wohl als Gast für Marillion, dem headline act des Tages auf. Leider sind nur Ausschnitte zu sehen, u.a. von Hunting Girl, Unknown Dreams (einem Jazz-Rock-Instrumental), Locomotive Breath und Aqualung. Die gesamte Setlist:

Locomotive Breath (intro), Hunting Girl, Living In The Past, Serenade To A Cuckoo, Fly By Night, Pussy Willow, Fat Man, Thick As A Brick, Jazz-rock Instrumental, Aqualung, Locomotive Breath, Thick As A Brick (reprise)

Die einzelnen Videoschnipsel habe ich zusammengefügt und jetzt bei youtube ins Netz gestellt. Ich denke, für einen Tull-Fan sind diese Aufnahmen ein weiterer Leckerbissen (gelt, liebe Kretakatze?):


Jethro Tull in Milton Keynes (28.07.1986)

Jethro Tull: Palazza de Santa Croce in Florenz 04.07.1988

1988 war für Jethro Tull ein erfolgreiches Jahr. Für „Crest Of A Knave” gewann die Band den Grammy in der Kategorie „Best Hard Rock/Metal Performance“. Allerdings gab es Vakanz an Keyboards und Schlagzeug. Zu den Aufnahmen zu „Crest of a Knave” hatte Ian Anderson höchst persönlich die Tasteninstrumente eingespielt. Und neben ihm und Gerry Conway war es Doane Perry, der die Drums bearbeitetet. Mit diesen Aufnahmen debütierte Doane Perry übrigens bei Tull. Er war es dann auch, der mit Jethro Tull 1988 auf Tournee ging. Die Keyboards auf Tour übernahm Maartin Allcock, der ein Jahr später bei den Aufnahmen zu „Rock Island“ mitwirkte. Soviel zu den Personalien.

Eben aus jenem Jahr 1988 gab es am 4. Juli ein Konzert am Palazza de Santa Croce in Florenz, das von dem Musiksender Videomusic TV, dem Vorgänger der italienischen Variante von MTV, aufgezeichnet und gesendet wurde. Zwei Tage zuvor war Ian Anderson mit seinen Mannen beim italienischen Staatsfernsehen RAI in Rom zu der Sendung „Buona Fortuna“ eingeladen. Dort traten sie zu dem Playback von Locomotive Breath und Steelmonkey auf. Zwischen beiden Stücken wurde der Gruppe auch noch ein Preis überreicht (welcher auch immer).

Ian Andersons Stimme war nicht in der besten Verfassung, wie beim Live-Mitschnitt kaum zu überhören ist. In tiefer Stimmlage ist es noch ganz okay, wenn die Stimme auch ziemlich kratzig klingt. Bei hohen Tönen musste der Meister schon ziemlich kämpfen. Aber immer noch besser als das, was Ian Anderson in diesem Jahr von sich hören lässt. Das ist natürlich schade. Instrumental sind die Aufnahmen dafür durchaus bemerkenswert: Jethro Tull ist sichtlich bemüht, dem Grammy für die beste Hard Rock und Metal Darbietung gerecht zu werden. Bei einigen Stücken spielen die Jungs wesentlich härter als sonst von ihnen gewohnt.

Ebenso bemerkenswert finde ich das Outfit – besonders von Ian Anderson. Beim Live-Auftritt wirkt Anderson in Hemd (verwaschene Seide?), Weste (Anderson-Tartan), Halstuch und Stiefeln eher rustikal. Beim TV-Auftritt besticht Ian Anderson zusätzlich durch einen lederbebesetzten Mantel und einer Melone auf dem Kopf (okay, eine Melone, wenn auch in rot, trug er bereits 1977 beim Golders Green Hippodrome-Auftritt).

Hier in einer Playlist die Aufnahmen sowohl von dem Live-Auftritt in Florenz, als auch vom TV-Auftritt zwei Tage zuvor:


Jethro Tull 1988 live in Florenz (zusätzlich 2 Videos TV-Auftritt)

Wie hat mein Bundestagsabgeordneter abgestimmt?

Heute hat man die Möglichkeit, seinem Bundestagsabgeordneten auf den Zahn zu fühlen. Zumindest kann nachvollzogen werden, wie dieser (oder diese) bei bestimmten Abstimmungen im Bundestag votiert hat. Als in Tostedt Wohnender gehöre ich dem Wahlkreis 036 in Niedersachsen an (Soltau-Fallingbostel – Winsen/Luhe), der gleich mit drei Abgeordneten im Bundestag vertreten ist. Neben der direkt, also mit der Mehrheit der Erststimmen gewählten Frau Monika Griefahn (SPD) sind das die über die jeweiligen Landeslisten in den Bundestag eingezogenen Herren Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU) aus Buchholz und Dr. Herbert Schui (Die Linke). Alle drei sind übrigens das, was man Hinterbänkler nennt.

Kuppel des Reichstags in Berlin (mit Sohn)

Bei zdf.de gibt es die Möglichkeit über das so genannte ZDF-Parlameter nachzuschauen, wie mein Kandidat also abgestimmt hat. Im Falle der Frau Griefahn musste ich feststellen, dass diese bei Energiefragen erst gar nicht anwesend war, ebenso bei Fragen der Stammzellenforschung. Bei der Pendlerpauschale stimmte sie dagegen. Na, Frau Griefahn, da muss ich doch wirklich fragen, ob sie meine Politik vertreten?!

Solltet Ihr nicht wissen, wer Euer Bundestagsabgeordneter ist, dann könnt Ihr hier nachschauen: Abgeordnete nach Wahlkreisen Bundesländern

Real goes youtube

Manchmal hat man ja auch Glück im Unglück – relatives Glück. Als vor einigen Tagen mein PC nicht mehr so wollte wie ich es von ihm gern möchte (ein kleiner Crash, der immerhin nicht alle meine Daten zerstörte), da musste ich Windows XP neu aufsetzen. Das hatte u.a. zur Folge, dass alle meine Programme neu installiert werden mussten.

Das Glück in diesem Unglück? Nun, zum einen startet der Rechner jetzt wieder wesentlich schneller (eigentlich sollte man öfter seinen PC, d.h. einmal im Jahr, ‚platt’ machen, wie man so schön sagt – aber das bedeutet viel Arbeit und wer macht sich schon freiwillig so viel Arbeit), zum anderen ergaben sich andere positive Nebeneffekte. Einer davon: Um alte Videos im RM-Format (RealMedia) angucken zu können, musste ich auch den Real Player in neuester Version herunterladen und dann neu installieren. RealMedia-Audios und –Videos sind in letzter Zeit ziemlich von der Bildfläche verschwunden (ard.de arbeitet noch mit diesem Format), aber der neue Player, als Real Player 11 Basic kostenlos zu haben, ist nicht der schlechteste. Zunächst unterstützt er so ziemlich alle Videoformate, die es gibt – und des weiteren kann man mit ihm u.a. youtube-Videos an Ort und Stelle herunterladen.

Real goes youtube

Ja, richtig gehört! Wie oben zu sehen, muss man nur mit der Maus über das angezeigte Video gleiten – und schon tut sich eine kleine Registerkarte über dem Video auf. Drückt man auf „Dieses Video herunterladen“, so wird das Video auf dem eigenen Rechner heruntergeladen. Abgespeichert wird das Video im Flash-Video-Format (Endung FLV) unter …\Benutzername\Eigene Dateien\Eigene Videos\RealPlayer-Downloads\. Hat man keinen FLV-Player zur Hand, dann tut es natürlich auch der Real Player.

Möchte man das youtube-Video nicht im FLV-Format haben (es lässt sich nur sperrig in andere Formate umwandeln), dann hilft gegebenenfalls filsh.net weiter. Hier kann das Video vor dem Download in ein anderes, weitaus gängigeres Format (MPEG1, DIVX, MOV, WMV usw.) umgewandelt werden.

Siehe hierzu meine Beiträge: Youtube zum HerunterladenYoutube zum Herunterladen – Teil 2

Nebenbemerkung: Bei youtube gibt es einige Spezies, die gern am ‚Erfolg’ anderer partizipieren. Diese laden mit den genannten Tools viel gesehene Videos anderer herunter und laden diese dann über ihre Accounts wieder hoch. Sei es drum …

Sofies Welt: Kant

Zurück zu Jostein Gaarder: Sofies Welt – Roman über die Geschichte der Philosophie: Nach Spinoza machen wir einen Sprung und lassen die Kapitel Locke ( … genauso leer wie eine Tafel, ehe der Lehrer das Klassenzimmer betritt …), Hume (… so werft ihn ins Feuer …) und Berkeley (… wie ein schwindliger Planet um eine brennende Sonne …), das Dreigestirn der britischen Aufklärung und des aufkommenden Empirismus, aus und kommen zu Kant.

Immanuel Kant

Hier wieder die wichtigsten Textpassagen aus dem Buch zu Kant, mit denen diese kleine Reihe zu den wichtigsten Philosophen und ihren Lehren zu Ende gehen wird. Hegel, Marx, Darwin und Freud, denen Jostein Gaarder in „Sofies Welt“ ebenfalls jeweils ein Kapitel gewidmet hat, lasse ich diesmal links liegen. Diese Geister haben sich auf Teilgebiete der menschlichen Erkenntnis festgelegt, deren Ideen und Einsichten heute noch weitläufig diskutiert werden. Eine Beschäftigung mit ihnen sprengt den Rahmen dieser eher kleinen, aber – wie ich doch hoffe – lehrreichen und einfach ‚interessanten’ Einführung in die Gedankenwelt der Philosophie. Immanuel Kant, dessen „kategorische Imperativ“ vielen als Begriff geläufig ist (oft allerdings ohne zu wissen, was dieser bedeutet), hier als Abschluss und – in gewisser Hinsicht zutreffend: als Höhepunkt der Reise durch Sofies Welt der Philosophen:

Immanuel Kant wurde 1724 in der ostpreußischen Stadt Königsberg als Sohn eines Sattlers geboren. Er verbrachte hier fast sein ganzes Leben bis zu seinem Tod im Alter von achtzig Jahren. Er kam aus einem streng christlichen Zuhause. Seine christliche Überzeugung war deshalb auch eine wichtige Grundlage für seine Philosophie.

Wir erinnern uns, daß die Rationalisten meinten, die Grundlage aller menschlichen Erkenntnis liege im Bewußtsein des Menschen. Und wir wissen auch noch, daß die Empiriker alles Wissen über die Welt aus der Sinneserfahrung ableiten wollten.

… [Kant] meinte, alle hätten ein bisschen recht, aber fand auch, daß alle sich ein bißchen irrten. … Kant meinte, daß sowohl die Empfindungen als auch die Vernunft eine wichtige Rolle spielen, wenn wir die Welt erfahren.

Egal, was wir sehen, vor allem werden wir es als Phänomene in Zeit und Raum auffassen. Kant bezeichnete Zeit und Raum als die beiden ‚Formen der Anschauung’ des Menschen. Und er betont, daß diese beiden Formen in unserem Bewußtsein vor jeglicher Erfahrung kommen. Das bedeutet, daß wir, ehe wir etwas erfahren, wissen können, daß wir es als Phänomen in Zeit und Raum auffassen werden.

Kant erklärt, daß Zeit und Raum zum menschlichen Leben selber gehören. Zeit und Raum sind vor allem Eigenschaften unseres Bewußtseins und nicht Eigenschaften der Welt.

Das Bewußtsein des Menschen ist also keine passive ‚Tafel’, die nur Sinneseindrücke von außen registriert. Es ist eine kreativ formende Instanz. Das Bewußtsein selber trägt dazu bei, unsere Auffassung der Welt zu prägen. … So fügen sich auch die Sinneseindrücke nach unseren ‚Formen der Anschauung’.

Kant behauptet, daß sich nicht nur das Bewußtsein nach den Dingen richtet. Die Dinge richten sich auch nach dem Bewußtsein.

was wir nicht beweisen können, genau das betrachtet Kant als Eigenschaft der menschlichen Vernunft. Das Kausalgesetz gilt immer und absolut, einfach weil die menschliche Vernunft alles, was geschieht, als Verhältnis zwischen Ursache und Wirkung betrachtet.

Kant sagt …, daß wir nicht sicher wissen können, wie die Welt ‚an sich’ ist. Wir können nur wissen, wie die Welt ‚für mich’ ist – und also für alle Menschen. … Wie die Dinge ‚an sich’ sind, können wir nie ganz sicher erfahren. Wir können nur wissen, wie die Dinge sich für uns ‚zeigen’. Zum Ausgleich können wir ohne jede Erfahrung sagen, wie die Dinge von der menschlichen Vernunft aufgefaßt werden.

morgens kannst du nicht wissen, was du an diesem Tag sehen und erleben wirst. Aber du kannst wissen, daß du das, was du siehst und erlebst, als Ereignisse in Zeit und Raum auffassen wirst. Du kannst dir außerdem sicher sein, daß das Kausalgesetz gilt, einfach, weil du es als Teil deines Bewußtseins in dir trägst.

Kant glaubte, die absolute Gültigkeit der Naturgesetze beweisen zu können, indem er zeigte, daß wir in Wirklichkeit über Gesetze der menschlichen Erkenntnis reden.

Einerseits haben wir die äußeren Verhältnisse, über die wir nichts wissen können, ehe wir sie nicht empfunden haben. Wir können sie als Material der Erkenntnis bezeichnen. Andererseits haben wir die inneren Verhältnisse im Menschen selber – zum Beispiel, daß wir alles als Ereignisse in Zeit und Raum und außerdem als Prozesse betrachten, die einem unwandelbaren Kausalgesetz folgen. Das können wir als Form der Erkenntnis bezeichnen.

Kant wies auch darauf hin, daß es klare Grenzen dafür gibt, was Menschen überhaupt erkennen können.

Kant meinte, der Mensch könne über diese Fragen [ob der Mensch eine unsterbliche Seele hat; ob es einen Gott gibt usw.] niemals sicheres Wissen erlangen.

Kant meinte, gerade in … großen philosophischen Fragen operiere die Vernunft außerhalb der Grenzen dessen, was wir Menschen erkennen können. … wenn wir zum Beispiel fragen, ob der Weltraum endlich oder unendlich ist, dann stellen wir eine Frage nach einem Ganzen, von dem wir selber ein (winzig kleiner) Teil sind. Und dieses Ganze können wir niemals voll erkennen.

Ja, das Material für unsere Erkenntnis nehmen wir durch die Sinne auf, … Aber wenn wir uns fragen, woher die Welt stammt … dann kann sie [die Vernunft] nämlich kein Sinnesmaterial ‚bearbeiten’; sie hat keine Erfahrungen, an denen sie sich reiben kann.

Bei den großen Frage, die die Wirklichkeit im ganzen angehen, werden immer zwei genau entgegengesetzte Standpunkte gleich wahrscheinlich und gleich unwahrscheinlich sein.

Es ist genauso sinnvoll zu sagen, die Welt muß einen Anfang in der Zeit haben, wie zu sagen, daß sie keinen Anfang hat. Die Vernunft kann zwischen den beiden Möglichkeiten nicht entscheiden, weil sie sie beide nicht ‚fassen’ kann.

Und schließlich können wir mit unserer Vernunft auch nicht die Existenz Gottes beweisen. … Weder Vernunft noch Erfahrung haben eine sichere Grundlage für die Behauptung, daß es einen Gott gibt. … dort nämlich, wo unsere Erfahrung und unsere Vernunft nicht hinreichen. Genau diesen Raum kann der religiöse Glaube ausfüllen.

Kant hielt die Voraussetzung, daß der Mensch eine unsterbliche Seele hat, daß es einen Gott gibt und daß der Mensch einen freien Willen hat, für eine mehr oder weniger unerlässliche Voraussetzung der Moral des Menschen.

Er selbst bezeichnete den Glauben an eine unsterbliche Seele, ja, sogar an einen Gott und an den freien Willen des Menschen, als praktische Postulate. … Es ist moralisch notwendig, das Dasein Gottes anzunehmen, sagte er.

Wir können nicht erwarten, zu verstehen, was wir sind. Vielleicht können wir eine Blume … verstehen, aber niemals uns selber. Noch weniger können wir erwarten, das ganze Universum zu verstehen.

Kant hatte von Anfang an ganz stark den Eindruck, daß der Unterschied zwischen Recht und Unrecht mehr als nur eine Gefühlssache sein mußte. … Alle Menschen wissen, was Recht ist und was nicht, und wir wissen das nicht nur, weil wir es gelernt haben, sondern auch, weil es unserer Vernunft innewohnt. Kant glaubte, alle Menschen hätten eine praktische Vernunft, die uns jederzeit sagt, was im moralischen Bereich Recht ist und was Unrecht.

Alle Menschen fassen die Ereignisse in der Welt als ursächlich bestimmt auf – und alle haben auch Zugang zum selben universellen Moralgesetz. Dieses Moralgesetz hat dieselbe absolute Gültigkeit wie die physikalischen Naturgesetze.

Kant formuliert sein Moralgesetz als kategorischen Imperativ. Darunter versteht er, daß das Moralgesetz ‚kategorisch’ ist, das heißt, in allen Situationen gilt. Außerdem ist es ein ‚Imperativ’ und damit ein ‚Befehl’ und absolut unumgänglich.

Allerdings formuliert Kant seinen kategorischen Imperativ auf verschiedene Weise. Erstens sagt er, wir sollten immer so handeln, daß wir uns gleichzeitig wünschen können, die Regel, nach der wir handeln, würde allgemeines Gesetz. Wörtlich heißt es bei ihm: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werde.“

Kant hat den kategorischen imperativ auch so formuliert, daß wir andere Menschen immer als Zweck an sich selbst und nicht bloß als Mittel zu etwas anderem behandeln sollen.

Wir dürfen andere Menschen also nicht ‚benutzen’, nur um selber Vorteile zu erlangen. … Wir dürfen uns selber auch nicht als Mittel benutzen, um etwas zu erreichen.

Kant hielt das Moralgesetz für ebenso absolut und allgemeingültig wie zum Beispiel das Kausalgesetz. Auch das läßt sich mit der Vernunft nicht beweisen und ist doch unumgänglich.

Ja, wenn Kant das Moralgesetz beschreibt, beschreibt er das menschliche Gewissen.

Nur wenn du etwas tust, weil du es für deine Pflicht hältst, dem Moralgesetz zu folgen, kannst du von einer moralischen Handlung sprechen. Kants Ethik wird deshalb oft als Pflichtethik bezeichnet.

Nicht die Konsequenzen einer Handlung sind entscheidend. Deshalb nennen wir Kants Ethik auch Gesinnungsethik.

nur, wenn wir selber wissen, daß wir aus Achtung vor dem Moralgesetz handeln, handeln wir in Freiheit.

Kant teilt die Menschheit in zwei Teile, … als empfindendes Wesen sind wir voll und ganz den unwandelbaren Kausalgesetzen ausgeliefert, meint Kant. Wir entscheiden ja nicht, was wir empfinden; die Empfindungen stellen sich notgedrungen ein und prägen uns

Als Sinnenwesen gehören wir ganz und gar der Ordnung der Natur an. …Aber als Vernunftwesen haben wir darüber hinaus Anteil an der Welt ‚an sich’ – also an der Welt, wie sie unabhängig von unseren Empfindungen ist. Nur wenn wir unserer ‚praktischen Vernunft’ folgen … haben wir einen freien Willen.

aus: Jostein Gaarder: Sofies Welt – Roman über die Geschichte der Philosophie – S. 381-396 – Carl Hanser Verlag 1995

Kant hat sich vier Fragen gestellt und diese zu beantworten versucht, Fragen, die uns bis auf den heutigen Tag beschäftigen:
1. Was kann ich wissen? – In seiner Erkenntnistheorie
2. Was soll ich tun? – In seiner Ethik
3. Was darf ich hoffen? – In seiner Religionsphilosophie
4. Was ist der Mensch? – In seiner Anthropologie

Hier alle Beiträge zu Sofies Welt im Überblick:

Sofies Welt: Sokrates
Sofies Welt: Platon
Sofies Welt: Aristoteles
Sofies Welt: Descartes
Sofies Welt: Spinoza
Sofies Welt: Sartre

Besuch des KZ Auschwitz-Birkenau

An einem der letzten Tage des Polen-Besuchs meines Sohnes im Rahmen des Schüleraustauschs mit dem Lizeum in der Partnergemeinde von Tostedt, Lubaczów, besuchten die Schüler auch das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau, dem größten deutschen Vernichtungslager während der Zeit des Nationalsozialismus.

Auschwitz war ein Komplex aus mehreren deutschen Konzentrationslagern (KZ Auschwitz):
– das Stammlager Auschwitz I, siehe KZ Auschwitz I (Stammlager)
– das Vernichtungslager Birkenau oder Konzentrationslager Auschwitz II, siehe KZ Auschwitz-Birkenau
– das Konzentrationslager Monowitz oder Auschwitz III, siehe KZ Auschwitz III Monowitz

Hier einige Bilder von diesem Besuch in Auschwitz-Birkenau:

KZ Auschwitz-Birkenau - "Arbeit macht frei"

KZ Auschwitz-Birkenau - "Arbeit macht frei"

KZ Auschwitz-Birkenau - "Arbeit macht frei"

KZ Auschwitz-Birkenau - "Arbeit macht frei"

KZ Auschwitz-Birkenau

KZ Auschwitz-Birkenau - "Arbeit macht frei"

KZ Auschwitz-Birkenau - "Arbeit macht frei"

Bushs Erbe

Acht Jahre Bush sind mehr als genug. In dieser Zeit ist die Welt unsicher wie selten zuvor geworden, denn der Terror islamischer Fundamentalisten besteht nach wie vor. Der Kampf gegen die Achse des Bösen ist nichts anderes als ein Schlag ins Wasser. Seitdem George W. Bush Präsident der USA ist, ging es mit dem Land vor allem wirtschaftlich bergab. Die Staatsschulden schnellten in horrende Höhen. In Sachen Klimaschutz wurden durch die Bush-Administration missliebige Umweltberichte massiv unterdrückt. Und im Zusammenhang mit dem Hurrikan Katrina musste sich die Regierung Bush heftige Kritik gefallen lassen, weil die Hilfen zu zögerlich eingeleitet wurden.

In die Zeit der Regierung Bush fällt auch die schwere Kredit- und Bankenkrise, die sich auf die gesamte Weltwirtschaft auswirkt. Eines der letzten Amtshandlungen von Bushs Finanzminister Henry Paulson ist nun, sogenannte faule Kredite (Hypotheken für Wohn- und Geschäftsimmobilien sowie mit Hypotheken besicherte Wertpapiere, die ungedeckt sind) durch den Staat aufzukaufen, um die angeschlagenen Banken von diesen Lasten zu befreien. Dafür sollen 700-800 Milliarden Dollar zur Verfügung gestellt werden.

Wall Street - Heimat der weltweiten Bankenkrise

Ob damit allerdings die bestehende Finanzkrise wirklich überwunden werden kann, ist mehr als fraglich, da durch diese enorme Mehrverschuldung der US-amerikanische Staatshaushalt vollkommen aus dem Gleichgewicht kommen sollte. Aufgrund der mangelhaften Regulierung des Finanzmarktes haben Banken und Aktionäre bisher gutes Geld verdient. Jetzt, wo alles schief gegangen ist, muss wieder einmal der Steuerzahler einspringen.

Der neue US-Präsident, sei dieser nun John McCain oder Barack Obama, übernimmt eine schwere Hypothek – das Erbe George W. Bushs lässt sich leider nicht ausschlagen!

siehe auch das George Dabbeljuh Bush-Video

Nachtrag: Der einflussreiche Republikaner im Bankenausschuss des Senats, Richard Shelby, lehnte die jetzige Fassung des 700 Milliarden Dollar-Hilfspakets der Regierung ab und forderte die Prüfung von Alternativen. „Ich fürchte, dass der Vorschlag des Finanzministeriums weder durchführbar noch umfassend genug ist“, teilte Shelby mit. „Meiner Meinung nach wäre es dumm, riesige Summen an Steuergeldern an einer Idee zu verschwenden, die hastig zusammengeschustert wurde.“

Nebenbei macht der Ölpreis Purzelbäume. Und auch an der New Yorker Börse geht es auf und ab: Nachdem sich alle Indizes leicht erholt hatten, fielen sie inzwischen um mehr als drei Prozent zurück in den Keller.

Jethro Tull live 1996 in Santiago de Chile & 2000 in São Paulo, Brasilien

Sie sind wieder da, die Videos von den Konzerten vom 06.03.1996 im Estadio Chile von Santiago de Chile und vom 28.11.2000 in São Paulo/Brasilien.

Hier zunächst die gesamten Setlists von den beiden Konzerten:

Santiago de Chile 1996:

Roots to branches 06:06
Rare and Precious Chain 03:42

Thick as a Brick 05:13
In the Grip of Stronger Stuff 02:49
Dangerous Veils 05:33
Aqualung 09:30
Nothing is Easy 04:55
Bourree 03:58
In the Moneylender ’s Temple 03:45
My God 07:45
Locomotive Breath 06:39

São Paulo, Brasilien 2000:

Vorspann 01:00
For A Thousand Mothers 04:57
Nothing Is Easy 05:45
Thick As A Brick 09:22
Hunt By Numbers 04:45
Bourée 05:33
Beside Myself 06:58
The Water Carrier 06:07
The Habanero Reel 04:32

Songs From The Wood/Too Old To Rock’N’Roll…/Heavy Horses/Songs from the Wood 08:33
A New Day Yesterday (incl. flute solo) 06:12
Pibroch (inst.) 03:47
Hunting Girl – Handy 06:17
In The Grip Of Stronger Stuff 03:18
Flying Dutchman (intro)/My God – Rabbit 08:32

Passion Jig 02:01
Living In The Past 05:36
Locomotive Breath 06:21
Aquadiddley/Aqualung/Cross-Eyed Mary/Protect And Survive (inst.)/Cheerio 09:45

Von diesen beiden Konzerten habe ich nur die Lieder in jeweils eine Playlist (siehe unten) zusammengestellt, die bisher in keiner anderen Interpretation bei youtube vorliegen, d.h. Stücke wie „Locomotive Breath“ haben wir bereits x-mal gehört und gesehen, ich habe auf diese wohlweißlich verzichtet.


Jethro Tull live Santiago de Chile 06.03.1996


Jethro Tull live São Paulo, Brasilien 28.11.2000

„O’zapft is“!

Eigentlich müssten es die Bayern wissen: Zur Wies’n-Zeit gibt es für den FC Bayern München zu Hause öfter einmal paar Watsch’n:


FC Bayern München: Die Wies’n Pleiten 1966 – 2000

Gestern nun erlebten die Bayern gegen den SV Werder Bremen ihr Werderloo, wie ich irgendwo durchaus treffend las. Oder O’zapft is: Werder schenkt den Bayern ordentlich ein.

Dabei konnte man nach dem ersten Spieltag in der Champions League unter der Woche nach Werders magerem 0:0 gegen Anorthosis Famagusta zu Hause mit dieser Leistungssteigerung kaum rechnen.

Ein Sieg gegen die Bayern ist immer etwas Besonderes. Ob nun zur Oktoberfestzeit oder auch sonst. Da kann man für Werder nur hoffen, dass es auch gegen Mannschaften wie am Dienstag im DFB-Pokal gegen den FC Erzgebirge Aue und dann am kommenden Wochenende gegen die TSG Hoffenheim erfolgreich weitergeht.

Bilderserie bei zdf.de – FC Bayern: Die rot-weiße Ratlosigkeit

„Listen to the song here in my heart…“

Kretakatze schrieb am 14.09.2008:

Meine lieben Freunde,

ich muss Euch ein Geständnis machen: Manchmal lese ich tagelang Eure Mails nicht, einfach, weil ich gerade mit einem bestimmten Thema beschäftigt bin und dabei nicht abgelenkt oder von außen beeinflußt werden möchte. So war es auch mit Wilfried’s Mails von letzter Woche – ich habe sie beide erst jetzt gerade angeschaut. Deshalb ist vielleicht nicht mehr alles so aktuell und passend, was ich weiter unten schreibe – sei’s drum.

Zuerst einmal war ich völlig überrascht von Wilfied’s Reaktion auf meine letzten beiden Mails. Mit Zustimmung oder Lob hatte ich bestimmt als letztes gerechnet. Auf jeden Fall: Vielen Dank für Deine lobenden und aufmunternden Worte und Deinen ausführlichen Kommentar betreffend meine musikalischen Darbietungen. Dieses „If I can play ist, everybody can“ meine ich übrigens durchaus ernst. Natürlich muss man üben, das musste ich auch. Aber nichts, was ich auf der Gitarre spiele, ist so schwierig, dass es nicht Jeder mit fünf Fingern nach ein bißchen Übung auch hinbekommen könnte. Wirklich nicht!

Dann hat mich natürlich auch besonders gefreut, dass die Musik des Herrn Pascalidis gefallen konnte. Nach meinen letztjährigen Erfahrungen mit dem Versuch Euch griechische Musik näher zu bringen, hatte ich damit eher nicht gerechnet. Viele seiner Lieder klingen zwar nicht direkt nach griechischer Musik, aber da bleibt immernoch die Sprache. Und mit der hatte ja zumindest Lockwood so seine Probleme. Es ist ja auch irgendwo ein Handikap, wenn man den Text nicht versteht und nicht mitsingen kann.

Dabei hat Herr Pascalidis wahrscheinlich so ziemlich das umfangreichste musikalische Spektrum, das ich bei einem Musiker kenne. Es reicht vom traditionellen kretischen Volkslied (z.B. Kantada – Übersetzung nicht nötig) bis zum amerikanischen Rock-Song – etwa Hotel California oder Losing My Religion. Und er schafft es noch Lieder dieser verschiedenen Stilrichtungen medley-artig nahtlos ineinander übergehen zu lassen. Den Vergleich mit Hannes Wader konnte ich da nicht ganz nachvollziehen, unter anderem auch, weil ich Herrn Pascalidis für einen der besten Sänger überhaupt halte. Da spielt Herr Wader wohl doch in einer anderen Klasse. Aber mehr dazu eher ein andermal.

Deine Probleme mit dem 7/8 Takt kann ich gut nachvollziehen, lieber Wilfried, auch ich habe damit eine Weile gekämpft. Aber wenn man den Dreh mal raus hat, ist es ganz einfach, und „Paramithi…“ (hier eine live-Version, leider mit miserablem Sound) ist inzwischen eines meiner liebsten Lieder für „easy playing“ auf der Gitarre. Vielleicht schaffe ich es ja heute noch, meine Version davon auf YouTube hochzuladen (eigentlich wollte ich garnichts mehr auf YouTube stellen…). Ich hoffe damit kann ich dann alle Deine 7/8-Probleme zerstreuen.

So, genug dazu für den Moment, sonst werde ich heute überhaupt nicht mehr fertig… Und nun zu dem, was ich eigentlich schreiben wollte:

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Unser Gedankenaustausch zum Thema Musik scheint mir inzwischen zum Erliegen gekommen zu sein. Das ist auch irgendwie verständlich, es gibt wichtigere Dinge und der eine oder andere von uns hat zurzeit wohl auch einfach andere Probleme. Tatsache ist, dass mich dieses Thema immernoch umtreibt, und also habe ich einmal wieder ein paar Gedanken dazu aufgeschrieben. Und da ich nicht wüßte, wen ich sonst damit belästigen sollte, da schicke ich meine Aufschriebe eben an Euch. Macht damit was Ihr wollt…

Zuletzt ging es in unserer Diskussion um Qualität und Geschmack, besonders den „Geschmack der breiten Massen“ und den „Geschmack, den man haben sollte“. Soweit ich mich erinnere wurden diese beiden „Geschmäcker“ als Gegensätze gehandelt. Tatsächlich bin ich in letzter Zeit zu der Erkenntnis gelangt, dass der „Geschmack der breiten Massen“ sich in weiten Bereichen mit dem meinigen deckt – das ist sicher kein gutes Zeichen. Jedenfalls hat es mich dazu veranlasst, mich mit dem „Geschmack der breiten Massen“ etwas näher zu beschäftigen.

Um zu erkennen, ob eine bestimmte Musik oder ein bestimmter Musiker (vorzugsweise Sänger) den Geschmack der breiten Massen trifft, muss sie oder er den breiten Massen erst einmal bekannt werden. Diesbezügliche Vorhersagen von „Experten“ haben sich in der Vergangenheit immer wieder als Trugschluss erwiesen. Dazu einmal wieder eine Geschichte, und es ist – für mich nicht ganz untypisch – die Geschichte eines jungen Mannes. Ich höre Euch schon aufschreien „Nein, nicht schon wieder!“ – aber darauf kann ich jetzt keine Rücksicht nehmen.

Er war Sänger und Gitarrist einer Band mit Namen Axium. Diese veröffentlichte immerhin 2 Alben unter ihrem eigenen Label, irgendwo im amerikanischen Mittelwesten. Der Musikstil war traditioneller Rock bis Hard Rock, solide gemacht aber ohne irgendwelchen Hit- oder Ohrwurm-Charakter. Die Band blieb weitgehend unbekannt. Nach der College-Zeit brach sie auseinander – man musste Geld verdienen. Der junge Mann verdingte sich als Barkeeper und musizierte weiter, eine Solo-Scheibe wurde produziert. Der Durchbruch ließ auf sich warten…

Das Erste, was ich von ihm zu sehen und zu hören bekam war dieses Video. „Wow“, dachte ich, „das klingt aber gut! Das ist genau der Sound, den ich hören möchte, und genau so muss das gesungen werden! Da sitzt jeder Ton.“ Natürlich habt Ihr sofort erkannt: Das ist der alte Free-Klassiker „All Right Now“, und es handelt sich schon wieder um American Idol. Aber es ist einfach so, dass dieser Show-Wettbewerb dieser Tage die wohl wichtigste Plattform ist, auf der getestet wird, was bei den breiten Massen ankommt. Und da kann man immer noch so diese oder jene Überraschung erleben.

David Cook, so sein Name, hatte eigentlich garnicht vorgehabt sich bei American Idol zu bewerben. Er war der Meinung, er schafft das auch allein. Aber sein jüngerer Bruder wollte vorsingen, also hatte er ihn zur Audition begleitet. Und da er nun schon mal dort war, war es nahelegend, dann doch auch einmal vorzusingen. Seinen Bruder wollten sie nicht haben, aber er wurde zu Simon und Co. durchgewinkt. Sein Auftritt vor dieser Jury drängt nicht unbedingt die Vermutung auf, hier einen künftigen Star vor sich zu haben. Sein Pullover sieht aus als hätte er ihn von Clay Aiken geliehen – der war zu seiner ersten (erfolglosen) Audition im selben Design erschienen – und seine Punkrock Stehhaar-Frisur wirkt nicht direkt Millionen-tauglich. Aber auch Mr. Cook sollte sich noch als anpassungs- und lernfähig erweisen.

Meiner Meinung nach gibt es eine ganze Reihe sehens- und hörenswerter Auftritte des Mr. Cook bei American Idol, aber auf die möchte ich eher in einem anderen Zusammenhang zurückkommen. Das soll ja hier alles nur die Einleitung sein. Jetzt nur noch einmal sein Auftritt in der Runde der letzten 20 in voller Länge mit Vorfilm und Kommentaren der Jury: All Right Now. Ich denke den Song kann man gut auch zweimal hören. Bereits in dieser frühen Phase des Wettbewerbs wagt es Mr. Cook sich mit Mr. Cowell anzulegen: Er lässt ihn nicht ausreden und gibt Ihm zu verstehen, dass er dessen Meinung bezüglich seines „Word-Nerd“-Filmchens und seines mangelnden Charisma für nachrangig hält. Er hat den Applaus und die Lacher auf seiner Seite. Simon Cowell reagiert mimosenhaft empfindlich, und seine seltsam übertriebene und unpassende Gestik offenbart, dass er tatsächlich gekränkt und irritiert ist.

Außerdem muß Mr. Cowell hier wohl einmal wieder Tomaten auf den Augen und Kartoffeln in den Ohren gehabt haben. Es war im Übrigen das letzte Mal, dass er David Cook so abfällig kritisiert hat. Jedenfalls – trotz langweiliger Kreuzworträtsel und charismatischer Mängel kam Mr. Cook weiter und bewies im Verlauf des Wettbewerbs, dass er nicht nur rocken kann, er kann (wenn es sein muss) auch sülzen ohne kitschig zu wirken: First Time Ever I Saw Your Face. Dieses Lied hat mir noch nie besonders gefallen, und es gibt grauenvolle Versionen – selbst Elvis Presley und Johnny Cash haben sich daran versucht. Zuletzt haben Celine Dion und (praktisch als Kopie) Leona Lewis Covers produziert, die so langsam und quälend sind, dass ich bei jedem Ton auf die Uhr geschaut und mich gefragt habe, wie lange es wohl noch dauert bis der nächste kommt – mehr als drei Töne habe ich nicht ertragen. Die Version von David Cook ist die einzige, die mir gefällt.

Wie auch immer, schließlich kam es soweit, dass sich David Cook im Finale wiederfand, zusammen mit seinem hoch favorisierten Konkurrenten David Archuleta. Das Duell der beiden Davids, der „ungewaschen wirkende“, „arrogante“ (O-Ton einiger seiner Kritiker) Rocker gegen den herzigen 17-jährigen Jungen mit der schönen Stimme, der lauter nette Lieder gesungen hatte. Noch während die Telefonleitungen unter dem Ansturm der Anrufer heißliefen, prophezeite Mr. Cowell in einer Talkshow den Sieg von David Archuleta, denn „alle Teenies und alle Omis werden für ihn stimmen“. Das war eine Beleidigung der Teenies und erst recht der Omis (zu denen ich mich altersmäßig auch schon fast zähle), und das wollten die wohl nicht auf sich sitzen lassen. Zusammen mit den Opis und allen Altersgruppen dazwischen griffen sie zum Telefon und wählten sich die Finger wund – es gab einen neuen Rekord von über 97 Mio. Anrufen innerhalb von 4 Stunden. Der Gewinner mit 12 Mio. Stimmen Vorsprung wurde David Cook. Das bedeutet im Klartext: Für den Rocker wurden fast 56 Mio. Stimmen abgegeben. Soweit mein erstes Kapitel zum Thema „Geschmack der breiten Massen“.

Wie wir ja auch bereits wissen, ist American Idol nicht die einzige Talent-Show, es gibt zahlreiche „Konkurrenzprodukte“ anderer Fernsehsender, Talent-Shows sind zurzeit ein Renner auf dem Markt. Da ist z.B. noch „America’s got talent“, und in dieser Show erschien im Jahr 2006 ein 11-jähriges pausbäckiges Mädchen auf der Bühne und verkündete, sie singt jetzt And I am Telling You (I’m Not Going). Ich vermute ich habe mir schon bei den ersten paar Tönen ungläubig die Ohren gerieben – man kann sich einfach nicht vorstellen, dass diese Stimme aus diesem Kind kommt. Sie wirkt wie ein Medium für jemanden, der mindestens doppelt bis dreimal so alt ist.

Bianca Ryan hat diesen Wettbewerb gewonnen und war anschließend im Jahr 2006 in allen Fernsehshows und in aller Munde. Ihre erste Platte, Ende 2006 veröffentlicht, kam aber in den Charts nur bis auf Platz 57, und ich habe den Eindruck es ist ziemlich still um sie geworden. So ein Überraschungseffekt funktioniert halt nur einmal. Und auf der Platte hört man nur die Stimme, man sieht nicht das Kind dazu, und damit ist der größte Teil vom Witz weg. Meiner Meinung nach (soweit ich das anhand von Videos beurteilen kann) konnte Bianca auch bei Live-Auftritten nicht immer überzeugen, so gut wie bei ihrem ersten Auftritt war sie nie wieder, wenn sie auch bestimmt singen kann. Dazu kommt: Auch sie wird immer älter und damit weniger sensationell, andere Nachwuchstalente rücken nach und haben sie schon überholt, wie wir gleich sehen werden. Hier wurde eine Eintagsfliege produziert, die zumindest vorläufig keine eigenen musikalischen Akzente setzen kann und deshalb wieder in der Masse untergeht.

Neben den Talentshows wird aber auch zunehmend ein anders Medium zur Plattform für die Verbreitung von Musik: Das Internet und hier speziell YouTube. Die (soweit ich das beurteilen kann) erste Sängerin, die über das Internet weltweite Bekanntheit erlangte, stammt aus dem fernen Osten, genauer gesagt von den Philippinen. Auch sie begann ihre Karriere als Kind in Talentshows. Aber wie hätte vor World Wide Web und YouTube die Welt davon erfahren, wenn auf den Philippinen ein Kind singt? Übrigens, wenn auf den Philippinen ein Kind singt, dann klingt das so: To Love You More (nur ein kurzer Ausschnitt).

Ich muss zugeben, dass derartige Bilder ein ungutes Gefühl in mir hinterlassen. Ich halte nichts davon 9-Jährige aufzuputzen wie eine Prinzessin und sie singen zu lassen „I want to love you more…“. Was fängt ein Kind mit diesem Text an? Aber vielleicht ist das auch nicht so wichtig. Charice scheint es zum Glück nichts geschadet zu haben. Diese Talentshow hat sie jedenfalls gewonnen, aber damit war sie noch lange kein Star. Auf den Philippinen ist die Konkurrenz hart und der Markt für Kinderstars scheint begrenzt. Weitere Talentshows folgten, die letzte im Jahr 2006, bei der sie „nur“ Zweite wurde.

Oftmals gilt der Prophet eben nichts im eigenen Land. Aber ein Unbekannter wurde auf sie aufmerksam und stellte Videos von ihren Auftritten ins Internet. Darüber stolperte man wohl in Korea, im Frühjahr 2007 wurde sie als Gast in eine koreanische Talentshow eingeladen. Ein Video ihres atemberaubenden Auftritts dort wurde auf YouTube gestellt und sollte Karriere machen. Die inzwischen 14-Jährige singt das Lied für kleine Mädchen in kurzen Röckchen, das wir schon kennen: Charice – And I am Telling You (I’m Not Going).

Dieses Video fiel auch in Amerika auf. Im Dezember 2007 erhielt Charice eine Einladung in eine der populärsten amerikanischen Fernsehshows, danach ging alles ganz schnell. Sie wurde in den USA von Show zu Show herumgereicht, und auch auf den Philippinen war sie plötzlich ein vielgefragter „Internationaler Star“. Der bekannte und einflussreiche amerikanische Produzent David Foster kümmerte sich persönlich um ihr erstes Album, es wurde im Frühjahr veröffentlicht. Und einer der zahlreichen Höhepunkte ihrer kometenhaften Karriere der letzten Monate war ihr herzergreifender Auftritt bei Oprah Winfrey im Mai: Charice – I Have Nothing.

Jetzt ist man in den USA dabei eine neue Diva aus ihr zu machen, die nächste Whitney Houston, Mariah Carey und Celine Dion in einem. Zur Anschauung noch eine Version von I Have Nothing. Wie kann man nur dieses Kind, das beim Singen üblicherweise um sich schlägt und tritt, statisch hinter einen Mikrophonständer stellen? Wer braucht denn eine neue Diva, es gibt doch schon so viele? Und es ist eben gerade der Charme von Charice, dass sie keine Diva ist. Aber das werden die Show-Produzenten hoffentlich auch noch kapieren. Und Gott sei Dank lässt sich Charice auch durch Mikrophonständer, künstlich drapierte Frisuren und unpassende Kleidchen nicht vom Singen abhalten.

Jetzt liegt es natürlich nahe Charice mit Bianca Ryan zu vergleichen, und das ist auch bereits ausgiebig getan worden. Wird die Erfolgskurve von Charice genauso verlaufen wie die von Bianca, deren erstes und bislang einziges Album übrigens auch von David Foster produziert wurde? Ich sage nein, denn Charice hat ganz andere Voraussetzungen. Da ist zunächst die Tatsache, dass sie einfach konstant deutlich besser singt und Stimmakrobatik beherrscht, bei der Bianca nicht mithalten kann. Dazu kommt ihr spektakulärer Vortragsstil – sie explodiert förmlich auf der Bühne, da sitzt man nur noch mit offenem Mund da und staunt (ich jedenfalls). Und die Faszination, die davon ausgeht, hat nicht in erster Linie mit ihrem Alter zu tun.

Ein weiterer wichtiger Vorteil ist der exotische Charme ihres asiatischen Aussehens. Es gibt bislang keinen asiatischen oder asiatisch aussehenden Weltstar – gab es überhaupt schon einmal einen? Hier klafft eine riesige Marktlücke, und Charice kommt gerade recht sie auszufüllen, sie könnte die Stimme und das Gesicht Asiens werden. Eigentlich sieht sie nicht direkt philippinisch aus (eher überhaupt nicht), man könnte sie genauso gut für eine Chinesin, Japanerin, Koreanerin, Vietnamesin oder Thailänderin halten, selbst unter den amerikanischen Indianern und Indios gibt es Gesichter wie ihrs – bis hin zu den Eskimos. Eigentlich könnte sich bald die halbe Weltbevölkerung mit ihr identifizieren, vor allem die Hälfte der Welt, die bisher immer hinter den Amerikanern und Europäern zurückstehen musste. Ob diese das wirklich tun würden, kann ich natürlich nicht beurteilen, aber zumindest könnte Charice für die Amerikaner (und vielleicht auch die Europäer) diese Hälfte der Weltbevölkerung (musikalisch) repräsentieren. (Wir können doch all diese Chinesen und Japaner sowieso nicht auseinander halten – oder?)

Nach all diesen geistigen Höhenflügen betreffend die rosigen Aussichten auf ihre glänzende Karriere, zurück auf den Boden der gegenwärtigen Tatsachen und zu meinem Lieblings-Video von Charice: Alone. Es zeigt ein Kind, das im Familienkreise vor dem Weihnachtsbaum mal gerade eben noch bei laufender Camera ein Lied ins Mikrophon singt, während ringsherum der Tisch gedeckt wird. Man hat den Eindruck, singen ist für sie bereits so selbstverständlich wie reden oder atmen, es ist ein inneres Bedürfnis und eine Freude, etwas, von dem sie sich durch nichts abbringen lassen würde. Dieses Video hat mich dazu veranlasst darüber nachzudenken, was eigentlich „Singen“ ist.

Musik ganz allgemein ist Ausdruck von Emotionen, das ist nichts Neues. Singen ist wohl die persönlichste Art und Weise, Musik zu machen, denn der Ton kommt direkt aus dem eigenen Innersten, hier werden Gefühle praktisch unmittelbar in Klänge umgesetzt. Dazu hat ein Lied üblicherweise einen Text, das heißt man kann den Klängen gleichzeitig durch Worte eine Bedeutung verleihen, oder auch umgekehrt, die Worte werden in ihrer Bedeutung durch den Ton unterstrichen.

Meist ist Singen ein Mittel, Gefühle oder Bedürfnisse auszudrücken, die man im „normalen“ Leben nicht oder nicht in ausreichendem Maße ausdrücken oder ausleben kann. Welche Freude für ein Kind, das mit dem Fuß aufstampfen und schreien (oder singen) kann „No, no, no, no, I’m not going…“, und das dafür nicht eins hinter die Ohren, sondern Beifall bekommt. Wenn Charice singt „Don’t you dare to walk away from me“ und dabei drohend die Faust schüttelt, könnte man fast Angst vor ihr bekommen. Kaum ist der letzte Ton des Lieds verklungen, ist sie einfach wieder ein liebes und sanftmütiges Mädchen, nie würde sie sich im „richtigen“ Leben so benehmen. Aber all diese Aggressivität steckt in ihr, und Singen ist ihre Weise, diese Seite ihrer Persönlichkeit auszuleben. Wir kennen das ja bereits von Meister Anderson.

Unter diesem Gesichtspunkt habe ich eine kleine Auswahl Videos zusammengestellt zum Thema „Der singende Mensch“. Von welchen Emotionen sind die Sänger angetrieben? Zuerst noch einmal Charice – Listen. „Listen to the song here in my heart…“, die erste Zeile dieses Liedes könnte gut die Überschrift zu diesem Kapitel sein. Letztendlich möchte doch fast jeder, der singt, auch gehört werden, er möchte sich und seine Gefühle mitteilen. Und wenn man singt ist die Wahscheinlichkeit ziemlich hoch, dass tatsächlich jemand zuhört – höher jedenfalls, als wenn man nur sprechen würde.

Das nächste Video hatten wir schon einmal, aber es darf in dieser Sammlung nicht fehlen: k.d. lang – Helpless. Und noch eine Lady: Sarah McLachlan – Angel. Mrs. McLachlan ist im Gegensatz zu den anderen Damen durch das Instrument in der Gestik stark eingeschränkt. Sie gleicht das durch intensive Mimik und deutliche Akzentuierung im Gesang aus. Trotzdem bekommt sie jetzt von mir noch eine zweite Chance ohne Klavier Sarah McLachlan – Possession.

Jetzt zu den Herren: Ian Anderson – Whole Lotta Brick (ja, ich weiß, den kennt Ihr schon…). Ganz anders: Cat Stevens – Into White und Miltos Pascalidis – Sou tilefono (Übersetzung hier wohl überflüssig). Und wirklich nicht nur um Euch zu ärgern: Clay Aiken – Measure Of A Man.

Was mir an diesen Aufnahmen aufgefallen ist: Abgesehen von Herrn Anderson, der natürlich wie immer aus dem Rahmen fällt, haben die Herren beim Singen mindestens die halbe Zeit die Augen geschlossen, sie wirken mehr oder minder in sich selbst versunken, während die Damen gestenreich mit dem Publikum zu sprechen scheinen. Habe ich vielleicht nur einfach mal wieder die falschen Männer ausgesucht? (Das passiert mir ständig…). Aber wenn man bedenkt, dass beim Singen hauptsächlich die Emotionen artikuliert werden, die im alltäglichen Leben zu kurz kommen, dann kommt es ja vielleicht doch nicht von ungefähr, wenn – überspitzt ausgedrückt – die Frauen sich hier alle austoben während die Männer eher „in sich gehen“.

Zum krönenden Abschluss jetzt noch zwei Beispiele die zeigen, wie ein Lied auf den Sänger zurückwirken kann. Zuerst Melanie – Tuning My Guitar… nicht gerade ihr bekanntestes Stück und auch nicht das eingängigste, aber ein bemerkenswerter Text und eine bemerkenswerte Performance. Am Anfang lächelt sie noch in der Erinnerung bei den Worten „I still haven’t forgotten I did it just for fun“, aber am Ende des Liedes kommt die ganze Wut in ihr hoch auf die Leute, von denen sie da singt – „Who do you think you are?!“ – und als das Lied vorbei ist, da scheint sie immernoch wütend.

Ich beende meinen heutigen Vortrag so, wie ich ihn begonnen habe: Mit David Cook – The World I Know. Das Lied hatte er eigentlich von Anfang an singen wollen, es ist das Lied für seinen krebskranken Bruder, aber immer hat man ihm davon abgeraten – es ist zu schwach, das bringt keine Stimmen. Jetzt steht er im Finale und es ist das letzte Lied, das er zu singen hat, das Lied, das der Knaller sein muss, der alle davon überzeugt, dass er das nächste American Idol ist. Und jetzt singt er es, allen guten Ratschlägen zum Trotz. Zum Einen vielleicht, weil er sowieso keine Chance hat, alle Experten haben vorhergesagt, dass David Archuleta gewinnen wird, also ist es sowieso gleich, was er singt. Vor allem aber, weil er dieses Lied einfach noch singen MUSS. Bei seinem (vermeintlich) letzten Auftritt auf der Bühne von American Idol singt er dieses Lied nur für sich und seinen Bruder, und danach ist er von dem, was es für ihn bedeutet, so überwältigt, dass die vorletzte Textzeile des Lieds Wirklichkeit wird – „…the tears roll down…“.

Mr. Cowell lag natürlich einmal wieder völlig daneben, es war das exakt richtige Lied im exakt richtigen Moment. Tatsächlich ist die Reaktion von Paula Abdul meist der beste Indikator dafür, wie die „breiten Massen“ reagieren werden. Ich denke es war nicht zuletzt dieser Auftritt, der die letzten Unentschlossenen noch dazu bewegt hat zum Telefon zu greifen und für ihn zu stimmen.

Damit wäre ich für heute am Ende angelangt, ich hoffe ich habe Euch nicht zu sehr ermüdet. Vielleicht habt Ihr ja jetzt auch Lust bekommen ein bißchen zu singen…???

Viel Spaß und haltet die Ohren steif
Kretakatze

PS.: Nur noch ein kurzer Epilog zu David Cook und unseren „modernen (Musik-)Zeiten“: 2 Wochen nach seinem Gewinn von American Idol war er mit 11 Titeln gleichzeitig in den Billboard Hot 100 Charts vertreten – ein Rekord, der bislang nur von den Beatles überboten wurde (vermutlich irgendwann so vor ca. 40 Jahren). Es dürfte das erste Mal gewesen sein, dass ein Musiker, von dem es noch nicht eine einzige Platte zu kaufen gibt, die Charts beherrscht. Aber heutzutage läuft das eben alles ein bißchen anders. Sofort nach seinem Titelgewinn muss man Mr. Cook ins Studio gezerrt haben, innerhalb weniger Tage wurden praktisch alle Songs, die er bei AI gespielt hatte, in voller Länge als Studio-Version aufgenommen und auf iTunes gestellt – wir leben in rasanten Zeiten.

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Wilfried schrieb am 18.09.2008:

Hallo, meine Freunde,

Kretakatze hat uns einmal wieder sehr ausführlich zum Thema Musik, zur Diskussion Qualität und Geschmack, berichtet und dabei den „Geschmack der breiten Massen“ unter die Lupe genommen. Fast zwangsläufig ist sie dabei wieder bei American Idol gelandet und bei einem Herrn David Cook, dem Gewinner dieses Contestes. Nebenbei, nebenbei ist gut, offeriert sie uns zwei junge Mädels, die für ihr Alter zweifellos über ungewöhnliche Stimmen verfügen.

Es ist nicht so, dass ich mich dem Geschmack der breiten Masse völlig verweigere. Aber weder die beiden jungen Mädchen noch Herr Cook können mich begeistern. Ich bezweifle nicht deren Gesangskunst, die ist wirklich beeindruckend. Aber das ist alles nicht mein DING.

Ob nun David Cooks Interpretation des Free-Titels „All Right Now“ besser ist als das Original, möchte ich bereits bezweifeln. David Cook mag besser singen, aber das Original ist für mich das, was ich an anderer Stelle bereits als authentisch bezeichnet habe, es ist also authentischer als das von Herrn Cook.

David Cook ist wie jene Biancas und Charices ein Interpret, ein Nachsänger, ein Sänger, der sich an Fremdtiteln wagt. Wenn er das tut und sich dabei möglichst am Original hält, dann erzeugt er lediglich eine Kopie, die nichts wirklich Neues bewirkt. Wagt er dagegen eine Eigeninterpretation, d.h. versucht er, einen allgemein bekannten Titel auf eigene Weise nachzusingen, dann schafft er auch etwas Neues. Genau hier frage ich mich dann, ist dieses Neue wirklich so neu, so viel anders und vielleicht außer- oder ungewöhnlicher als das Original. Bei Herrn Cook muss ich sagen: nein. Ich stelle hier nicht sein Können in Frage. Ich erwarte nur etwas wirklich Neues. Und genau das bietet er mir nicht. Wenn es dann auch noch Lieder sind (die er außerhalb des Wettbewerbs gar nicht singen würde), die mir nicht sonderlich gefallen, dann ist der Mann für mich abgehakt.

Das mit dem letzten Lied für seinen krebskranken Bruder, die vergossenen Tränen (ich will hier dem David Cook nichts unterstellen), das hat natürlich schon etwas ‚Werbewirksames’ und wird nach meiner Meinung das Zuschauervotum nicht unbeeinflusst gelassen haben. Aber hat das EIGENTLICH etwas mit der Musik zu tun?

Überhaupt die Frage nach der ‚Werbewirksamkeit’. Die beiden genannten jungen Mädchen sind sicherlich das, was man Wunderkinder zu nennen pflegt. Man hält so etwas nicht für möglich: solche Stimmen aus solchen kindlichen Körpern. Und damit rückt dieser optische Aspekt in den Vordergrund. Es geht nicht mehr allein um eine ungewöhnliche Stimme, sondern um diese wunderliche Mischung aus Stimme und Kindsein.

Von dem einen Mädchen schreibt Kretakatze: „ …all diese Aggressivität steckt in ihr, und Singen ist ihre Weise, diese Seite ihrer Persönlichkeit auszuleben.“ Zunächst muss ich sagen, dass mich dieses Fäusteschütteln und Fußgestapfe eher abschreckt. Und ich kann mich von dem Eindruck nicht frei machen, dass hier eine Zirkusnummer läuft. Das Mädel ist schon im Alter von vier Jahren öffentlich aufgetreten. Das wird förmlich gedrillt worden sein, wie ein dressierter Affe diese Show aufzuführen. Sicherlich fließt einiges aus dem Inneren des Mädchens an Emotionen nach außen. Aber auf mich wirkt das leider nicht authentisch, um noch einmal dieses Wort zu benutzen. Weitaus authentischer, also echter, wirkt der Auftritt von k.d. lang. Auch hier werden Emotionen nach außen getragen, Emotionen, die auch auf mich wirken. Und bei Herrn Anderson, na ja, da ist viel Augenzwickern dabei.

Weshalb mir die ganze Chose nicht gefällt: Da ist nichts wirklich Neues dabei. Die Lieder des philippinischen Mädchens klingen für mich fast alle gleich. Da höre ich mir lieber die Lieder von Tom Waits an (gestern habe ich mir eine Scheibe von ihm angetan, deshalb ihn als Beispiel). Das klingt so schön kaputt und übt auf mich wirklich einen ungewöhnlichen Reiz aus. Hier werden Lieder, die eigentlich ganz gewöhnlich sind, in einer Weise interpretiert, die nicht unbedingt innovativ ist, die aber für mich der Inbegriff des Persönlichen ist, glaubhaft und echt.

„Meist ist Singen ein Mittel, Gefühle oder Bedürfnisse auszudrücken, die man im ‚normalen’ Leben nicht oder nicht in ausreichendem Maße ausdrücken oder ausleben kann.“, schreibt Kretakatze. Dem stimme ich natürlich voll und ganz zu. Und es ist auch gut so. Wir alle sollten wieder mit dem Singen beginnen, wenn wir es nicht schon wie Kretakatze tun.

Ohne Gefühle ist Musik steril. Man erwartet förmlich vom Musiker, vom Sänger, dass er einen Teil seiner Seele freilegt. Aber im heutigen Showbiz verkommt das leider immer mehr zu einer Zirkusnummer, wie gesagt. Auch unser Meister Anderson weiß natürlich um solche publikumswirksame Effekte, sonst hätte er kaum den Bekanntheitsgrad erreicht, den er heute noch inne hat. Genug!

Vielleicht noch etwas zur grundsätzlichen Frage, was eigentlich die breite Masse ist. Ich denke, dass das nicht eindeutig definiert werden kann. Bestimmt man diese z.B. über Verkaufszahlen, so können Gruppen wie Jethro Tull (aufgrund der 40 Jahre Existenz) sicherlich auch als ‚Versorger’ der breiten Masse gezählt werden. Zig Millionen Alben sind von Anderson & Co. im Laufe dieser vielen Jahre über den Ladentisch gegangen. Da müssen selbst Sänger wie David Cook oder Clay Aiken zunächst einmal passen.

Ich denke, dass es eine ‚soziologische’ Frage ist. Die ‚breite Masse’ ist eine Bevölkerungsschicht, die sich dadurch auszeichnet, dass sie sich nicht auf Anhieb durch bestimmte Merkmale von anderen Gruppen unterscheidet. Ich habe erst kürzlich einen Bericht über die Gothics-Szene gelesen und gesehen. So gibt es viele Nischen in der Jugendkultur, die sich dadurch hervortut, dass ihre Mitglieder anders als die anderen sind und nicht dem Mainstream angehören. Besonders bei den Jugendlichen ist es geradezu verpönt, der breiten Masse anzugehören, sodass es hier eigentlich keine breite Masse mehr gibt. Und ich denke, dass es auch keine EINE breite Masse gibt, sondern die unterschiedlichsten Strömungen. Da gibt es die Volksmusikliga, dort die Schlagerheinis und anderswo eine ‚breite Masse’, die auf Pop u.ä. steht. Würde es nur EINE ‚breite Masse’ geben, dann hätten wir hier Verhältnisse wie in China vor 20, 30 Jahren (alle in Blauzeug). Addiert man alle Rockfans (von Jethro Tull über ich weiß nicht wen bis Zappa), was hätte man dann? Eine breite Masse, die breitet fast nicht sein konnte.

Also ist der ‚soziologische’ Ansatz auch Asche? Ja und nein. Vielleicht versuche ich es mit dem Individuellen. Wie schon gesagt, könnte man die breite Masse als Gruppe ohne besondere Merkmale, ohne bestimmte individuelle Ausrichtung, betrachten. Das sind dann die Vielen, die im Trüben dümpeln und nur darauf warten, dass sie herausgefischt werden. American Idols (stellvertretend für alle diese und ähnliche Formate) hilft hierbei. Man präsentiert die unterschiedlichsten Sänger/Sängerinnen, versorgt diese mit Musik, die möglichst vielen bekannt ist, und lässt dann den Zuschauer entscheiden, was gerade in sein soll. Als eingefleischter Angehöriger einer bestimmten Szene interessiere ich mich natürlich nicht für solche Sendungen. Wenn ich mich aber noch nicht wirklich festgelegt habe, dann horche ich auf – und siehe da, ganz demokratisch, wie das Ganze abläuft, finde ich meinen Liebling, stimme für ihn – und mir-nichts dir-nichts bin auch ich auf der richtigen Schiene. Mein Geschmack ist total IN, ich gehöre DAZU. Um das zu erreichen, müssen die auftretenden Sänger/Sängerinnen schon ihr Handwerk beherrschen. Man/frau stimmt doch nicht für einen musikalischen Versager. Und da es reichlich bisher unentdeckte Tatente gibt, ist dieser Markt vom Angebot her so schnell nicht zu sättigen.

Übrigens: die Begriffe „breite Masse“, Mainstream, wie auch immer … die werden wir in dieser, im Grunde eigenen Szene so schnell nicht hören. Und es ist eine eigene Szene, die DSDS-American Idol-Superstar-Szene. Abschließende Frage: gibt es eigentlich überhaupt eine ‚breite Masse’, wenn sich keiner wirklich dazugehörig fühlt?!

Ich wünsche Euch ein geruhsames Wochenende.
Bis bald
Wilfried