Archiv für den Tag: 26. August 2006

Günter Grass‘ „Beim Häuten der Zwiebel“

Ich habe von Grass‘ Autobiografie zunächst nur das erste und das vierte Kapitel („Wie ich das Fürchten lernte“) gelesen, jenes, das seine Zeit bei der Waffen-SS beschreibt oder eigentlich nur die Zeit, in der er sich in den letzten Wirren des Krieges durch die Fronten schlug.

Günter Grass: Beim Häuten der Zwiebel

Eigentlich gehörte er nur formell der Waffen-SS an und hätte genauso gut jeder anderen Militäteinheit angehören können. Dann hätte es jetzt diese Diskussion sicherlich nicht gegeben. Aber lesen wir kurz, was Grass in seinem Buch schreibt:

„Der Zwiebelhaut steht nichts eingeritzt, dem ein Anzeichen für Schreck oder gar Entsetzen abzulesen wäre. Eher werde ich die Waffen-SS als Eliteeinheit gesehen haben, die jeweils dann zum Einsatz kam, wenn ein Fronteinsatz abgeriegelt, ein Kessel … zurückerobert werden mußte. Die doppelte Rune am Uniformkragen war mir nicht anstößig. Dem Jungen, der sich als Mann sah, wird vor allem die Waffengattung wichtig gewesen sein: wenn nicht zu den U-Booten, … dann als Panzerschütze in einer Division, …

Auch ging von der Waffen-SS etwas Europäisches aus: in Divisionen zusammengefaßt kämpften freiwillig Franzosen, Wallonen, Flamen und Holländer, viele Norweger, Dänen, sogar neutrale Schweden an der Ostfront in einer Abwehrschlacht, die, so hieß es, das Abendland vor der bolschewistischen Flut retten werde.

Also Ausreden genug. Und doch habe ich mich über Jahrzehnte hinweg geweigert, mir das Wort und den Doppelbuchstaben einzugestehen. Was ich mit dem dummen Stolz meiner jungen Jahre hingenommen hatte, wollte ich mir nach dem Krieg aus nachwachsender Scham verschweigen. Doch die Last blieb, und niemand konnte sie erleichtern.

Zwar war während der Ausbildung zum Panzerschützen, die mich den Herbst und Winter lang abstumpfte, nichts von jenen Kriegsverbrechen zu hören, die später ans Licht kamen, aber behauptete Unwissenheit konnte meine Einsicht, einem System eingefügt gewesen zu sein, das die Vernichtung von Millionen Menschen geplant, organisiert und vollzogen hatte, nicht verschleiern. Selbst wenn mir tätige Mitschuld auszureden war, blieb ein bis heute nicht abgetragener Rest, der allzu geläufig Mitverantwortung genannt wird. Damit zu leben ist für die restlichen Jahre gewiß.“

Was Grass schreibt, klingt ziemlich blass. Von Scham und einem Rest Mitverantwortung ist die Rede. Aber wie sonst hätte man etwas in Worte fassen können, von dem erst im Nachhinein die Tragweite sichtbar wird. Grass war nicht an Gräuel beteiligt. Davon gehe ich aus, das glaube ich ihm. Es geht also nur um die Zugehörigkeit zu einer Einheit, die heute als Synomyn für Kriegsverbrechen steht. Und einer Aburteilung steht sein jugendliches Alter vor. Es geht also am Ende nur um das Verschweigen dieses dunklen Abschnitts seines Lebens. Wer heute von Scham spricht, erntet meist nur ein müdes Lächeln. Vielleicht liegt es daran, dass wir nie in Situationen waren, die später zu solcher Scham Anlass bieten. Wir, die so genannt Nachgeborenen, sollten froh darum sein.

Sicherlich ist es die Tatsache, dass Grass oft genug als Moralist aufgetreten ist, die jetzt das Urteil beeinflusst. Wenn ein solcher plötzlich offenbart, selbst Dreck am Stecken zu haben, dann ist das ein gefundenes Fressen für die, die ihm schon vorher unwohl gesonnen waren. Ich mag selbst keine Moralapostel. Und Grass als Wahlhelfer z.B. für Willy Brandt war mir auch eher suspekt. Aber ich gestehe, nicht den Stein nehmen zu können, um ihn damit zu bewerfen. Grass ist und bleibt ein großer Schriftsteller. Seine ‚barocke‘ Sprache, auch sein barocker Lebensstil mag nicht jedermanns Sache sein. Soll und kann es nicht. Der offenbarte Makel bleibt (und soll bleiben). Das ist gut so.